1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Aha, sein Vorgänger, der alte Schlawiner, hatte sich sozusagen ein Komfortbett mit Goldfüllung gebaut, nicht schlecht. Das musste ein ganz schöner Genießer gewesen sein. Nebenbei hatte er seinen Schatz auf diese Weise auch vor dem Zugriff gieriger Hände bewahrt. Willi legte eine riesige Menge goldener Gegenstände, Schmuck, Zierrat und sogar einige Kronjuwelen frei, betrachtete sie versonnen, verscharrte sie dann aber schnell wieder und richtete den Platz so her, wie er zuvor gewesen war.
Das sollte alles hier weiter in der verschwiegenen Dunkelheit und Stille der Höhle ruhen und er darauf.
So ein Glück! Willi hatte das perfekte Heim für einen Drachen entdeckt und ohne Schwierigkeiten in Besitz nehmen können.
Und im Handumdrehen war er sagenhaft reich geworden.
Willi war ein Glücksdrache!
Aber die Bewohner der Umgegend, besonders die des nahe gelegenen Dorfes Buchenhausen waren erst einmal völlig außer sich gewesen, dass sich ein neuer Drache auf dem Drachenberg eingenistet hatte, auch wenn der etwas anders aussah.
Sie merkten jedoch sehr bald, dass Willi keine ernsthafte Gefahr für sie bedeutete - anders als sein Vorgänger - aber Drache bleibt Drache.
Nach und nach hatte Willi auch die weitere Umgebung erkundet, aber seine neue Höhle immer wieder als den schönsten Ort der Welt erkannt und sich nach und nach so richtig eingelebt. Er hatte sich auch inzwischen an seine Einsamkeit gewöhnt, viel in den alten Drachenbüchern seines Vorgängers studiert und war mit der Zeit etwas kauzig geworden. Seinen jugendlichen Leichtsinn und seinen Übermut hatte er etwas abgelegt, war ruhiger, besonnener geworden, bis auf kleine Ausnahmen.
Das waren zum Beispiel die Temperamentsausbrüche, welche die Dorfbewohner so manches Mal nicht schlafen ließen.
Über hundert Jahre waren nach und nach ins Land gezogen und Willi war ein etwas lästiger, aber ansonsten nicht weg zu denkender Bestandteil des Lebens dieser Gegend geworden.
Er war mit den Jahren gereift, hatte seine Erfahrungen gemacht, Freuden und Enttäuschungen erlebt. Mit der Zeit konnte er immer besser mit sich und dem Alleinsein umgehen.
Er war ausgeglichen und zufrieden geworden.
All diese Gedanken durchzogen ihn, als er, von Anette so schön gekrault, in ihrem Schoß vor sich hindöste. Sollte sie die Menschenfrau sein, die ihn „erwecken“ würde?
Diese Prophezeiung Lilianas und die Erinnerung an dieses Thema schob er nun jedoch ganz schnell in die hinterste Ecke seines Bewusstseins! Etwas Rauch trat aus seinen Nüstern.
Aber Ausgangspunkt all seiner Gedanken war Anettes Frage gewesen, wie alt er sei.
"658 Jahre", sagte er leise und ganz unvermittelt. Anette hielt verblüfft inne, sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass ein Lebewesen so alt werden könnte.
Auch Willi selbst wurde es zum ersten Mal wirklich bewusst, wie alt er war, und auch, wie lange er schon alleine in seiner herrlichen Höhle hauste.
Er blickte zu Anette auf und schien zu lächeln als er sagte: "Ich bin ja so froh, dass ich Dich getroffen habe. Ich habe das Gefühl, als hätte ich das erste Mal in meinem Leben jemanden gefunden, der mich wirklich mag. Ich wünsche mir wirklich sehr, dass Du meine Freundin bist!"
Er entspannte sich wieder vollkommen, tat einen tiefen Atemzug und schien einzuschlafen.
Anette war seltsam berührt, sie spürte Gefühle in sich aufsteigen, die sie verwirrten, mit denen sie gar nichts anzufangen wusste. So schob sie diese dann auch schnell wieder zur Seite, sagte aber:
"Lieber Willi, ich kann Dich sehr gut leiden und ich möchte auch gerne Deine Freundin sein, aber jetzt muss ich nach Hause. Ich habe einen Freund, der wartet auf mich. Aber wir können uns übermorgen wieder sehen, das verspreche ich Dir - ein Versprechen unter Freunden !“ "Schade, aber ich verstehe...!“ seufzte der Drache. „Nun gut, ich werde auf Dich warten. In zwei Tagen, mittags, werde ich hier sein!" Willi wusste, wenn Anette wirklich etwas an ihm lag, würde sie kommen. Dieser Gedanke machte ihn zufrieden. Dass Anette gehen musste, hatte ihn erst einmal aufs unangenehmste aus seinem süßen Traum in Anettes Schoß gerissen, aber er sah ein, dass sie nicht einfach bei ihm auf dem Berg bleiben konnte, selbst wenn sie das gewollt hätte. Ein bisschen vernünftig war er in seiner einsamen Höhle ja doch geworden. Aber Anette druckste auf einmal herum, sah ihn mit dem Unschuldsblick an, den Frauen haben, wenn sie gar nichts Unschuldiges denken und sagte: "Ich hätte aber noch unheimliche Lust, Dich zu küssen, wobei ich mich jedoch frage, wie das gehen soll. So etwas Verrücktes aber auch!"
Da war es Willi mit einem Mal ganz sonderbar, es lief ihm kochend heiß und dann eiskalt über den gesamten Körper und er fühlte sich wie elektrisiert. Erwachte da tatsächlich etwas in ihm, wie verheißen? - Und das schien etwas ganz tolles zu sein......
Seine Augen leuchteten beim Erwachen und Erleben ganz neuer Gefühle - und einer faszinierend starken Macht.
"Schließe einfach Deine Augen", sagte Willi mit einer ganz veränderten Stimme und als Anette das getan hatte, spürte sie auf einmal, wie sie von einem Mann zärtlich umarmt wurde und erlebte den herrlichsten Kuss, wie sie in ihrem ganzen Leben noch keinen erhalten hatte. Voller Liebe und Leidenschaft.
Sie sog dieses Gefühl tief und voller Verlangen in sich ein, wusste aber sehr wohl, wenn sie die Augen öffnen würde, wäre dieser Zauber, der sich offenbar über sie gelegt hatte, vorbei.
Sie schlang voller Verlangen ihre Arme um ihren neuen Geliebten, zog ihn an sich und verspürte Empfindungen in sich aufsteigen, an die sie nicht mehr hatte glauben wollen.
Zögernd öffnete sie nach einer Weile, während der sie sich wie im siebten Himmel fühlte, dann doch ihre Augen und schüttelte sich ein wenig, um ins Hier und Jetzt zurück zu kehren.
Der Zauber war vorüber, sie sah, dass sie den Hals eines Lindwurms umfasst hielt, aber das erschreckte sie keineswegs - was sie endgültig vollkommen durcheinander brachte. Sie rettete sich, indem sie bestimmt erklärte, dass sie nun wirklich unbedingt den Heimweg antreten müsse.
Sie war aber immer noch völlig verwirrt, dennoch schob sie Willi sanft aber bestimmt weg und stand schnell auf.
"Gut, ich komme übermorgen wieder hierher, ich freue mich sehr darauf!"; aber sie fragte sich später, ob sie das nur so aus Höflichkeit oder aus ganzem Herzen gesagt hatte.
Ihre Ziegen hatten sich schon gesammelt und eilig verließ sie die Alm, Anette schaute nur einmal ganz kurz zu Willi zurück.
Der Drache war mindestens so durcheinander wie die junge Frau.
Wie kam sie nur darauf, ihn küssen zu wollen?
Aber sie hatte damit ohne Zweifel die gewisse Tür in seinem Inneren aufgestoßen. Tatsächlich war er nun fähig, die Gestalt vollkommen zu verändern, die eines Menschen anzunehmen und sogar wie ein solcher zu denken und zu fühlen!
Er verspürte nun eine wunderbare Stärke, aber ihm war auch ein wenig Angst davor, was dieser Kuss wohl bewirkt hatte.
Doch welche Fähigkeiten steckten jetzt noch in ihm? Er hätte lieber doch Lilianas Unterweisungen aufmerksamer folgen sollen!
Willi hatte sich stets geweigert, das zu lernen, was seine Eltern von ihm verlangt hatten und war auch damals nicht bereit gewesen, verantwortungsvoll mit seinen besonderen Begabungen umzugehen. Das Fliegen und das Feuerspucken hatte er als netten Spaß mitgenommen, aber über die wirklich große Macht, über die ein magiebegabter Drache verfügen kann, hatte er erst bei Liliana erfahren.
Jedoch auch dann zeigte er noch immer wenig Interesse, als ihn die Fee in dieses geheimnisvolle Wissen einführen wollte. Er ahnte tief in seinem Inneren, dass er damit unweigerlich in eine neue und wohl alles entscheidende Auseinandersetzung mit dem schrecklichen Dämon Rufus Zastro getrieben würde. Und davor hatte er eine Heidenangst - was man ihm verzeihen möge!
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