Als Björn bei Anja eintraf, hatte sich die Kripo noch nicht gemeldet. Anja hatte verweinte Augen und fiel Björn um den Hals: „Wer tut nur so was Schreckliches? Ich habe Angst. Mir könnte so was doch auch passieren.“ Björn setzte sich. „Ich bin auch sprachlos. Ich finde keine Erklärung.“ Anja hatte sich in die Couchecke gekauert: „Der Capri-Urlaub war so schön. Aber wenn ich jetzt daran denke, kommen mir die Tränen.“ Es klingelte, die beiden Kommissare standen vor der Tür. Anja bat sie rein. „Ach, da treffen wir ja auch unseren Herrn Aumann. Wir haben ein paar Fragen an Sie. Herr Aumann geht mit dem Kollegen Koch ins Nebenzimmer. Dann können wir uns ganz ungestört miteinander unterhalten.“Kommissar Koch und Björn gingen in die Küche. „Frau Olsen, Sie waren mit Herrn Aumann auf Capri und haben dort Frau Seibold getroffen. Nun sind Sie ja nicht nur, wie wir erfahren haben, Herrn Aumanns Schülerin, sondern auch seine Freundin. Und Frau Seibold war die Schulleiterin. Eine, sagen wir, außergewöhnliche Konstellation. Gab es da keine Probleme?“ Anja hatte sich wieder gefangen: „Ich weiß nicht, was Sie wollen. Ich bin volljährig und Björn ist mein Freund. Frau Seibold war auf Capri ganz locker. Über die Schule hat sie nicht gesprochen. War kein Thema.“ Der Oberkommissar zeigte sich schon etwas beeindruckt von der prompten Antwort. „Und dieser Schwede?“ Anja stand auf: „Eine Urlaubsbekanntschaft. Ein schwedischer Buchhändler. Aber die beiden hatten nichts miteinander. Der war schwul!“ Oberkommissar Müller sah sich um: „Sie haben eine schicke Wohnung. Wer bezahlt die?“ Anja konnte jetzt sogar wieder lachen: „Mein Papa!“ Und jetzt wollte der Oberkommissar natürlich auch wissen, was sie in der vergangenen Nacht gemach habe. „Björn war hier bis etwa halb zwei. Dann hab ich geschlafen“, antwortete Anja, hatte nun aber auch eine Frage. „Was ist denn genau passiert mit Frau Seibold?“ Müller steckte seinen Notizblock in die Tasche: „Wir ermitteln.“ Koch und Björn kamen wieder zurück ins Wohnzimmer. „Frau Seibold ist heute Morgen kurz nach sechs von einem Jogger gefunden worden, auf dem Parkplatz an der Rennbahn in Grafenberg. Erste Ermittlungen haben ergeben, dass sie erdrosselt wurde, wohl mit einem Schal. Nicht auf dem Parkplatz. Die Leiche ist dort nur abgelegt worden. Wir unterrichten jetzt die Verwandten in Wolfsburg, untersuchen die Wohnung, das Auto, warten auf den Bericht des Gerichtsmediziners. Nach einem Sexualverbrechen sieht es nicht aus. Auch nicht nach Raubmord. Wir stehen noch am Anfang der Ermittlungen.“ Müllers Blick fiel auf ein Buch, dass auf der Couch lag. „Interessant: 'Der Frauenmörder', sicher ein spannendes Buch.“ Anja erklärte: „Dagmars Reiselektüre.“ Müller war überrascht: „Sie duzten sich, die Schulleiterin und die Schülerin?“ Anja fand: eine blöde Frage. „Ich hab doch schon gesagt, es ging ganz locker zu.“ Koch schaltete sich ein: „In der Schule wusste aber niemand etwas von diesen Beziehungen. Da ging alles förmlich zu.“ Anja verstand diesen Einwand nicht: „Na und?“ Die beiden Kommissare verabschiedeten sich. Anja holte den Limoncello aus der Küche. „Ich finde diese Kripo-Typen zum Kotzen. Die blöde Fragerei. Als wenn ich was mit dem Mord an der Seibold zu tun haben könnte – nur, weil ich Frau Direktor geduzt habe.“ Björn dachte an etwas anderes. „Wenn die Kripo auch den Kollegen die Fotos gezeigt hat, bekomme ich Schwierigkeiten.“ Anja winkte ab: „Und wenn... Was soll schon passieren? Gerede, Gerede, Gerede! Der Ruf der Schule ist jetzt durch den Mord ohnehin ramponiert. Das tolle Gymnasium hat eben ein paar Kratzer bekommen. Eine Schulleiterin, die sich umbringen lässt. Was sind das nur für Zustände in dieser Stadt von Albert Heine?“ Björn zuckte zusammen: „Heinrich...Heinrich Heine!“
Am nächsten Morgen stand es in allen Zeitungen: „Schulleiterin ermordet“. Als Björn ins Lehrerzimmer kam, lag ein Stapel Zeitungen auf dem Tisch. Kamann rief Björn ins Direktionsbüro: „Du weißt, dass ich dich als Kollege und Pädagoge sehr schätze. Aber diese Geschichte mit der Anja Olsen, dass muss doch nicht sein. Sicher, sie ist volljährig. Aber ein solches Verhältnis wirft kein gutes Licht auf die Schule.“ Björn fühlte sich angegriffen: „Richtig: Sie ist volljährig und ich noch nicht im Seniorenalter. Und dass sie meine Schülerin ist... Es muss doch nicht jeder von dem Verhältnis wissen.“ Kamann nickte: „Eben! Durch diese Mordgeschichte bleibt die Sache aber nicht unter der Decke. Nachdem die Kripo hier überall die Fotos herum gezeigt hat, wissen zumindest alle Kollegen Bescheid. Und morgen steht es vielleicht schon in der Zeitung. Überleg dir das mal. Du wirst ja nicht in sie verliebt sein!“ Björn log: „Natürlich nicht!“ Die Schüler waren immer noch schockiert. Kamann hatte Björn vorgeschlagen, im Deutschunterricht die verschiedenen Zeitungsartikel über den Mord zu analysieren. Eine bestialische Idee, fand Björn. Aber er machte es. Und die Schüler waren echt bei der Sache. Sogar Anja interessierte sich. In der Pause tauchte ein etwas heruntergekommen wirkender Typ in der Schule auf, im Schlepptau ein Fotograf, Journalisten einer Boulevardzeitung. Sie sprachen Schüler an, wollten wissen, wie die Schulleiterin so gewesen sei und was sie über den Mord dächten. Kamann schritt sofort ein: „So geht das nicht, meine Herren. Sie können nicht einfach hier die Schüler interviewen. Kommen Sie mit ins Büro, wenn Sie Fragen haben. Aber keine Fotos!“ Martin Reinbacher war ein bekannter Boulevard-Reporter. Spezialität: Kriminalfälle. Er war 28 Jahre alt und hatte sein Jurastudium abgebrochen, war bei der Zeitung gelandet. Zuerst beim Sport, dann in der Lokalredaktion. Er galt als skrupellos. „Diese Frau Seibold, war die eigentlich mit jemand hier aus der Schule befreundet, hatte die einen Lover?“ ging Reinbacher gleich in die Vollen. Kamann war empört: „Ich habe nicht vor, solche Fragen zu beantworten!“ Reinbacher grinste frech: „War sie denn bei den Schülern beliebt? Oder ist diese Frage auch zu intim?“ Kamann wurde ungehalten. „Mir gefällt dieses Gespräch nicht, muss ich Ihnen sagen. Ja, sie war beliebt bei den Schülern und bei den Kollegen. Reicht das?“ Reinbacher liebte solche verbalen Rangeleien. „Nicht ganz. Ich habe ein Foto gesehen: Diese Seibold war doch eine attraktive Frau, Single... Hat sie hier nicht doch jemand gehabt, der …....?“ Kamann stand auf: „Nein?“ Reinbacher ließ sich nicht von seinem Weg abbringen: „Auf einem Foto war so eine dralle Blondine, ein junges Ding. Kennen Sie die?“ Kamann ging zur Tür: „Ich weiß nicht, von welchen Fotos Sie sprechen. Aber ich habe jetzt keine Zeit mehr...“ Reinbacher fragte draußen ein paar Schüler nach der Blondine und erfuhr schnell, dass es Anja Olsen aus der 12b sein musste. Inzwischen setzte sich die Düsseldorfer Kripo mit den Stockholmer Kollegen in Verbindung. Die hatten den Buchhändler schnell ausfindig gemacht und verhörten ihn. Er hatte ein einwandfreies Alibi. Er berichtete aber, dass Dagmar ihm erzählt habe, mit diesem Lehrer, diesem Björn sei etwas gelaufen, der sei jetzt aber mit Anja, einer Schülerin, zusammen. „Der Berichts aus Stockholm ist wirklich interessant“, stellte Oberkommissar Müller bei der Lektüre fest. „Da müssen wir uns diesen Lehrer mal was genauer anschauen.“
Als es am späten Nachmittag an der Wohnungstür klingelte, ahnte Björn nichts Schlimmes, und er war überrascht, dass die Kripo noch Fragen hatte. „Herr Aumann, wie war Ihr Verhältnis zu Frau Seibold? War das rein beruflich?“ wollte der Oberkommissar wissen. Björn antwortete arglos: „Ja, natürlich!“ Schon schnappte die Falle zu. „Wir haben da ganz andere Informationen. Sie hatten eine Affäre mit ihr!“ Björn regte sich auf:„Wer behauptet das?“ Kommissar Koch ließ sich nicht darauf ein: „Das tut nichts zur Sache. Warum leugnen Sie es?“ Björn sah sich in die Ecke gedrängt. „Also: ja oder nein?“ blieb der Oberkommissar hartnäckig. Björn stand gestresst auf: „Gut, ich hatte eine Affäre mit ihr. Und was bedeutet das jetzt? Stehe ich jetzt unter Mordverdacht?“ Kommissar Koch versuchte Björn zu beruhigen: „Verdächtig ist für uns erst mal jeder. Wir werden natürlich immer stutzig, wenn man uns anlügt. Von wann bis wann ging denn diese Affäre?“ Eine schwierige Frage: „ Zwei oder drei Wochen. Bis zu den Herbstferien.“ Müller überlegte: „Bis zu den Herbstferien... Und die Geschichte mit Anja Olsen?“ Björns Puls begann zu rasen: „Ja, das fing irgendwann vor den Ferien an.“ Müller hatte jetzt eine Spur gefunden: „Sie hatten also zumindest eine gewisse Zeit lang etwas mit beiden. Und das soll ohne Probleme abgegangen sein? Frau Seibold ist zwischen zwei und fünf Uhr umgebracht worden, wie der Rechtsmediziner festgestellt hat. Sie haben für diese Zeit kein Alibi. Ich denke, wir zeigen ihnen gleich mal unseren Erkennungsdienst im Polizeipräsidium, nehmen ein paar Fingerabdrücke und eine Speichelprobe - und dann können Sie erst mal wieder nach Hause fahren. Wir bringen Sie auch gern. Kein Problem!“ So wurde Björn im Polizeipräsidium erkennungsdienstlich behandelt.
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