Reinhard Mehring
Carl Schmitts Gegenrevolution
E-Book (ePub)
© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
Covergestaltung: Christian Wöhrl, Hoisdorf
Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)
ePub:
ISBN 978-3-86393-577-1
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© CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 2021
Print: ISBN 978-3-86393-118-6
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In seiner Programmschrift Politische Theologie stellte sich Schmitt in die Reihen einer „Staatsphilosophie der Gegenrevolution“, die er durch den Bruch mit der „dynastischen Legitimität“ des „Traditionalismus“ und den Schritt „von der Legitimität zur Diktatur“ (PT 72) gekennzeichnet sah. 1Von „konservativer Revolution“ sprach er nicht. 2Die folgenden – teils unveröffentlichten, teils intensiv überarbeiteten – Studien versuchen diese Selbstpositionierung zu klären. 3Schmitts Kaleidoskop von Gesprächspartnern marschiert dabei in den agonalen Konstellationen der Zwischenkriegszeit in breiter Phalanx auf: Fritz Mauthner und Gustav Landauer, Max Weber, Hans Kelsen und Heinrich Triepel, Otto Kirchheimer, Eduard Rosenbaum und Moritz Bonn, „Klassiker“ wie Rousseau, Novalis und Donoso Cortés, Julius Stahl und Bruno Bauer und auch neuere Anknüpfungen von Johannes Winckelmann, Reinhart Koselleck und Herfried Münkler. Am Ende steht eine Literarisierung.
Die vorliegenden Studien radikalisieren auf heutiger Quellenbasis Hasso Hofmanns 4Generalbefund: Legitimität gegen Legalität. Hofmanns Problemgeschichte beschrieb einen „Weg“ von der „rationalen“ und „existentialistischen“ zur „rassischen“ und „geschichtlichen“ Legitimität. Die folgenden Studien analysieren diesen Weg als Destruktionsbewegung und Legitimitätskritik; sie pointieren den Befund, dass Schmitt mit der Legalität auch die Legitimität problematisch wurde. Der „Weg“ endete mit Legitimitätszweifel und Legitimitätszerfall. Zwar war Schmitt auch ein rechtspolitischer Akteur. Seine Rolle als „Kronjurist“ im Präsidialsystem und „Führerstaat“ ist keinesfalls gering und muss für einige Aspekte noch tiefenscharf geklärt werden. Diese Akteursrolle steht in den folgenden Studien aber nicht im Zentrum. Als Soldat drückte Schmitt sich vor der Front und war bis 1933 eigentlich nirgendwo organisiert: weder in einer Studentenverbindung noch in der Kirche, einer Partei, einem Freikorps oder einer sozialen Bewegung. An der Universität strebte er nicht in Ämter, war nie Dekan oder Rektor. Er stürmte nicht an der Seite D’Annunzios Fiume, war nicht am Marsch auf Rom oder zur Feldherrenhalle beteiligt und putschte auch nicht wie später Salan oder Mishima. Den „Zugang zum Machthaber“ fand er deshalb auch nur sehr gelegentlich in untergeordneter Rolle. Er wirkte nicht auf Hitler oder Himmler, Goebbels oder Rosenberg. Die NS-Spitzenpolitiker, denen er nachweislich begegnete – u.a. Göring, Frick, Frank und Freisler –, ließen sich von ihm auch nicht ernstlich beeinflussen. Sieht man vom Umgang mit Johannes Popitz ab, so hatte Schmitt wohl nur auf Hans Frank bis 1936 einen beachtlichen Einfluss, der im Detail aber schwer zu klären ist. Es ist sehr zweifelhaft, ob er als „Staatsrat“ auf Göring wirkte. Unter den NS-Akteuren gehörte er allenfalls in die zweite Reihe. Er war aber vor allem ein „Totengräber“ Weimars und „Quartiermacher“ des Nationalsozialismus, wie es einstige Weggefährten schon früh sahen.
Die meisten nationalsozialistischen Spitzenpolitiker hatten keine näheren Beziehungen zu ihren Vordenkern; sie waren intellektuell nicht ambitioniert. Während die ältere Forschung heterogene Autorengruppen unter Labels vom „antidemokratischen“ Denken und nationalsozialistischer Ideologie oder „Weltanschauung“ homogenisierend versammelte, trennte die neuere Forschung deshalb stärker zwischen den Vordenkern und den Akteuren. Wo der Nationalsozialismus zunächst „intentionalistisch“ personalisierend von „Hitlers Weltanschauung“ 5her als „Hitlerismus“ 6betrachtet wurde, 7wird die nationalsozialistische „Polykratie“ inzwischen komplexer analysiert. 8
Schmitt markierte mit seiner Schrift Politische Romantik bereits seinen Bruch mit restaurativen Bemühungen und Idyllen abgelebter Zeiten. Zwar lässt sich sagen, dass er die „Legitimität der Neuzeit“ problematisierte und jenseits von Demokratie und kommissarischer Diktatur die souveräne Diktatur eines plebiszitären Führerstaats erstrebte; in der kritischen Analyse und Dekonstruktion war er aber stärker als in den systematischen Alternativen. Als Jurist und Staatslehrer mied er bis 1933 deshalb auch die eindeutige Positionierung im parteipolitischen Kampf. Er polemisierte zwar gegen den Versailler Vertrag und Genfer Völkerbund; eine solche nationalistische Positionsnahme war im Weimarer Spektrum aber weit verbreitet; solange Schmitt sie nicht eindeutig mit einer Absage an die Weimarer Republik und Verfassung verband, war sie parteipolitisch deshalb wenig spektakulär und skandalös. Zwar forderte er immer wieder „konkrete“ Identifikationen und Positionierungen ein; seine eigene Stellung ließ er aber jenseits plakativer Etiketten oft vage und unklar.
Schmitt operierte mit einer doppelten Adressierung und Semantik, versteckte politische Signale im geistesgeschichtlichen Spiegel hinter historischen Parallelen und Autorenmasken. Immer wieder bezeichnete er den Feind dabei als „eigne Frage als Gestalt“; in seiner antisemitischen Rede Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist sprach er zwar von „Wendepunkten“ und „Maskenwechseln“ jüdischen Verhaltens. 9Wenige Autoren betrieben Geistesgeschichte aber so konsequent wie er selbst als ein präsentistisches, in die Gegenwart zielendes Maskenspiel. 10Zentrale Beziehungen und Mentoren seines Werkes verschwieg er – nach 1933 und 1945 – auch. Er demaskierte Feinde und verschleierte sein eigenes Spiel. Die Autorenmasken, die er seinem Werk über die Jahre aufsetzte, um bestimmte Konstellationen perspektivisch zu treffen, sind kaum zu zählen: Donoso Cortés oder Hobbes, Benito Cereno, Savigny, Hamlet oder Eusebius sind nur einige davon. In seiner späten Schrift Theorie des Partisanen identifizierte Schmitt sich mit dem französischen General Raoul Salan, der im Algerienkrieg „der unerbittlichen Logik des Partisanenkriegs erlag“ (TP 66) und gegen den französischen Präsidenten de Gaulle putschte: „Er berief sich gegen den Staat auf die Nation, gegen die Legalität auf eine höhere Art Legitimität“ (TP 86). Diese Legitimität wurde Schmitt so fragwürdig und fraglich wie die Legalität selbst, weshalb seine Profilierung von Legalität und Legitimität in juristischer Reserve auch auf starke normative Geltungsansprüche verzichtete und „Naturrecht“ wie „Rechtspositivismus“ gleichermaßen zurückwies. Schmitt erscheint in den folgenden Studien als dekonstruktiver Diagnostiker und Mineur noch der eigenen Positionen. Schrieb er zuletzt an einer „Legende von der Erledigung jeder Politischen Theologie“, so zielt die vorliegende Sammlung auf eine kritische Analyse seiner Legitimitätslegende, um die Kategorien der Legalität und Legitimität von polemischen Hypotheken zu lösen.
Vorwort
Zur Einführung in die Thematik
Teil A: Gegenrevolutionäre Profilierung im geistesgeschichtlichen Spiegel
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