Er sah die Frau an: „Ich bin Fabien. Die meisten nennen mich allerdings Chip, ist mein Spitznamen.“
„Chip? Wie kam es dazu?“
„Wenn ich das wüsste! Freunde fingen damit an und es blieb an mir haften. Och, irgendwie passt es zu mir.“
Sie lächelte. „Sehr erfreut, mein Herr. Du magst Hunde wirklich. Und sie dich.“
„Ja. Sieht so aus.“
Sie malte mit ihren Fingern Muster in den Sand und genoss die friedliche Stimmung zwischen ihnen. Wer weiß, wie lange sie anhielt. Sie sah ihm in die hellen grünen Augen oder betrachtete sein Profil. Das war keiner von diesen hübschen und doch faden Strandboys. Er wirkte nicht oberflächlich. Im Moment war er angenehm. Aber sie wusste, dass sich das schnell ändern konnte. Er war ein interessanter und nicht einfacher Mann.
Sie sahen beide zu dem dunklen Umriss am Ufer. Es schauderte ihn. Von weitem war eine Sirene zu hören. „Die Flics“ Er schnitt eine Grimasse. „Da kommen sie.“ Das Geräusch wurde lauter. Zwischen den Dünen, bei einem befahrbaren Durchgang brachen Fahrzeuge durch. Keine Service-Fahrzeuge, nicht die Müllabfuhr oder die Sanität. Die Polizei. Er stand auf und rannte los. „Bleib mit dem Hund hier.“ Der angenehme Moment war verflogen.
Sie hatte Lyria festgehalten und sah, wie er die Fahrzeuge zu der Stelle winkte und wartete. Einer stellte Fragen, machte Notizen und ließ Fabien gehen. Als er wiederkam hatte er wieder sein verdrießliches Gesicht. „Du magst die nicht.“
„Nein. Du etwa? Meistens hat man doch nur Ärger mit den Jungs. Wer mag die schon. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich habe denen gesagt, was ich wusste und was ich nicht wusste, die Personalien angegeben und soll vorläufig verfügbar bleiben. Das übliche. Aber ich hoffe, ich höre nichts mehr von ihnen.“
„Du kennst das?“
„Wieso? Wegen meiner Aufzählung? Oder weil ich sagte: das übliche? Wieder legst du einfach etwas in meine Worte hinein. Schaust du keine Krimis? Es könnte aber auch sein, dass ich es aus eigener Erfahrung kenne. Du hast es mit einem Räuber zu tun. Sieh dich vor.“ Er spottete und sie schwieg diesmal.
„Das hier scheint mächtig spannend für dich zu sein, dass du immer noch hier bist.“
„Du hast gesagt, ich soll hier bleiben.“
„Oh … aha. Auf einmal hörst du auf mich?“ Er stichelte, merkte es jedoch selbst früh genug. „Nein, lassen wir das, sonst kriegen wir uns in die Haare. Wohnst du in der Nähe?“
„In der Pension „Etoile Rouge“. Das ist nicht weit von hier.“
„Dass es nicht weit ist, brauchst du mir nicht zu sagen. Das weiß ich. Vergessen? Da bin aus meinem Zimmerfenster gesprungen, weil mir danach war. Seit ein paar Tagen wohne ich dort.“
„Das ist deine Art, ein Haus zu verlassen?“
„Es gibt mehrere Arten, das zu tun. Manchmal. Es bot sich an. Unten der weiche Sand und …“
Er stutzte – ihm war etwas aufgefallen -, er dachte an den Anhänger, an den Stein des Bandes, an die Sternenform, an … „Weißt du, weswegen die Pension einen solchen Namen trägt?“
Seltsam die Frage auf einmal. Sprunghafte Gedankengänge.
Sie reagierte leicht zögerlich mit ihrer Antwort, so als wäge sie ab, was sie sagen wollte und was nicht. Ihr fiel auf, dass ihn daran etwas besonders beschäftigte. „Nein. Ich bin heute erst angekommen. Aber das ist bestimmt herauszufinden und es interessiert mich. Warum fragst du das so plötzlich?“
„Es fiel mir plötzlich ein. Darum.“
„Aufschlussreich Chip, sehr aufschlussreich. Wenn ich etwas erfahre, verrate ich es dir, wenn du willst.“ Sie musterte ihn noch einmal.
„Ich will frühstücken gehen. Es wird Zeit. Ich habe Hunger. Magst du mit mir zurückgehen oder verträgst du nach dem Fund nichts, weil dein Magen zu empfindlich reagiert?“
„Hör auf.“
„Womit?“ Musste sie das nun tun, wenn schon er etwas vernünftig geblieben war? „Mich zu reizen.“
„Reizmagen? Das ist bedenklich.“
„Es ist mir ernst.“
„Okay, okay. Langweiler!“
„Wie bitte?“
„Du gehst wegen jedem Kinkerlitzchen in die Luft.“ Sie lachte und er wehrte sich gegen das Bedürfnis, sie zu packen und ihr eine kleine Lektion zu erteilen von wegen Langweiler. Am meisten jedoch wehrte er sich gegen sein aufkommendes Begehren. Er wollte es nicht und doch ließ es seine Augen glitzern. Er hasste es. Er hasste sein Feuer, manchmal, nicht immer, heute wohl, und seine Wirkung. Schroff fuhr er sie an: „Ich bin nicht an dir interessiert.“
„Oh ja, das sehe ich.“
„Marie, lass es! Lass es um Himmels Willen sein!“
„Ich muss dich enttäuschen. Wenn du denkst, du bist der einzige Rebell hier, liegst du falsch. Ich tu’ und lasse und denke und rede, was ich will. Keiner hat mir zu sagen, was ich soll und nicht soll und du schon gar nicht! Ich habe es dir schon einmal gesagt. Lass es endlich bleiben.“
Sie sah ihn kampfeslustig an und steigerte damit sein Verlangen. „Was versprichst du dir davon? Warum gehst du so schnell ran? Das ist nicht normal.“
„Du willst mir Maßstäbe setzen, was normal ist und was nicht? Wir haben in dem Punkt wie in anderen sehr unterschiedliche Ansichten.“
„Bist du dauergeil?“ Es war nahe daran mächtig zu krachen. Sie vergaß die angenehmen Aspekte. Er war zu schwierig. Ungehobelt. Der war nichts für sie. Sie war wütend und musste sich sehr zurück halten, atmete tief ein und aus, bevor sie darauf antwortete. „Willst du eine gelangt? Bist du darauf aus? Oder was ist es? Sieh dich an. Nach unten. Schau, wie du reagierst oder auch nur in dich hinein, dann frag mich noch einmal. Das bin nicht ich. Es hat noch nie jemand so auf mich gewirkt wie du das tust. Entschuldige, wenn ich dir zu direkt bin. Wir kennen uns nicht und fordern uns gegenseitig dauernd heraus. Verrückt. Es ist besser, wenn wir uns aus dem Wege gehen. Was weiß ich, was sonst geschieht. Genieße den Tag Fabien und vergiss den Morgen.“ Sie wandte sich ab. „Komm Lyria.“
Wer war diese Frau, die auf einmal wie ein Ereignis in sein Leben einfuhr? Er räusperte sich und fand, dass er sich albern benahm. Sie hatte Recht. Seine eigenen Reaktionen machten ihm Probleme. Er mochte, dass sie sagte, wie es war. Außerdem fühlte er sich in ihrer Nähe nicht nur herausgefordert. Da war mehr. Unangenehm war es nicht. „Hey, es war nett, dass du mit mir gewartet hast.“
„Nett? Was für ein Wort aus deinem Munde. Zwing dich nicht zu Floskeln. Das passt nicht zu dir.“
Fabien seufzte. „Dir kann man es nie recht machen. Und außerdem - Woher willst du wissen, was zu mir passt und was nicht?“
„Wieder Herausforderung. Woher weiß ich es? Ich taxiere, ordne ein und könnte dabei ganz falsch liegen. Stimmt. Entschuldige.“ Er musste lachen, ging an ihrer Seite zurück, auch wenn er bestimmt besser Bogen gemacht hätte. „Eine ziemlich explosive Begegnung.“
Sie lächelte. Was für eine Mischung. Der Mann war herausfordernd, sexy, gut aussehend und schien doch mehr im Kopf zu haben als ein nächstes Abenteuer. Es gefiel ihr. „Stimmt.“ Wieder überwogen die guten Dinge. Und er kämpfte die Gefühle, die bei ihrem Lächeln aufkamen nieder.
Sie saßen sich später im Speisesaal gegenüber. Um zu frühstücken war es nicht zu spät. Sie waren ziemlich früh morgens unterwegs gewesen. Sie mochte Frühstück. Es zauberte eine entspannte Ambiance. Aber entspannt mit ihm am Tisch?
Draußen bewegten sich die Bäume selbstverständlich im Wind, die Sonne fragte keinen um Erlaubnis zu scheinen und er brauchte keinen anzutippen, um den zu löchern, ob seine Existenz eine Berechtigung hatte oder nicht. Er saß hier. Das reichte. Vis-à-vis diese in jeder Hinsicht und in jeder Bedeutung des Wortes aufregende Frau. Er versuchte leichte Konversation zu machen und Café und Croissants zu genießen. Zum Teufel, er benahm sich nicht normal. Die Spannung zwischen ihnen stieg an. Ein Wort, ein Blick, eine Geste und es war soweit. Die Worte platzten aus ihm heraus. „Was willst du von mir Marie?“
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