Eine Weile saß sie in den Dünen, genoss den Morgen, spielte mit dem Hund. Sie sah jemanden vorbei rennen und wunderte sich über sein horrendes Tempo. Groß und blond war er. Von weitem sah er gut aus. War das der Blonde von der Pension? Sie hatte Mühe, Lyria davon abzuhalten, hinterher zu rennen. Nun entschloss sie sich, selbst weiter zu wandern. Der Tag war schön. Frühstücken konnte sie später oder gleich zum Mittagessen übergehen. Je nachdem wie ausgedehnt ihr Spaziergang wurde. Sie war nicht in Eile. Als sie vorne am Ufer ankam, zog sie ihre Schuhe aus und kehrte der Sonne den Rücken zu. Sie war nah beim Wasser, ließ ihre Füße durch die kleinen Wellen waten. Es kitzelte, tat gut. Der Mann war weit vorne zu sehen. Sie ließ die Hündin von der Leine, spürte die Sonne auf dem Rücken. Es ging ihr gut. Und dann sah sie, wie er zusammenbrach und liegen blieb. Doch als sie in seiner Nähe war, hatte er sich wieder aufgerappelt und schwamm im Wasser. Seine Kleider lagen am Ufer. Sie beeilte sich, weiter zu gehen. Noch ein Stück, bevor sie umkehrte. Heute war es zu schön am Strand.
***
Was war das? In seinen angenehmen Traum hinein berührte ihn etwas Kühles. Einen Augenblick setzte sich der Traum fort, dann zerplatzte er. Er erinnerte sich nicht mehr daran, als er aufwachte. Es kitzelte, erzeugte Gänsehaut. Es berührte ihn an der Seite, am Rücken, arbeitete sich zum Gesicht vor. Da wehrte er ab und spürte unter seinen Fingern Fell und eine kühle Nase, eine Zunge. „Hey! Was zum ...“ Er blinzelte, öffnete die Augen einen Spalt weit. Zu mehr reichte es noch nicht. Neugierige dunkle Hundeaugen sahen ihn freundlich und sanft an. Gut und Recht, aber … eigentlich war das nicht in seinem Sinne. Wäre der Hund eine schöne Frau … Fing das schon wieder an? Er war verdorben. Und wenn schon. Warum regte er sich dauernd über sich selbst auf. So ein Quatsch. Er war ein Kerl.
Die Augen gehörten zu einer Mischung. Er kannte sich zu wenig aus, um definieren zu können, was da alles zur Mixtur mitgewirkt hatte.
„Na du?“ Er gähnte ausgiebig. „Was tust du hier? Du raubst mir meine Träume. Zu wem gehörst du?“
„Es ist nicht gut, in der Sonne so tief zu schlafen. Sie holen sich einen Sonnenbrand oder schlimmer: einen Sonnenstich. Wenn Sie sich ihren Hintern verbrennen, ist das nicht tragisch, wenn auch schmerzhaft, aber mit Sonnenstich ist nicht zu spaßen. Lassen Sie sich ihre Träume dankbar rauben.“
Die weibliche Stimme gehörte vermutlich nicht zum Hund, trotzdem blieb er vorerst bei diesem Gesprächspartner: „Und wie heißt du, dass du glaubst, mir Vorträge halten zu müssen?“
„Lyria“, meinte die Stimme. Wenn diese Stimme doch zum Hund gehörte, war er übergeschnappt. „So heißen Hunde nicht.“ Durchgeknallt war er schon lange.
„Ich schon.“
Er beendete das Spiel, blinzelte und hob seinen Kopf in Richtung der tatsächlichen Stimme ohne richtig hinzusehen. Wer das war interessierte ihn nicht. „Das geht dich einen Scheiss an!“
„Was für ein freundliches Kerlchen am schönen Strand.“
„Der Strand ist groß genug, so dass du woanders gescheit sein kannst. Du stehst mir in der Sonne.“
„Brauchen Sie die zur Schönheitspflege?“
„Witzig! Nimm den Hund mit dem großen Lappen und dem komischen Namen von mir weg. Ich bin gewaschen.“
„Dein Mundwerk auch?“
„Was ist damit? Passt es nicht?“
Langsam sah er deutlicher. Aus dem Schemen mit Umrissen wurde eine Gestalt. Aus den diffusen Konturen wurde eine Frau. Er machte eine abwehrende Geste, als müsse er ein Unheil vertreiben. Bloß das nicht und auch noch jung. Von Frau hatte er genug. Keinerlei Bedarf an Bekanntschaft und keine Lust, sich mit so einer auseinander zu setzen, selbst wenn es spannend war, weil sie gut zu kontern verstand und auf den ersten Blick nicht hässlich war. Er kannte sie von irgendwo her. Das Kontern war Spiel. Jagdverhalten. „Es ist eine Riesenklappe.“
„Muss es. Die brauche ich. Schönheitspflege habe ich nicht nötig. Nimm lieber den Hund weg.“
„Sie mag dich.“
„Mag sein. Ich mag Hunde, stell dir vor – und Katzen und weitere Tiere. Aber ich mag keine Frauchen, die sie nicht im Griff haben.“
„So etwas siehst du auf den ersten Blick.“
„Ja, sehe ich, spüre ich. Das ist kein Kunststück. Er schlabbert mich ab. Nimm ihn weg.“
„Sie. Es ist eine sie. Sie scheint Gefallen an dir zu finden.“
„Ich steh nicht auf Hunde. Eine Sie, klar! Dann nimm diese ‚Sie’ weg.“
„Du liegst verführerisch da. Da musst du mit Manchem rechnen, auch mit Überfällen. Legst du es nicht darauf an?“
„Nein, ich liege nur im Sand, weiter nichts. Und ich will meine Ruhe.“
Sie betrachtete ihn, spitzte ihre Lippen, schnalzte mit der Zunge, ließ ihre Augen streifen. Donnerwetter noch mal. Er spürte, dass seine Haut reagierte. Das ärgerte ihn. Musste das sein? Das war immerhin zu sehen. „Wäre da nicht deine große giftige Klappe, ein bisschen mehr Manieren und Charme …“
„Was dann? Was wird daraus?“
„Durchaus ansehnlicher. Doch ... stimmt. Es ist keine Schönheitspflege notwendig. Das wolltest du bestimmt bestätigt haben.“
„Und?“
„Mal es dir selbst aus.“
„Machst du mich an? Was bist du denn für eine?“
„Nein. Ich sage wie es ist. Darunter verstehe ich nicht Anmache. Ich sehe, dass du schnell etwas hinein interpretierst, was nicht da ist. Darin hebst du dich nicht von anderen ab.“
„Hör bloß auf!“
„Womit? Und was ich für eine bin? Du bist mir heute vor die Füße gesprungen, als ich ahnungslos an einem Haus vorbei ging.“
Ach du Schande! Daher kannte er sie. Pah, aber egal blieb es trotzdem und anbandeln war nicht. Also blieb er bei seiner Strategie der Grobheiten. Damit gelang ihm meistens die Abschreckung. Er musste es steigern. Sie war von der hartnäckigen Sorte.
„Direkt? Im ernst?“ Er musterte sie. Seine Augen wirkten ärgerlich. „Das kannst du von mir haben. Du wendest eine plumpe Masche an. Oder du spielst du die Direkte, um Interesse zu wecken.“
„Masche? Nein, so etwas habe ich nicht nötig. Außerdem - Kann ich wissen, ob dir das zusagt? Ich kenne dich nicht.“
„Lass es. Ich kenne eure Tricks.“
„Eure?“
Sie sah sich suchend nach allen Seiten um. Sein Ärger nahm zu. „Euch Weiber! Kein Bedarf, klar! Also troll dich mit deinem Hund.“
„Bist du schwul?“
„Nein, das bin ich nicht. Und wer interpretiert nun?“
„Bingo. Ein Punkt für dich. Aber mir gefällt es hier. Die Aussicht ist perfekt, genau richtig. Ich wüsste nicht, warum ich mich trollen sollte. Ich bleibe wo ich will und gehe, wann ich will.“ Sie setzte sich neben ihn in den Sand, ließ diesen durch die Finger rieseln, schmunzelte und wirkte zufrieden.
„Na gut. Wenn du meinst. Mir gefällt es hier nicht mehr.“
„Och schade. Aber deine Sache.“
Er spürte ihr Betrachten auf seiner Haut – überall. Es irritierte ihn, verwunderte ihn, ärgerte ihn in seiner Stimmung und doch nicht. Es gefiel ihm, regte ihn an. Aber er wollte es nicht. Und wenn, nur zum Spaß. Für Spaß allein war er zu haben. Nein, die wollten immer mehr, selbst wenn sie es abstritten. Bloß weg. Zu gefährlich. Sie war gefährlich mit ihren Herausforderungen und den Blicken.
Er stand auf, putzte so gut es ging den Sand von seiner Haut, drehte ihr den Rücken zu und zog sich an. Er wusste, wo ihre Augen waren. Bevor er weiter ging, wandte er sich ihr noch einmal zu und betrachtete sie ausführlicher. Dunkle lange Haare. Hellgraue Augen, schöne Haut, gute Figur. Nein! Weg hier! Er wandte sich ab und ging.
Der Hund folgte ihm ein Stück. Er kümmerte sich nicht darum, spürte noch immer irritiert ihre Blicke. Sie rief schließlich nach dem Hund und der rannte zurück. Hund schon. Er nicht. „Den kommandiere herum, nicht mich.“
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