Esther Grünig-Schöni
Schlafen - Die Nacht und das Andere
Nur ein kleines Dorf - gleich um die Ecke
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Esther Grünig-Schöni Schlafen - Die Nacht und das Andere Nur ein kleines Dorf - gleich um die Ecke Dieses ebook wurde erstellt bei
Schlafen - Die Nacht und das Andere Schlafen - Die Nacht und das Andere Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt. Vorurteile, Misstrauen und Angst vernebeln klare Sichten, lassen Gelegenheiten verpassen, Mögliches nicht sehen. Doch manchmal verändert sich alles – wegen eines Einzelnen – eines Fremden.
Er taucht auf
Wer ist er?
Isabelle und viele Fragen
Der Fremde im Heu
Die Detektive
Was geschieht?
Kann man ihn loswerden?
Marianne
Etwas bahnt sich an
Wo? Was? Warum?
Ausklang
Informationen
Impressum neobooks
Schlafen - Die Nacht und das Andere
Die Personen und Handlungen in dieser Geschichte sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Vorurteile, Misstrauen und Angst vernebeln klare Sichten, lassen Gelegenheiten verpassen, Mögliches nicht sehen. Doch manchmal verändert sich alles – wegen eines Einzelnen – eines Fremden.
Bemerkungen zum Titel des Buches
Den Ort, in dem sich die Geschichte zugetragen hat, nenne ich Schlafen. Es könnte jeder Ort sein und er könnte überall sein.
Die Nacht= Das Festgefahrene, der Tunnelblick und auch oft das Dunkle.
Das Andere= Die Veränderungen, das Fremde, das Unbekannte. Spannend und faszinierend einerseits und für manche beängstigend und bedrohlich andererseits.
Ist's nicht besser, hinter selbst aufgerichteten Mauern zu leben, nichts zu wissen und zu sehen? Ist es nicht besser, in der eigenen gewählten Enge anständig zu leben, ohne anzuecken? Ohne Auseinandersetzungen mit anderen und sich selbst. Ohne Kontraste. Durchschnittlich.
Danke auch an Karina Pfolz und an die Lektorin Tanja Dechet für ihre Arbeit und Hile.
Es war Mitte Juli in einem kleinen Dorf, in dem sich jede und jeder kennt, jeder alles vom Nachbarn zu wissen glaubt. Ein Bach schlängelt sich an den Häusern vorbei, durch Wiesen voller wilder Blumen. Hier, ausgerechnet hier in Schlafen, dem ziemlich abgelegenen Bauerndorf, ereignete sich etwas, von dem die Menschen noch Jahre später ab und zu sprachen und woran viele oft denken mussten. Eigentlich war's nichts Weltbewegendes: keine ungestüme Naturgewalt, keine Sensation, kein politisch fragwürdiger Schachzug; und doch störte dieses Vorkommnis eine bürgerlich festgefahrene Idylle und das auf eine Weise, die nachwirkte. Etwas Geheimnisvolles wohnte dem Ganzen inne. Vielleicht war es sogar leicht unheimlich, denn es geschahen Dinge, die es hier noch nie zuvor gegeben hatte. Oder dachten sie das alle nur und war es schon einmal wie unbemerkt an ihnen vorbei gezogen?
Alles begann mit einem Mann, der vom Waldweg herkam. Er schritt aufs Dorf zu. Er war nicht mehr jung; einer mit einem lustigen schwarzen Béret auf dem dichten dunkelbraunen Haarschopf (dem ein Haarschnitt nichts geschadet hätte), ein Mann mit aufmerksamen Augen. Seine schlanke Gestalt passte nicht recht zu der leicht schleppenden Gangart; und immer wieder hielt er kurz ein, um sich zu orientieren, um einen Ausblick in sich aufzunehmen. ‚Ach, da ist es ja! ‘
Eine bauchige, abgewetzte Reisetasche aus Jeansstoff mit bunten Flicken darauf trug er bei sich. Dunkelblaue Jeans saßen straff an seinem Körper. Ein bequemer rostroter Pullover und eine abgeschabte braune Lederjacke hingen darüber. Seine Füße steckten sockenlos in ausgetretenen Lederschuhen von undefinierbarer Farbe. Schweiß perlte dem Wanderer über die Stirne. In der Ferne hinter den Baumwipfeln auf den Hügeln zuckten schnelle Blitze, gleißende Sekundenlichter. Dann klang es, als würde über den Wolken gekegelt. Es rollte und grollte. Er fuhr sich mehrmals mit dem Handrücken übers Gesicht, rieb die Hand an der Hose trocken.
Es - das Dorf lag vor ihm, friedlich und wie ohne Leben: Schlafen. Er hatte von ihm gehört, es gesehen, kannte es, obwohl es sich in der Senke zwischen Hügelzügen gut versteckte. Groß war es nicht; die meisten Häuser umstanden steinwurfweit eine mächtige, weiße Kirche. Still war's. Als er näher kam, war es jedoch aus mit der Ruhe. Eine Meute Hunde kam ihm entgegen, angeführt von einem Schäferhund Mischling wedelnd, hechelnd, mit aufgerissenen Schnauzen und triefenden Lefzen. Sie kläfften ihn an, beschnupperten ihn und seine Tasche mit kühlen Nasen, satzten um ihn herum und standen an ihm hoch. War das nun Abwehr und Verteidigung des Dorfes oder freudige Begrüßung? Der Mann lächelte nur, sprach hier und dort mit einem lustigen Wort auf sie ein und marschierte weiter, begleitet von dem Rudel Vierbeiner.
Kinder, großäugig, versteckten sich tuschelnd und kichernd hinter einer ausladenden Baumgruppe. Einige der Größeren drückten sich um die Ecken der Häuser und Ställe, verfolgten ihn mit neugierigen Blicken. Eine alte Frau stützte sich auf ihren Fenstersims mit Geranienkästen; der Großvater hielt sich an seinem mit Schnitzwerk verzierten Stock fest. Eine Gruppe von Frauen drehte sich nach dem Fremden um, musterte ihn vom Kopf bis zu den Füssen und fand, hinter vorgehaltener Hand, zu einem Urteil. Zwei Männer unterbrachen ihren Feierabendschwatz und starrten ihn an. Eine junge Frau lächelte ihm freundlich zu, stupste ihre Freundin an. "Wer ist denn das? Der ist nicht von hier." "Ein Wanderer. Irgendein Wanderer." "So sieht er nicht aus." ‚Ich bin ich. Einfach ich! ‘ dachte der Mann schmunzelnd, denn er mochte unbeantwortete Fragen zu seiner Person. Schon fielen die ersten Regentropfen, bildeten sofort Flecken auf dem Boden. Sie zischten leise drohend, wenn sie auf heißes Blech trafen. Sie netzten die Dächer und Straßen, kühlten die schweißige Haut. 'Ich lösch' dich, Feuer, lösch' dich, Wärme und dich, Durst! Ich deck' dich zu, Leidenschaft, mit meiner Nässe. Ich bin sanft, aber stark. Und wir sind viele...' flüsterten die Wassertropfen, wurden lauter und lauter im Rhythmus. Wind kam auf, bauschte Röcke, entführte Hüte, klappte Schirmdächer um, zerrte an Hemden und Vorhängen in noch offenen Fenstern. Die Bäume rauschten. Die Stille, noch eben auf allem lastend, war nur ein Atemholen vor dem Aufruhr gewesen.
Alles schien in Bewegung geraten, die Landschaft drohte im Lärm zu versinken. Die Flaggenstangen ließ der Wind gespenstisch singen, peitschte das Schild des stattlichen Gasthauses, den Goldlöwen an seinen Ketten hin und her und machte es schmerzhaft quietschen. Der Mann blieb stehen. Ein solches Gasthaus war oft der Nabel eines Ortes, und sein Name sagte viel über den Charakter der Gemeinde aus. Aber dieser hier? Was sagte er aus? Wie war dieser Name entstanden? Durch ein Ereignis? Eine Sage, in der ein goldener Löwe eine Rolle spielte? Durch einen Geistesblitz, eine Tradition, einen Traum? Oder war der Name einfach der Phantasie entsprungen? Überall war er auf Hirsche, Bären, Rössli und Löwen gestoßen, aber noch auf keinen goldenen. Wie dem auch sei - der "Goldene Löwe" kam ihm gelegen. Der Regen verstärkte sich. Der Fremde drückte auf die Eisenklinke der Holztür, die mit üppigen Schnitzereien versehen war, wie er sie auf dem Land oft gesehen hatte. Die Türe knarrte. Dahinter tat sich ein kahler Gang auf, von dem verschiedene Türen abgingen. Ganz am Ende stand ein Zigaretten-Automat. Es roch süßlich und nach Bratenfett. Auf einer der Türen stand "Gaststube". Die öffnete er und trat in einen rauchgeschwängerten Raum. Zum Zeitpunkt des Geschehens war es durchaus noch üblich, dass Rauch im Raum stand. Heute ist er selbst aus allen Balken verschwunden, denn in Gaststuben wird nicht mehr geraucht. "Guten Abend."
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