Er verbog sich für Niemanden. Die meisten, denen er begegnete konnten nur eine kleine Weile damit umgehen. Jeder Mensch hatte Anrecht auf seine Persönlichkeit. Wenn das mit einem anderen nicht ging, tant pis. Niemand sollte das aufgeben müssen. Wer es tat, verriet sich selbst. Was brachte das? Frust. Bitterkeit. Tränen. Unzufriedenheit. Die Welt war voll solcher Menschen. Das kam für ihn nicht in Frage.
Wie war er? Grob, wild, zäh, hart, ausdauernd. Weich? Nein! Zärtlich und romantisch? Nein! Oder … Er sollte sich nichts vorlügen. Er war allein, keiner hörte in ihn hinein oder zerlegte ihn in Einzelteile. Diese Seiten gab es. Sie ließen ihn Schlenker machen. Er war draufgängerisch, wenn auch meist nicht zu unvernünftig. Eine Art Gefühlsmensch und doch nicht. Er war kräftig genug. Seine Haare? Wie hatte das jemand benannt – wie wilder Weizen, bereit zur Ernte auf dem Feld und nicht zu bändigen. Trotzdem wollte er die nicht kürzer haben. Er war auch nicht zu bändigen. Seine Haut? Er musterte die Arme. Im Sommer gut und durchgehend gebräunt trotz seiner hellen Haare. Frauen meldeten, er fühle sich gut an. Zerknittert war er nicht. Alles straff und glatt, nicht sehr behaart. Rasiert hatte er seinen Körper nie und doch waren es nur kleine feine weiche Haare. Er tat wenig oder sogar nichts und fiel ihnen auf. Eine Weile mochten sie ihn, arrangierten sich, spielten mit ihm und … er Idiot … begann sich zu öffnen. Aber je mehr sie von ihm wussten und seinen schwierigen Charakter erlebten … früher oder später wollten sie ihn ändern. Ging das nicht, flohen sie.
Mist! Er war wieder bei seinem leidigen Thema angelangt. Es war noch zu frisch. In den Dingen war er doof und dachte: „Diesmal haut es hin. Du kannst dich ganz geben wie du bist. Sie versteht und … macht alles mit und …“
Und immer wieder - auch dieses Mal - wurde es zu viel und die Flucht wurde nach Endlosdiskussionen, Rumgemotze und nach vielen Vorträgen – nach Vorwürfen – angetreten. Wunden entstanden, Narben blieben. Erfahrungen, die prägten. Seit er Dany verloren hatte – zu früh – war es immer so gewesen. Er war für dauerhafte Partnerschaften nicht geschaffen. Dumme Kuh! Das war sie, diese Trine, diese … Es half ihm, sie so zu nennen. Der Anhänger könnte gut ihr gehören oder einem anderen Weib! Sie waren alle gleich.
Er drehte den Anhänger wieder um, sah beiläufig Buchstaben und Zahlen. Verflixt noch mal! Das Kapitel war abgeschlossen. Vor einer Woche hatte ihn erneut jemand von sich gestoßen. Eine Weile war es gut gewesen. Einige Szenen ließen ihn schmunzeln. Doch er hatte es kommen sehen, hatte die Zeichen, die sie ihm zunehmend lieferte, interpretiert, vorsichtig nachgeforscht, sie direkt gefragt und … Beteuerungen gehört:
„Nein, nein, beruhige dich. Es ist nicht so. Ich liebe dich. Ich lasse dich nicht allein. Es ist schön mit dir. Du kannst mich verstehen. Es ist nur eine schwierige Zeit.“
Verstand sie ihn? Er hatte es sich zu sehr gewünscht. Nun war Nathalie weg wie zuvor Monja, wie Gabrielle, wie Natasha. Sie hatte von einem Moment auf den anderen ihre Sachen gepackt. „Du bist und bleibst ein unverbesserlicher Kindskopf!“ und war aus seinem Leben verschwunden. Weg. Weil sie nicht anders konnte – nach ihrer Meinung – und es für sie am besten war. Aus! Das Kapitel war für sie abgeschlossen.
Der Anhänger hätte von ihr sein können. Sie mochte Kitsch. Altes Zeug. Wegen diesem Teil spulten die Gedanken ab. Es war eine stürmische, wilde Beziehung gewesen. Starke Frau, hatte er gedacht. Nichts da. Irrtum! Gleichklang zwischen ihnen. Trugschluss. Sie war nicht auf ihn und seine Vorlieben eingegangen, weil sie es wollte und es zu ihr passte, sondern um ihm zu gefallen, weil sie dachte, er wolle es so. Falsch. Nun war er an allem Schuld. Sie intensivierte alles zwischen ihnen bis zum Exzess, hatte nur ihm zuliebe so und so gehandelt und gefühlt. Das tat sie allen kund, die zuhörten. Seine Erwartungen? Blödsinn. Sie hatte es in ihn hinein gelegt. Er hatte keine Erwartungen gehabt, verflixt. Sie dachte und redete es in ihn hinein und vergaß ihren Part in der Geschichte. Es war unfair. Sie konnte ihn nicht glauben lassen, es sei gut für sie und dann behaupten, sie habe die ganze Zeit ihm zuliebe gelitten. Wer hatte sie dazu veranlasst oder gezwungen? Scheibenkleister! Er hatte also nur gedacht, dass es gut zwischen ihnen war. Warum hatte er es so stark gespürt? Das gefühlt, was er gefühlt hatte? Sich gegeben. Sie geliebt. Sie hätte ihm sagen sollen: „Du, ich will das nicht.“ Deutlich, klar, eindeutig. Sie hätten eine Lösung gefunden oder wären früh genug getrennte Wege gegangen. Aber nein, sie trieb es lieber weiter, bis es beide in einen Strudel riss, der ihnen wehtat. Das wäre zu vermeiden gewesen. Es war auf jeden Fall nicht richtig von ihr, was sie ihm unterstellte und was sie ihm angetan hatte. Ein Scherbenhaufen lag um ihn her. Er blutete und konnte nur verwundert den Kopf schütteln. Eine Blessur mehr, die ihm bestimmt noch Probleme bereitete. Er hatte getobt, gewütet, für sich, gegen andere, so dass er seine Arbeitsstelle in Gefahr brachte und war dann schweigsam geworden. Wut und Traurigkeit wechselten heute noch ab. Er hatte geglaubt, sie wäre jemand, der mit ihm mithalten konnte. Weg mit den Gedanken. Weg mit dem Plunder! Er warf den Anhänger mit aller Kraft, die er mobilisieren konnte ins Meer hinaus. „Komm nicht zurück! Wage es nicht.“
Er presste seine Lippen zusammen. Bei ihm gab es kein Zurück. Geschlossene Kapitel blieben es. Verflixte Stolpersteine auf seiner Suche nach dem, wohin er wollte.
Die Wut baute sich erneut in ihm auf. Das ärgerte ihn zusätzlich. Er wollte Gleichgültigkeit. Dieses Kapitel musste er für sich schließen. Er ging los, schritt immer weiter aus, wurde schneller, begann zu rennen, erhöhte das Tempo, bis er sein Lauftrainingstempo erreicht hatte, bis er das Gefühl hatte, über den Sand zu fliegen – abzuheben - den Boden nicht mehr zu berühren. Fabien hatte für sich einen Weg gefunden, dass er das Tempo lange einhalten konnte, ohne zu ermüden, ohne schwerer zu atmen. Heute reichte ihm das nicht. Er wollte mehr. Seine Technik erlaubte es ihm länger als die meisten schnell zu rennen. An seiner Ausdauer hatte er immer gearbeitet und viel von sich gefordert. Diesmal ging er über die Grenze hinaus. Egal, wenn er zusammenbrach und liegen blieb. Egal, was dabei geschah. Egal wohin es ihn brachte und egal, wenn er nicht mehr war. Das war Unsinn. Dieser Typ war er nicht.
Auf einmal stoppte ihn sein Körper. Die Kraft war weg, die Lunge schmerzte, das Herz raste. Er brach zusammen – aber er lebte. Er blieb im Sand liegen. Er spürte. Es tat verteufelt weh und das brüllte er hinaus. Die Wellen erreichten seine Füße, zogen sich zurück, kamen wieder, kitzelten ihn. Schließlich nahm er ihr Rauschen wieder wahr und kam zu Kräften. Als er soweit war, stand er auf, riss sich die Kleider vom Leib und rannte ins Wasser. Es hatte mit seinen Füssen geflirtet. Nun bekam es ihn ganz. Schließlich tauchte er, schwamm, ließ sich hinein sinken, tauchte auf, fühlte Belebung, spürte das Leben. Er sah den Himmel über sich, die Wellen, die Vögel, die hoch über ihm im Wind segelten. Er war kämpferisch und nicht einer der aufgab. Er schwamm ans Ufer, legte sich auf den Bauch in den Sand und spürte, wie die Sonne von seinem Körper Besitz nahm. Es fühlte sich sinnlich an. Fabien legte den Kopf auf seine Arme und schloss die Augen. Das Streicheln des Windes und die Wärme der Sonne. Er mochte das Gefühl, wenn seine Haut darauf reagierte, ähnlich, wie wenn Hände darüber strichen. So schlief er ein.
***
Sie war mit dem Hund eines Freundes unterwegs. Serge hatte verreisen müssen und ihn, Marie in Obhut gegeben. Der Hund war eine Sie. Lyria hieß sie. Wie kam jemand auf einen solchen Namen für einen Hund? Beim Losgehen heute Morgen war ihr etwas Seltsames passiert. Ein blonder Kerl war ihr vor die Füße gesprungen. Er war von oben gekommen und hatte eine Shownummer abgezogen. Sie hatte geglaubt, er hätte so bei ihr landen wollen, aber darum schien es ihm nicht gegangen zu sein. Ein freches Mundwerk hatte er jedoch. Trotzdem hatte sie bemerkt, dass er ihr auf unverkennbare Weise nachsah. Auf die Weise wie das viele Männer taten. Sie schmunzelte. Erst war sie wirklich erschrocken. Schließlich fand sie es originell. Das war ihr noch nie passiert.
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