„Wovon redest du?“
„Davon. Von dem Buch, das ich dir gerade unter die Nase halte. Hast du dieses gelesen?“ Er untersuchte es. Es war trocken und heil, aber es war dieses. Er musterte sie brummig. „Ja. Und?“
„Jetzt kannst du lesen, wie es weiter geht.“ Sie legte es ihm in die Hände, sah ihn sich von oben bis unten an, lächelte, drehte sich still um und ging.
Er staunte. Sie musste es für ihn besorgt haben. Das andere war verdorben gewesen. Verflixt! Wie sie ihn angesehen hatte. Und … ihr Gang hatte etwas Elegantes an sich. Eigentlich schade, dass er sich entschlossen hatte, Einsiedler zu werden. Aber Mönch nicht. Dazu war er nicht geschaffen. Sie gab ihm Konter. Dieses verflixte Weib reizte ihn. Seine Wut verrauchte. Er war ein Idiot und hörte sich sagen. „Marie? Willst du nicht rein kommen?“
Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm. „Ist es ratsam?“
„Finde es heraus. Bist du mutig? Oder traust du dich nicht nach deiner Wasseraktion und hast auch du nur ein großes Maul?“
„Das war eine Retourkutsche für deine Ferkelei beim Essen. Ich konnte alles waschen. Es ist ausgeglichen. Du wirst diesen Ausgleich doch nicht gleich wieder gefährden? So dumm wirkst du nicht. Aber dein Buch wollte ich dir nicht verderben.“
Sie kam zurück und betrachtete ihn wieder. Er spürte ihre Augen. „Fabien, sieh mal, du darfst nicht so herum laufen, wenn du nicht vernascht werden willst. Ich bin auf nichts aus, aber … ich sehe vor mir einen frechen Jungen zum Anbeißen. Ich bin nur ein Mensch. Du kannst nicht so verführerisch sein und verlangen, dass jemand kühl bleibt, der einigermaßen normal tickt.“
Nun schmunzelte er. Das machte ihn attraktiver. „Hey, ich muss meine Kleider trocknen lassen.“
Sie trat ein. Er schloss die Türe. Es knisterte zwischen ihnen und für einmal stritten beide es nicht ab. „Du ... Sag bloß, du hast nur eine Jeans und ein Shirt im Gepäck. Verflixt! Du bist … zwar ein ungezogener Flegel und solche sind nicht auf meiner Favoritenliste, aber du bist mehr als sexy. Weißt du das nicht?“
„Doch.“
„Dachte ich mir.“
„Aber … ich will nichts anfangen.“
„Okay.“ Sie sah ihm in die Augen. „Akzeptiert. Es kommt mir entgegen, nichts anzufangen. Ich kann auf Komplikationen verzichten. Wie bereits erwähnt, solche wie du sind nicht mein Traum. Ich rede von deiner Art manchmal. Das Aussehen und deine Wirkung, das ist etwas anderes. Nur das allein ist nicht alles. Kühl lässt dich das auch nicht. Wenn du es abstreitest, lügst du. Ich sehe es dir an.“
„Nein, es lässt mich nicht kühl. Ich bin ein Mann.“
„Ach?“
Er nahm eine Hose aus dem Schrank und zog sie über. Sie sah ihm zu und dachte nicht daran, weg zu sehen. Als er sie musterte, kam nur. „Normalerweise bin ich direkt mit einer gewissen Höflichkeit. Der Unterschied zu dir. Entgegen deiner Meinung ist das vereinbar. Das lassen wir aber jetzt beiseite. Ich mag dich gerne ansehen. Und ja - du bist eindeutig ein Mann. Ich weiß bloß nicht mit letzter Sicherheit, was für einer. Was ist Maske, was ist Abwehr und was bist du? Ahnungen habe ich.“
Er lachte kurz. „Besser so? Mit der Hose?“
„Nein, nicht wirklich. Es ändert nichts. Aber ich nehme mich zusammen. Ich will dich nicht zu etwas drängen, was du nicht willst. Dein Körper will, aber dein Verstand sagt nein. Das muss zusammen stimmen. Wenn es soweit ist, sag es mir.“
Sie setzte sich auf einen Stuhl und sah ihm in die Augen. „Was tust du im Leben?“
„Vieles und Nichts. Und du?“
„Vieles und Nichts.“
Er lachte grimmig. „Du bist eine Nummer Marie! Okay. Im Grunde haben wir beide die gleichen Ausflüchte.“
Dieser Kerl war nicht nur der freche Junge. War es Tarnung? Sie tendierte zu nein. Wenn doch, geschah es nicht bewusst. Mit ihm konnte sie sich durchaus normal unterhalten, sich nicht nur fetzen und nicht nur Sprüche austauschen. Es konnte hart auf hart gehen. Sie hatten beide ähnlich sture Dickköpfe. Lohnte es sich doch, ihn näher kennen zu lernen? Noch war sie sich nicht sicher. Sie schwankte ständig hin und her. Zu einem abschließenden Urteil hatte sie nicht gefunden. Es war atypisch für sie. Sie legte den Kopf leicht schräg und lächelte: „Du hast am Strand gefragt, was der Name dieser Pension bedeuten könnte. Ich habe nachgeforscht. Es geht auf eine alte Geschichte zurück. Ein paar Dinge weiß ich dazu. Der Zugang zu diesen Informationen ist nicht schwierig. Gewisse Zusammenhänge kann ich jedoch nicht erkennen, aber …“
„Geht es um einen roten Stern, ist das nicht nur ein Fantasie-Name?“
„Ja. Um einen roten Edelstein, der „Etoile Rouge“ genannt wird. Dieser Edelstein ist Teil eines speziellen Schmuckstückes. Magst du die Geschichte hören?“
Er setzte sich ebenfalls, sah sie an, versuchte neutral zu werden und es ruhiger anzugehen. Sie hatte etwas an sich, dass es ihm schwer machte. Es löste Unruhe in ihm aus – mehr als das - anderes. Aber darüber wollte er nicht nachdenken. Die Frau war Versuchung für ihn. Nicht jetzt. Er versuchte es, in den Hintergrund zu drängen. Für ein schnelles Abenteuer war sie ihm zu schade. Mehr war nicht drin. Dilemma. Mann mit natürlichen Reaktionen und Bedürfnissen – Frau mit ebensolchen? Warum zu schade? Was für ein Blödsinn. Seine Birne war weich geworden. Zu schade. Warum so etwas? Kein Abenteuer. Komplizierter konnte er nicht mehr werden. Das war sonst das Privileg der Frauen. Er kratzte sich am Kopf und kam zurück zum Thema: Zuhören.
***
„Ich möchte, dass du mir ein Schmuckstück fertigst. Es soll ein Anhänger sein, den ich an einer langen Kette tragen kann. Aus erlesenem Material. Zu schwer sollte er nicht sein, aber so stabil, damit er eine spezielle Funktion erfüllen kann. Lass dir etwas einfallen. Du bist berühmt für deine Kunst. Du bist der beste. Aber …“
Sie sah sich um, lauschte. Hatte sie nicht etwas gehört? Ein Huschen? Ein Flüstern? War sie nicht vorsichtig genug gewesen? Sie ging leise zur Türe, riss sie auf. Niemand war da. Sie vergewisserte sich, dass niemand auch nur in der Nähe war und verschloss die Türe wieder. Die Vorsicht war angebracht. Neugieriges Gesindel gab es überall. Sie wandte sich dem Mann zu und musterte ihn ernst. In ihren Augen, die er nicht mochte, war Warnung zu erkennen, Bedrohung zu lesen und Autorität. Natürlich war sie eine Dame von Stand. Autorität gehörte dazu. Aber da war mehr. Sie war stark und kalt und es war nicht gut, sich mit ihr anzulegen. Das sah er in ihren Augen. Es fröstelte ihn. Grausam kamen sie ihm vor. Grausam war die hohe Dame. Er wusste es.
„… Du darfst mit niemandem darüber sprechen, es niemandem zeigen. Niemand außer dir selbst darf daran arbeiten. Du allein. Versprich mir das.“
„Ich verspreche es euch.“
„Du wirst mir allein die Funktion erklären und sie fortan vergessen. Ganz vergessen, als wäre nie etwas da gewesen, so als wäre ich nie hier gewesen. Ich werde dir allein beschreiben, was ich brauche. Versprich es mir bei deinem Leben. Das ist gewiss. Du wirst gut belohnt werden. Fürstlich. Aber dich und deine ganze Familie trifft ein Unglück. Du verlierst dein Leben auf schreckliche Art, wenn du dich nicht an dein Versprechen hältst. Nicht nur das. Deine ganze Familie mit dir. Nimm es ernst. Ihr werdet alle sterben, wenn du nicht vergisst oder wenn einer deiner Gesellen zu neugierig war oder nur etwas ahnt.“
Er beteuerte der hohen Dame im roten Gewand und dem dunklen Kapuzen-Mantel, den sie bestimmt draußen hochschlug, um unerkannt zu bleiben, dass er alles zu ihrer Zufriedenheit ausführen wolle und sein Versprechen halte. Im gleichen Moment erfasste ihn große Furcht, aber er verdrängte das Gefühl. Das Vermögen, das er gewinnen konnte, war ihm wichtiger. Damit lebte er lange gut und hatte weniger Sorgen. Sie erklärte ihm, was sie von ihm wollte. Es verwunderte ihn. Er dachte jedoch an süße Geheimnisse und stellte sich gerne der handwerklichen Herausforderung. Er hielt sich daran – wurde vermutet – erarbeitete es in aller Stille – allein – versteckt und konnte es ihr mit allen notwendigen Erklärungen übergeben.
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