KANN MAN GLÜCK KAUFEN?
Den allgemeinen Wunsch nach Glück nutzen Werbung und Ideologen rücksichtslos aus. Wohl wissend, dass sie die Menschen belügen, behaupten sie, dieses oder jenes Produkt führe zu Schönheit, Schlankheit, Beweglichkeit oder Jugend - und damit zum Glück. Man müsse es nur kaufen. Sekten versprechen Erlösung und Erleuchtung, wenn man sich ihren Vorstellungen und Forderungen völlig unterwirft. Dann werde sich das Glück einstellen. Statt Glück erwartet die Menschen bei ihnen aber harte Arbeit, Ausbeutung und ein weitgehender Verlust der Freiheit. Einige Menschen mögen sich in einer solchen Umgebung wohl fühlen. Aber Glück ist das nicht.
Man will uns davon überzeugen, dass wir uns nur genug bemühen müssen, dann könne man ständiges Glück erlangen. Erreicht man diesen Zustand nicht, bietet man uns andere Produkte zum Kauf an. Bald stellt man fest, dass man auch damit nicht das Ergebnis erhält, das man sich wünscht. So kauft und kauft und kauft man immer wieder neu und anders. Der Konsum steigt. Die Werbung hat ihr Ziel erreicht. Sie verkauft in erster Linie nicht Produkte, sondern Illusionen. - Diese Form der Jagd nach Glück hat die geradezu gegenteilige Wirkung. Die Erwartungen an das Leben werden so hoch getrieben, dass sie nicht erfüllt werden können. Deshalb sind die Menschen in den Industrieländern trotz des riesigen Warenangebots und der hohen Kaufkraft nicht glücklich. Die unaufhörliche, stets angetriebene, beinahe zwanghafte Suche nach mehr und anderem zerstört jede Aussicht auf Glück und Zufriedenheit.
DAUERHAFTES GLÜCK
Es hat sich als Grundüberzeugung in uns festgesetzt, wenn ich nicht so glücklich werde, wie ich nach Aussagen anderer eigentlich sein müsste, dann mache ich etwas falsch. Das bezieht sich unglücklicherweise auch auf den Lebenspartner. Wenn die aufregende Stimmung des Verliebtseins sich abschwächt oder endet, das berauschende Glücksgefühl verschwindet, ist man enttäuscht. Denn auch im Bereich der Gefühle erwarten wir, die Abendländer, stets das Maximum. Diesem Wunsch kann niemand gerechnet werden. Aber statt die eigenen unrealistischen Erwartungen zu korrigieren, versuchen wir, ob es mit dem nächsten Partner nicht doch noch klappt. Man überträgt seine Hoffnung und Erwartungen auf ihn. Scheitert man erneut, folgt ein erneuter Versuch. Das geht so lange, bis man dazu gelernt hat oder bis sich kein neuer Partner mehr findet.
Die erfolglose Suche nach dauerhaftem Glück und Anerkennung ist auch das Problem der nicht integrierten Kinder. Sie suchen den Grund dafür, dass sich ihre Erwartungen nicht erfüllen, ausschließlich bei den anderen. Dabei sind „die anderen“ alle die, die nicht zu ihrem sozialen und ethnischen Zuhause gehören. Die Schuld, so glauben sie, trägt die Gesellschaft. Das gilt im übrigen auch für alle sonstigen Nicht-Integrierten.
ZUFRIEDENHEIT
Aber vielleicht sagen wir auch Glück und meinen Zufriedenheit. Zufriedenheit ist ein angenehmes, dauerhaftes Gefühl. Es stellt sich ein, wenn wir in Übereinstimmung mit uns selbst und unserer Umgebung leben. Dann sind wir überzeugt, so wie jetzt könnte es eigentlich immer weitergehen. Uns fehlt nichts Wesentliches. Wir leben in überschaubaren Verhältnissen. Die materiellen Grundlagen sind gesichert. So haben wir Zeit genug, um uns der Familie, den Freunden und unseren Hobbys zu widmen. Wir sind eingebettet und geborgen in einem Geflecht menschlicher Beziehungen. Wir genießen Zuneigung, Wertschätzung und das uns entgegengebrachte Vertrauen. Wir werden bereichert durch Freundschaften und die damit verbundene gegenseitige Verlässlichkeit und Unterstützung. Partnerschaften sind segensreich, wenn sie sich auf Liebe, Vertrauen, Zuverlässigkeit und auf Achtung vor einander gründen. Solche Lebensumstände kommen nicht von selbst. Wir müssen uns darum bemühen. Wir müssen auf den anderen zu gehen und zum Gleichklang der Wünsche selbst ab und zu einen Schritt zurück tun. Wir müssen bereit sein, wegen des Gemeinsamen auf die Durchsetzung einiger persönlicher Ziele zu verzichten.
VERZICHTEN KÖNNEN
Und da sind wir bei einem Punkt angelangt, der sehr unmodern zu sein scheint. Auf etwas zu verzichten, das man haben oder tun könnte, wird meist als dumm, ja fast als krankhaft angesehen. „Warum soll ich mir etwas nicht gönnen, wenn ich es doch kann? Alle machen das so. Man lebt nur einmal. Und da sollte man doch so viel mitnehmen wie möglich.“ Das sind uns allen bekannte Vorstellungen. Verzicht, warum?
Ein Ergebnis des Nicht-Verzichten-Könnens oder des Nicht-Verzichten-Wollens lässt sich leicht beobachten. Man schaue nur auf die große Zahl Übergewichtiger aller Altersklassen und aller Gesellschaftsschichten. Die Dicken finden sich nicht besonders schön und anziehend. Sie sind mit ihrem Aussehen unzufrieden. Sie würden das gerne ändern, können es aber nicht. Sie können nicht verzichten. Sie schaffen es nicht, weniger zu essen und zu trinken. Sie können nicht Maß halten. Was für Essen und Trinken gilt, trifft auch auf viele andere Bereiche unseres Lebens zu.
ACHTUNG UND RÜCKSICHT
Was ganz offensichtlich im Laufe der letzten Jahrzehnte abhanden gekommen ist, das sind die gegenseitige Achtung, die Wertschätzung für einander und die Rücksichtnahme auf einander. Der Wert eines Menschen wird oft nur an seiner Nützlichkeit gemessen. Das war bis zu einem gewissen Grade schon immer so und ist in begrenzter Form auch sinnvoll. Wer mir hilft, wer mich unterstützt, der hat für mich naturgemäß eine viel höhere Bedeutung als jemand, den ich nicht einmal kenne. Die Menschen, mit denen wir umgehen, stehen uns näher als jene, die wir nur flüchtig kennen gelernt haben oder von denen wir gar nur hörten. Wir brauchen persönliche Beziehungen. Sie bereichern das Leben und erleichtern es. Nützlichkeitserwägungen, mögen sie auch unbewusst angestellt werden, spielen dabei eine Rolle. Aber die gefühlsmäßigen Beziehungen zu anderen Menschen sind von ungleich größerem Wert. Der Wert, den man als Einzelperson besitzt, erschöpft sich nicht im Grade der Nützlichkeit für die Umgebung. Jeder Mensch ist einzigartig in der Kombination von Aussehen, Charakter und Fähigkeiten, aber auch von Schwächen und Fehlern. Jeder ist ein Unikat, ein Einzelstück, etwas ganz Besonderes. Das gibt jedem Menschen einen unveräußerbaren Wert. Er wird nicht beeinflusst durch Hautfarbe, Geschlecht, Kulturkreis, Religion oder was es noch an Merkmalen gibt, die die Individuen unterscheiden. Unterschiede machen keine Wertungleichheit. Diese Erkenntnis führte zu dem Satz von der Gleichheit der Menschen.
Billigt man einem Menschen nur den Wert zu, den er aufgrund seiner Nützlichkeit hat, vertritt man eine zutiefst Menschen verachtende Weltsicht. Das führt unter anderem zu der Einstufung anderer als lebensunwertes Leben, als Stimmvieh, als Untermenschen oder wie die Ausdrücke sonst noch heißen mögen. Die eigene Überschätzung und die Verachtung fü die anderen führen zu Völkermord, Versklavung und Tyrannei. Die Geschichte ist voll von solchen Fehlentwicklungen. Diese Geisteskrankheiten sind bis heute nicht besiegt, wie man an den Mordbanden in Somalia, dem Irak und Nigeria sehen kann, um nur einige zu nennen.
GLEICHBERECHTIGUNG
Nicht unerwähnt lassen kann man die überaus verbreitete Schande, die die Unterdrückung, Ausbeutung und Ungleichbehandlung der Frauen darstellt. Wir tun uns viel zugute auf unsere Fortschrittlichkeit bei dieser Frage, aber ganz haben wir die Gleichstellung von Mann und Frau auch in Deutschland nicht erreicht. So wird zum Beispiel in sehr vielen Fällen immer noch kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt. Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts bestimmte der Mann nahezu alles. Heute gelten die Frauen als gleichberechtigt. Aber in den Gesetzen ist die Gleichstellung von Mann und Frau weiter fortgeschritten als in den Köpfen.
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