Fjodor Dostojewskij - Der Spieler. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes

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Der Spieler. Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes: краткое содержание, описание и аннотация

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Alexej Iwanowitsch kommt als Hauslehrer einer russischen Generalsfamilie in den noblen deutschen Kurort Roulettenburg. Man lebt weit über die eigenen Verhältnisse und wartet auf eine große Erbschaft. Alexej verfällt der Generalstochter Polina, am Roulettetisch soll er das dringend benötigte Geld auftreiben. Plötzlich taucht die überaus lebendige Erbtante auf …
"Der Spieler" ist Dostojewskijs Aufarbeitung eigener Erlebnisse an Wiesbadener Roulettetischen und im Kasino von Baden-Baden. Durch seine Spielesucht 1866 an den Rand des Ruins gedrängt, diktierte der russische Autor diesen Roman innerhalb von vier Wochen, nachdem er sein gesamtes Vorschusshonorar bereits verspielt und die Rechte an all seinen Werken verpfändet hatte. – Mit einer kompakten Biographie des Autors.

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Fjodor Dostojewskij

Der Spieler

Aus den Aufzeichnungen eines jungen Mannes

Übersetzt und herausgegeben von Elisabeth Markstein

Reclam

Die Übersetzung folgt der Ausgabe: Fedor M. Dostoevskij: Igrok. In: F. M. D.: Sobranie sočinenij v 10 tomach. Bd. 4. Moskau: Gosudarstvennoe izdatel’stvo chudožestvennoj literatury, 1956. S. 283−432.

2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

Coverabbildung: Bridgeman Images

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2021

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961898-2

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-020644-7

www.reclam.de

Erstes Kapitel

Endlich bin ich nach zwei Wochen Abwesenheit wieder zurück. Die Unsrigen waren schon drei Tage in Roulettenburg. Ich glaubte, sie hätten weiß Gott wie auf mich gewartet – weit gefehlt. Der General tat äußerst unbeteiligt, ließ sich zu einem kurzen Gespräch herab und verwies mich an seine Schwester. Es war offensichtlich, dass sie irgendwo Geld ergattert hatten. Mir kam es sogar vor, als schämte sich der General ein wenig, mich anzusehen. Marja Filippowna war überaus beschäftigt und beschränkte sich auf ein paar flüchtige Worte; das Geld nahm sie allerdings an, zählte nach und lauschte meinem Rapport. Zum Mittagessen wurde Mesenzow erwartet, dazu ein Französlein und noch irgendein Engländer; die übliche Moskauer Lebensart: kaum ist Geld im Haus, werden Gäste geladen. Polina Alexandrowna fragte, als sie mich erblickte, warum ich so lange fortgeblieben sei, und ging, ohne die Antwort abzuwarten, davon. ’s ist wirklich Zeit, dass wir uns aussprechen. Vielerlei hat sich angehäuft.

Man gab mir ein kleines Zimmer im vierten Stock des Hotels. Es ist hierorts bekannt, dass ich zur Gefolgschaft des Generals gehöre. Alles deutet darauf hin, dass es ihnen allemal gelungen ist, sich ins richtige Licht zu setzen. Man hält den General für einen steinreichen russischen Magnaten. Noch vor dem Mittagessen versäumte er nicht, mir neben anderen Aufträgen zwei Tausendfrancscheine zum Wechseln zu geben. Ich wechselte sie in der Hotelrezeption. Von nun an werden wir als Millionäre gelten, zumindest eine Woche lang. Ich war im Begriff, Mischa und Nadja zu einem Spaziergang auszuführen, da rief man mich von der Treppe zum General zurück; es beliebte ihm, sich zu erkundigen, wohin ich mit ihnen ginge. Dieser Mensch vermag mir ganz entschieden nicht in die Augen zu sehen; sosehr er es auch möchte – ich antworte ihm jedes Mal mit einem so durchdringenden, will heißen, aufsässigen Blick, dass er gleichsam in Verlegenheit gerät. In hochgestochener Rede, bei der er einen Satz auf den anderen stülpte und letztlich vollends den Faden verlor, gab er mir zu verstehen, ich möge mit den Kindern tunlichst den Kursaal meiden und in den Park gehen. Schließlich geriet er ganz außer sich und fügte barsch hinzu: »Ihnen ist ja zuzutrauen, dass Sie sie zum Roulette führen. Entschuldigen Sie«, fügte er hinzu, »aber ich weiß, dass Sie noch recht leichtsinnig sind und dem Spielen mitnichten abgeneigt. Wie immer, obgleich ich nicht Ihr Mentor bin und diese Rolle gar nicht beanspruche, habe ich doch immerhin das Recht zu wünschen, dass Sie mich sozusagen nicht kompromittieren …«

»Ich hab ja nicht mal Geld«, erwiderte ich gelassen. »Um welches zu verlieren, muss man es besitzen.«

»Sie sollen es sofort bekommen«, antwortete der General leicht errötend, kramte eine Weile in seinem Schreibschrank, blätterte in einem Kassenbuch, worauf sich herausstellte, dass er mir etwa hundertzwanzig Rubel schuldete.

»Wie wollen wir das begleichen?«, begann er. »Was macht das in Talern? Da, nehmen Sie hundert, eine runde Zahl. Der Rest geht Ihnen natürlich nicht verloren.«

Ich nahm schweigend das Geld an mich.

»Seien Sie bitte wegen meiner Worte nicht beleidigt. Sie sind ja so leicht gekränkt … Mein Hinweis möge bloß eine Warnung sein, und natürlich steht mir dies gewissermaßen zu …«

Als ich mit den Kindern vor dem Essen auf dem Heimweg war, begegnete uns ein ganzer Wagenaufzug. Die Unsrigen waren zur Besichtigung irgendwelcher Ruinen ausgefahren. Zwei elegante Kutschen, prachtvolle Pferde! Mademoiselle Blanche in der einen zusammen mit Marja Filippowna und Polina; das Französlein, der Engländer und unser General hoch zu Ross. Die Passanten blieben stehen und gafften: die Wirkung war erzielt; bloß dem General wird es nicht gut bekommen. Ich rechnete mir aus, dass sie mit den viertausend Franc, die ich mitgebracht habe, und dem, was sie offensichtlich inzwischen ergattert hatten, nunmehr sieben- oder achttausend besitzen müssten; zu wenig für Mademoiselle Blanche.

Mademoiselle Blanche logiert ebenfalls in unserem Hotel, sie hat ihre Mutter bei sich; das Französlein ist auch irgendwo in der Nähe. Die Dienerschaft spricht ihn mit »Monsieur le comte« an, Mademoiselle Blanches Mutter heißt »Madame la comtesse«; was soll’s, vielleicht sind sie wirklich Comte und Comtesse.

Ich wusste im vorhinein, dass Monsieur le comte mich beim Mittagstisch nicht erkennen würde. Der General wäre selbstredend nicht auf die Idee gekommen, uns bekannt zu machen oder zumindest mich ihm vorzustellen; und Monsieur le comte war in Russland gewesen und wusste, was für ein unbedeutender Vogel so ein Hauslehrer ist, den sie outchitel nennen. Im Übrigen kennt er mich sehr gut. Doch zugegebenermaßen war ich ja zum Mittagessen ungeladen erschienen; der General hat scheint’s vergessen, entsprechende Anweisungen zu geben, sonst hätte er mich an die Table d’hôte geschickt. Ich war mit einem Mal einfach da, so dass der General mich ungnädig ansah. Die gute Marja Filippowna wies mir sogleich einen Platz an; da kam mir aber die Bekanntschaft mit Mister Astley zupass, und ich wurde notgedrungen Teil ihrer Gesellschaft.

Diesem seltsamen Engländer war ich zum ersten Mal in Preußen begegnet, in einem Zugabteil, in dem wir einander gegenübersaßen, damals, als ich den Unsrigen nachfuhr; später traf ich ihn an der französischen Grenze und schließlich in der Schweiz; zweimal also im Verlaufe dieser zwei Wochen – und nun treffe ich ihn plötzlich schon in Roulettenburg. Nie habe ich in meinem Leben einen schüchterneren Menschen kennen gelernt; er ist schüchtern bis zum Dummsein und weiß das natürlich, weil er gar nicht dumm ist. Im Übrigen ist er sehr nett und still. Ich habe ihn bei unserer ersten Begegnung in Preußen zum Reden gebracht. Er eröffnete mir, dass er im Sommer am Nordkap war und überaus gerne den Jahrmarkt von Nischnij Nowgorod besuchen würde. Ich weiß nicht, wie er den General kennen gelernt hatte; es sieht so aus, als wäre er maßlos in Polina verliebt. Als sie eintrat, wurde er feuerrot. Er freute sich, dass ich mich am Tisch neben ihn setzte, und scheint mich bereits für einen alten Freund zu halten.

Bei Tische gab das Französlein bravourös den Ton an, er tut allen gegenüber herablassend und blasiert. Ich erinnere mich noch, wie er in Moskau leeres Stroh drosch, sich weitschweifig über die Finanzen und die russische Politik erging. Der General ermannte sich, hie und da zu widersprechen, bescheiden indes, einzig, um nicht vollends an Erhabenheit zu verlieren.

Ich war in einer seltsamen Gemütsverfassung und stellte mir, versteht sich, noch bevor die halbe Zeit am Tisch um war, meine gewohnte und stete Frage: »Warum vertrödle ich meine Zeit mit diesem General, warum hab’ ich mich nicht schon längst von ihnen abgesetzt?« Ab und zu warf ich einen Blick auf Polina Alexandrowna; sie schenkte mir überhaupt keine Beachtung. Am Ende wurde ich wütend und beschloss, mich als Grobian zu präsentieren.

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