Zum falschen Fürstenberg hatte er noch gar nichts gesagt. Wollte er das nun auch oder eher nicht – und war ihm das blassblaue Kaffeeservice mit zwei Kaffee- und einer Teekanne, Milchkännchen, Zuckerschale und zwei Tortenhebern wohl auch unterzujubeln? Von der mit Röschen verzierten Zuckerzange mal ganz zu schweigen!
Sie schlichtete alles schön in die Körbe und packte die Zuckerzange und einen blassblauen Teller als Probe dazu.
Puh, hübsch schwer! Sie brauchte mit häufigem Absetzen der Körbe fast eine halbe Stunde, bis sie wieder bei Ronny anlangte. Der packte begeistert aus und übergab alles einem geknechtet wirkenden jungen Mann zur fachmännischen Reinigung. Mathilde überlegte kurz, ob sie beleidigt sein sollte, aber da lächelte Ronny ihr entschuldigend zu. „Das soll keine Unterstellung sein, aber dazu sind wir verpflichtet. Auch zur Desinfektion. Außerdem haben wir wirklich schon Leute erlebt, da klebte noch Undefinierbares an den Gabeln.“
Mathilde nickte versöhnt und holte ihre Proben hervor. Ronny lachte auf. „Sind Erbschaften nicht etwas absolut Köstliches? Reizend, das Service. Ja, das würde ich nehmen. Aber es ist etwas moderner, also leider nicht ganz so viel wert… dreihundert? Und für das Silber dazu zweihundert, also Zuckerzange, Sahnelöffel, Tortenheber, Kuchengäbelchen… Kaffeedecken haben Sie auch?“
„Und Likörgläschen. Sie brauchen unbedingt noch ein paar Wachsfiguren. Ältere Damen, die um die Kaffeetafel sitzen.“
„Und Schwarzwälder Kirsch aus Wachs“, ergänzte Ronny. „Übrigens, das mit dem Goldrand würde mich auch reizen.“
„Das sind auch wieder zwölf Personen. Aber ohne Messerbänkchen und solchen Nippes.“
„Das passt auch nicht. Hochmoderner Stil der Sechzigerjahre, da hatte man natürlich keine Messerbänkchen mehr. Dafür etwa dreihundert noch mal?“
Mathilde nickte. „Dann hole ich jetzt das Goldrand und das Kaffeeensemble und kriege von Ihnen achtzehnhundert Euro.“
„Ganz genau. Ich hoffe, das ist ein für beide Seiten befriedigendes Geschäft.“
„Absolut“, strahlte Mathilde. „Und wenn ich noch etwas finde, bringe ich eine Probe mit. Allerdings glaube ich, wenn diese drei Services weg sind, habe ich gerade noch eins, damit ich nicht aus dem Papier essen muss.“
Die zweite Tranche war etwas weniger schwer, vielleicht, weil weniger Metall dabei war. Sie gönnte den leeren Küchenschränken einen verliebten Blick, bevor sie die Körbe aufnahm und davonschleppte.
Was man mit diesen Schränken nicht alles anfangen konnte… und wenn in den anderen noch allerlei Verscherbelnswertes stand… die Woche war noch lang! Aber wahrscheinlich machte sie sich durch diese Aktionen bei der Polizei nur verdächtig.
Eine halbe Stunde später stopfte sie hochzufrieden achtzehnhundert Euro in ihre Geldbörse und schaffte es auf dem Heimweg sogar noch, das Geld auf ihr Konto einzuzahlen.
Am Abend würde sie dann dafür ein paar Fondsanteile kaufen und mit dem Rest ihrem Konto etwas mehr Puffer gönnen.
Zu Hause putzte sie die Schränke, die sie geleert hatte, ließ sie trocknen und schloss sie dann. Was von Tante Annis Kram aus dem Arbeitszimmer in die Wohnzimmerschränke umziehen konnte, würde sie sich später überlegen; jetzt gab es einen kleinen Mittagssnack. Und dann ab in den Verlag!
„Was für eine durchgeknallte Familie“, stöhnte Joe an seinem Computer. „Wo ist denn diese Mutter bloß hingeraten?“
„Welche Mutter?“, fragte Anne abwesend, weil sie gerade in ihren Akten wühlte.
„Na, diese Anette. Tot ist sie nicht, sonst hätten wir doch etwas finden müssen. Und leben tut sie hier auch nicht.“
„Ich hab sie ja auch nicht gefunden, weder unter Carin noch unter Morolt. Aber schau doch mal unter dem Vornamen und dem Geburtsdatum. Das Geburtsdatum steht in der Geburtsurkunde von Mathilde Carin.“
„Darauf wäre ich von alleine gar nicht gekommen“, nörgelte Joe, gehorchte aber. Nach einigen Minuten Klickens, Jammerns und Murrens rief er „Ha!“
„Sag bloß, du hast echt was gefunden?“
„Tatsächlich. Unter Morolt nichts, aber es gibt eine Anette Wernicke in Berlin, die das richtige Geburtsdatum hat. Aber theoretisch könnte es natürlich trotzdem eine andere Frau sein, so viele Geburtsdaten gibt es ja auch nicht.“
„365 pro Jahr“, bestätigte Anne. „Versuch´s halt mal. Das Jahr stimmt? Die Kollegen dort sollen diese Wernicke mal befragen. Wenn sie´s ist, wüsste ich ja schon gerne, warum sie ihr Baby diesen fiesen Alten überlassen und sie nicht wieder gerührt hat. Schwache Leistung, findest du nicht?“
„Kannst du laut sagen. Okay, ich wende mich an die Berliner – das ist ein Landeskriminalamt, oder?“
„Stimmt. Ich hab noch die Aussagen von den Nachbarn, aber da müssen wir nochmal nachhaken. Unsere Fußtruppe hat nicht viel erreicht – die alte Carin war zwar nicht die netteste Nachbarin, aber eigentlich war sie angeblich allen egal. Kann gar nicht sein.“
„Stimmt. Wie wär´s, wenn wir nachher noch einmal hinfahren und mal gucken, wo es besondere Streitpunkte gegeben haben könnte?“
„Wir könnten auch den trauernden Witwer fragen“, schlug Anne vor.
„Und danach nehmen wir uns wieder die verhuschte Enkelin vor. Oh, die hat eine Mail geschrieben!“
„Was sagt sie?“
„Sie hat Fotos gefunden. Ob wir heute Abend vorbeikommen wollen und sie anschauen, jetzt muss sie in den Verlag.“
„Machen wir. Die Enkelin ist komisch, das stimmt. Muss der Schaden durch die schrecklichen Großeltern sein. Vielleicht hat ja doch sie diese – wie sagt sie immer? – ach ja, Nonna umgebracht.“
„Meinst du?“, fragte Joe zögernd.
„Weiß ich auch nicht so genau. Auf nach Henting!“
Bei Lingua war friedliches Arbeiten angesagt. Mathilde las verschiedene Abschnitte für das Spanischbuch Korrektur, fand auch tatsächlich einige sachliche Fehler in den Übungen und besserte sie aus, danach übersetzte sie einen Text, bastelte selbst noch ein paar Übungen und eruierte für einige Texte, die sie gerne verwenden wollten, das Copyright.
Zufrieden lehnte sie sich dann zurück und lächelte unwillkürlich, als Wintersteiner eintrat. Der sah sie ganz verblüfft an. „Frau Carin, heute so gut gelaunt?“
„Bin ich sonst so muffig?“, gab Mathilde zurück.
„Aber nein, ich würde eher sagen – ernst.“
„Tut mir Leid.“
„Sie müssen sich doch dafür nicht entschuldigen! Aber heute sind Sie eindeutig in heiterer Stimmung, scheint mir.“
„Ja – äh, der Anlass ist eigentlich gar nicht so erfreulich, meine Großmutter ist gestorben.“
„Oh, das tut mir sehr leid.“
„Mir eigentlich nicht so, wenn ich ehrlich bin. Ich hab ihr das nicht gewünscht, aber ich habe sie nie gemocht.“
Wintersteiner sah etwas konsterniert drein. Mathilde seufzte: Da war wohl eine genauere Erklärung nötig?
„Also, bevor Sie mich jetzt für ein gefühlloses Monster halten: Meine Großmutter hat mir nicht nur eine absolut scheußliche Kindheit beschert, sie hat auch jahrelang versucht, dagegen zu klagen, dass eine Tante mir eine Wohnung hinterlassen hat und nicht ihr. Erst seit gestern traue ich mich, mich in dieser Wohnung richtig einzurichten. Das beflügelt wohl meine Laune.“
Wintersteiner runzelte die Stirn. „Entschuldigung, das wusste ich natürlich nicht.“
„Natürlich nicht. Das macht doch nichts. Jedenfalls geht es mir deutlich besser, seitdem ich weiß, dass ich die Wohnung tatsächlich behalten kann. Jetzt kann ich sowas wie ein Zuhause daraus machen. Und wenn ich deshalb herzlos wirke, kann ich´s auch nicht ändern.“
„Aber nein. So wie Sie es beschrieben haben, kann man Ihre Reaktion völlig nachvollziehen. Aber wenn Sie einen freien Tag brauchen oder so etwas, dann melden Sie sich bitte, ja?“
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