1 ...6 7 8 10 11 12 ...31 Hat ein Leben ohne die Aura von individueller Schicksalhaftigkeit, von familiärer und nationaler Identität, von Verwurzelung in Traditionen und kulturellen Entwicklungsphasen überhaupt noch einen höheren Wert, eine Bedeutung, die über das rein animalische Überleben und die Ansammlung von auswechselbarem materiellen Besitz wie Geld oder Aktien, Reihenhaus oder Volksempfänger hinausgeht? Alles, was ich weggebe, weggeben muss, sind unwiederholbare Einzelstücke. Sie haben ihre eigene Geschichte, ihr individuelles Schicksal und landen jetzt als materielle Sicherheiten, als austauschbare Vermögenswerte in irgendeinem Safe neben abgegriffenen Dollars und vergilbten Aktienbündeln.“
Die Professorin ging nicht auf meinen philosophischen Sermon ein, sondern betrachtete mich skeptisch. „Wovon wollen Sie mich mit diesem philosophischen Exkurs ablenken?“, fragte sie. „Sind Sie schon wieder unsolide gewesen und haben zu tief ins Glas geguckt?“ „Wie anders sollte ich den ganzen Ärger hinunterspülen?“, fragte ich dagegen und ich begann wieder, mich aufzuregen. „Das Schlimmste habe ich noch gar nicht gesagt. Meine drei Manager, die ich fristlos entlassen habe, weil aus allen drei Ressorts Dokumente in der ‚Geldwirtschaftswoche’ erschienen waren, haben mein Schloss als Multimillionäre verlassen, obwohl sie als Habenichtse gekommen waren.
Sie haben auf meine Kosten ihre Geschäfte gemacht und auf so raffinierte Weise, dass ich sie juristisch nicht einmal belangen kann. Der eine hat mit meinem Namen, an den er noch ein ‚first’ angehängt hatte, für andere Betriebe Werbung betrieben. Er hatte mir das Geschäft als einträglich schmackhaft gemacht, so dass ich ihm noch mein schriftliches Einverständnis dazu gegeben habe. Ich dachte, die Verdienste der Firma gingen in meine Tasche; stattdessen hatte er die Firma als seine eigene ins Handelsregister eintragen lassen und hat damit Millionen gemacht.
Der Andere hat ebenfalls eine eigene Firma gegründet, um meine Immobilien zu verwalten. Er hatte mir weisgemacht, das komme mich billiger als meine eigene Verwaltung. Er hat es dann als Immobilienverwalter des Fürsten nicht schwer gehabt, noch weitere Hausverwaltungen an sich zu ziehen. Er hat seine Firma mit Zahlungen aus meinem Vermögen reich gemacht und auch die anderen Hausgemeinschaften, deren Angelegenheiten er in meinen Diensten geregelt hat, haben kräftig zahlen müssen. Als er merkte, dass die Enkelin von Hubertus, die ein Praktikum in seiner Abteilung absolviert hat, ihm auf die Schliche zu kommen schien, hat er die Firma mit Millionengewinn verkauft, und ich muss jetzt sehen, wie ich bei der neuen Firma aus meinen Verträgen komme.
Der Dritte im Bunde schließlich hat alle Vorgänge über meine Privatbank finanziert und bei jedem Geschäftsabschluss sich selbst eine Prämie von 10 Prozent genehmigt, was nach den Regeln meiner Bank auch nicht rechtswidrig war, und hat auf diese Art und Weise auch ein Millionenvermögen gemacht. Meine Bank allerdings ist de facto bankrott und ich stehe schon in Verkaufsverhandlungen mit einem großen Versicherungskonzern, der meinen Kundenstamm und mein Netz von Niederlassungen übernehmen will. Allerdings muss ich vorher noch mit meinen Geldern die schiefen Bilanzen begradigen, die Gott sei Dank nicht allzu ‚schief’ sind.
Im Übrigen habe ich meinen uralten Prokuristen, Herrn Straub, wieder in seine Position eingesetzt, und er war tatsächlich so freundlich, mir den Gefallen zu tun und sich um die Abwicklung dieser Angelegenheiten zu kümmern. Danach will er sich wieder nur um unser Kerngeschäft kümmern, Holzwirtschaft und Immobilien, und versuchen, wie früher wieder kleine Überschüsse zu erwirtschaften, so dass wir den Kernbestand unserer alten Angestellten weiter beschäftigen können, aber das Gros der von den neuen Managern eingestellten Leute entlassen müssen.“
Frau Professor hatte mir aufmerksam zugehört und hatte nur darauf geachtet, dass ich mich nicht zu sehr aufregte, indem sie mir ab und zu eine Tasse Kamillentee reichte, den meine Köchin, die Enkelin von Trine Jepsen, zusätzlich zum Kaffee aufgeschüttet und auf den Tisch gestellt hatte.
Sie unterließ denn auch jede weitere Bemerkung wie die, dass ich mein Unglück selber schuld sei und dass man sich als Besitzer eines so großen Unternehmens, wie es das meinige sei, selber um die Geschäftsführung kümmern müsse oder zumindest nur Leute mit Führungsaufgaben betraue, deren Loyalität und Kompetenz man geprüft habe. Sie ging auch nicht auf meine philosophischen Bemerkungen ein, sondern forderte mich auf, mit ihr noch einige Schritte in den Park zu machen, um mich von den Strapazen der vorausgehenden Woche zu erholen und mich an der schönen Natur zu erfreuen, deren Anblick und Besitz mir durch mein geschicktes Verhalten nunmehr auch in Zukunft gesichert sei.
Die beruhigende, wohltuende Zuwendung der Frau Professor, auch die Unterlassung weiterer Fragen und therapeutischer Gespräche hatten mich gestärkt und so wagte ich an ihrem Arm den Gang in den Park. Wir trafen dort auch bald Hubertus mit einer weiteren Enkelin und den drei Hunden. Der Opa und seine Enkelin spielten mit den Hunden an dem Kanal, der den Park in zwei Teile teilt und schließlich in mehreren rechteckigen Wasserbecken, in die sein Wasser unterirdisch geleitet wird, sein Ende findet. Hubertus und die etwa 13 Jahre alte Enkelin standen sich an beiden Seiten des Kanals gegenüber und warfen sich hölzerne Attrappen von jagdbaren Vögeln zu, die häufig ihr Ziel verfehlten und dann von den drei Jagdhunden apportiert wurden.
Dabei fiel mir sehr angenehm auf, wie anmutig und zugleich energisch die kleine Birgitta mit den Hunden umging, die sie eindeutig bevorzugten und ihr den Löwenanteil der gefassten hölzernen Vögel brachten. Ich erinnerte mich an Annette, meine dreizehnjährige Cousine, mit der zusammen ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht hatte, und ich empfand tatsächlich ein Gefühl der Sehnsucht nach Annette, die mittlerweile mit einem österreichischen Adeligen und Politiker verheiratet ist und mehrere Kinder hat. Und diese Sehnsucht übertrug sich auf Birgitta, die ganz selbstvergessen und dabei für mein Casanova-Auge doch bereits sehr reizvoll und kokett mit den Hunden herumtollte.
Ich wandte mich an meine ebenfalls in den schönen Anblick versunkene Begleiterin und bemerkte: „So jung, so frisch, so unbefangen, so unbelastet von allen Problemen und Beschwerden des Alters möchte ich auch noch einmal sein. Schauen Sie sich nur die Geschmeidigkeit, die Kraft der Bewegungen an und wie die Atemlosigkeit des Spiels dieses junge Gesicht beseelt und vor Glück und Lebensfreude erstrahlen lässt!
Auch meine junge Mutter hatte in den Jahren meiner frühen Kindheit diesen Ausdruck ungebrochener Lebensfreude, wenn sie mit unseren Hunden spielte; und als ich größer wurde, habe ich sie deswegen abgöttisch geliebt, ohne dass sie aber diese Liebe erwidert hätte. Die Hunde waren ihr wichtiger.
Als sie meinen Vater und mich dann in meinem vierzehnten Lebensjahr verlassen hatte, suchte ich mir einen Ersatz in meiner dreizehnjährigen Cousine Annette. Und dieses Mal fand ich Gegenliebe und war zum ersten und einzigen Mal in meinem Leben richtig glücklich. Natürlich konnten wir unsere Liebe in den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht öffentlich leben, sondern mussten sie geheim halten. Und an eine spätere Heirat war bei dem engen Grad unserer Verwandtschaft auch nicht zu denken, so dass wir uns, nachdem Annette das Internat verlassen hatte, trennen mussten. Aber das Glück, einmal mit ganzer Seele geliebt zu haben und wiedergeliebt worden zu sein, verlässt einen ein ganzes Leben nicht mehr.
Ich habe dann immer, wenn ich Lust auf ein Mädchen hatte, mir eines gesucht, das so aussah wie Annette. Ich war auf diesen Typ geprägt. Und wenn Sie sich die ziemlich umfangreiche Schar meiner Geliebten anschauen, dann werden Sie feststellen, dass sie alle dem gleichen Typ angehörten, dem Typ Annette. Und ich glaube, wenn es mir gelingt, doch wieder etwas gesünder zu werden und ich sogar in die Lage kommen sollte, meine dynastische Pflicht zu erfüllen und einen oder mehrere Stammhalter zu zeugen, so wird es bestimmt mit einem Frauentyp sein, der das Aussehen und das Wesen von Annette hat.“
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