„Haben Sie in dieser Zeit die Beziehung zu Ihrer Mutter abgebrochen?“, fragte mich hierauf Frau Schayani. „Ich habe die Beziehung zu meiner Mutter nie aufgegeben, eher schon meine Mutter. Ich habe ihr selbst in dieser Zeit glühende Liebesbriefe geschrieben und sie hat sogar hierauf reagiert und wurde erotisch durch diese Briefe berührt. Sie hat mir tatsächlich zwar gemäßigter, aber doch deutlich spürbar in derselben Art geantwortet. Ja, wir trafen uns nach dem Tod meines Vaters auf dem nunmehr in meinen Besitz übergegangenen Schlösschen meines Vaters. Sie war allein gekommen und sie zeigte sich mir tatsächlich eines Abends, als wir wieder die aus meiner Kinderzeit herrührende Aufteilung unserer Schlafzimmer übernahmen, nackt. Ich wurde durch diesen Anblick aber nicht sexuell erregt, sondern war eher peinlich berührt und traurig, weil ich mich auf der fürsorglichen Schiene, die Mutter und Sohn verbinden sollte, nicht mit ihr treffen konnte.
Ich bemühte mich, solange meine Mutter lebte, um ihre Solidarität, aber so sehr sie mir in materieller Hinsicht geholfen hat, indem sie zwar mit Murren, aber ohne Verzug meine Schulden bezahlte, so sehr hat sie mir ihren seelischen Beistand, ihre mütterliche Zärtlichkeit, ihre teilnahmsvolle Begleitung an meinem Leben versagt.“
„Ihre Mutter hat wahrscheinlich zeitlebens nicht begriffen, dass alle Ihre Aktionen, die auf sie gerichtet waren, nur einen Sinn hatten, von ihr als Kind angenommen zu werden. Damit müssen Sie wohl oder übel leben und sterben, aber offensichtlich hat Ihre Christine alle diese Funktionen übernommen und Sie können sich nicht darüber beklagen ohne Mutterliebe geblieben zu sein. Offensichtlich hat Ihnen Trine Jepsen ja auch in Ihren jüngeren Jahren die Mutter ersetzt, und somit sind Sie auch in dieser Hinsicht voll auf Ihre Kosten gekommen und haben keinen Grund, dem Leben, der Welt, den Müttern dafür böse zu sein, dass sie Ihren legitimen Ansprüchen nicht Genüge getan hätten. Wenn Sie das bis heute nicht begriffen haben, so ist es sehr wichtig, sich diesen Sachverhalt ab heute jederzeit klar zu machen, denn der heimliche Kummer darüber, von Ihrer Mutter nicht angenommen worden zu sein, hat Ihre Partnerbeziehungen verunstaltet.
Sie sind gleichsam von den Mutterbrüsten abgeschreckt worden und pflegen daher diesen Busenfetischismus, dem ich ja auch schon stattgegeben habe, und buhlen um die Zuneigung jeder Frau, der Sie begegnen, obwohl Sie ja nichts weiteres im Sinn haben, als von ihr wie ein geliebtes Kind angenommen zu werden. Daher kommt ja auch Ihre Unersättlichkeit in Beziehung zu dem anderen Geschlecht. Sie misstrauen jeder Frau, was die Unbedingtheit ihrer Liebe betrifft, und müssen weiter zur nächsten. Und auch von dieser fühlen Sie sich nicht hundertprozentig akzeptiert und bedingungslos geliebt, und so schwirren Sie schon wieder ab zu einer anderen. So geht es in einem unaufhörlichen Reigen weiter. Sie suchen nichts weiter als Liebe, aber Sie können nicht daran glauben, dass es wahre Liebe gibt, und so machen Sie es sich selbst unmöglich, eine echte Liebe zu erkennen, zu respektieren und sich ihr auszusetzen.
Natürlich fehlt Ihnen, da Sie es von Ihrer Mutter nicht gelernt haben, die Kenntnis der Signale, die eine positiv Liebende aussendet, die Kenntnis der Körpersprache der Liebe, da Sie diese im Umgang mit Ihrer Mutter in der Zeit, da das Verständnis dafür geprägt wird, nie erfahren haben. Und so kann es kommen, dass Sie erstens solche Signale gar nicht bemerken und zweitens, wenn Sie sie bemerken, sie vielleicht sogar als abstoßend, ablehnend verstehen. Ihr ganzer Begriff von Liebe ist verkorkst, ihre kommunikativen Fähigkeiten für die Sprache der Liebe sind nicht ausgebildet, das ganze Arsenal liebevoller Verhaltensweisen ist Ihnen unbekannt. Und daher leugnen Sie das Vorhandensein einer über das Sexuelle hinausgehenden Liebe, möchten diese aber dennoch erleben und können als Gegenleistung infolge Ihrer Liebesverkrüppelung nur Geld oder materielle Entschädigungen bieten.“
„Es ist nicht ganz so, wie Sie denken“, erwiderte ich. „Zu minderjährigen Mädchen kann ich durchaus eine Liebe entwickeln, die über das Sexuelle hinausgeht. Ich denke, dass mich Annette in dieser Hinsicht nicht unbelehrt gelassen hat. Ich habe diese Erfahrung aber auch mit anderen minderjährigen Mädchen gemacht.
Eines dieser Mädchen wäre auch meine große Liebe gewesen oder ist es eigentlich immer noch. Es hat mich übrigens verlassen, weil es eine große Pianistin werden wollte, und es ist auch eine große Pianistin geworden, eine der größten unserer Zeit. In diesem Falle habe ich mir tatsächlich eine sexuelle Beziehung versagt, obwohl diese Kindfrau sie unbedingt mit mir wollte. Vielleicht hat sie mich auch deswegen verlassen.“
In diesem Augenblick kam Birgitta mit zwei Sträußchen Wiesenblumen, die sie für uns gepflückt hatte. Sie reichte Frau Schayani einen und wollte mir den zweiten geben. Ich aber besann mich auf den Beginn unseres Gesprächs und bat Birgitta, auch den zweiten Strauß der Frau Professor zu schenken, da ich ja noch genug Blumen in meinem Park hätte und mir jederzeit einen Strauß pflücken könne, wohingegen die Frau Professor in der Stadt wohne, in dieser Wüste aus Beton und Stein und dort keine Gelegenheit habe, Wiesenblumen zu sehen, geschweige zu pflücken.
Birgitta tat, wie ihr gesagt worden war, und übergab auch die gut trainierten Hunde der Professorin, die mir noch einmal versicherte, dass der heutige Tag sie sehr hoffnungsfroh gestimmt habe, was meine Heilungschancen angehe, und dass sie sich schon auf das nächste Zusammentreffen in einer Woche freue.
Dann wolle sie aber die Geschichte von meiner großen Liebe in aller Ausführlichkeit erzählt haben. Bis dahin solle ich in meinen Erinnerungen kramen und - das setzte sie sehr bestimmt und auch ein wenig gefühlvoll hinzu -, ich solle mir stets bewusst sein, dass ich sehr geliebt worden sei und immer noch sehr, sehr geliebt werde; worauf Birgitta, die neben uns stehen geblieben war, über und über rot wurde und dann ganz schnell hinweg lief und ihren Großvater, der noch am Kanal stand, stürmisch umarmte und herzte.
Hierauf verabschiedete sich Frau Schayani mit einem sehr viel sagenden Blick, und ich ging nachdenklich ins Haus und gab mich meinen Erinnerungen an Carlotta hin.
Erotische Abenteuer des Fürsten
Ich habe Frau Schayani nicht gesagt, dass sich meine Mutter mir bei ihren Besuchen nach dem Tod meines Vaters nicht nur einmal, sondern mehrmals nackt gezeigt hat. Und ich glaube heute, dass sie sogar zum Inzest bereit gewesen wäre und nur mein völliges Desinteresse diesen verhindert hat.
Mich bewegt seitdem die Frage, wie kommt eine Frau, die ihr Kind nicht angenommen hat, dazu, sich inzestuös damit vereinigen zu wollen? Soll die sexuelle Liebe die vorenthaltene Mutterliebe wieder gut machen? Empfand meine Mutter ihre Trennung von meinem Vater und mir als Schuld und hatte uns gegenüber ein schlechtes Gewissen und Hemmungen, mit uns weiter vertraut umzugehen? Wollte sie mich auch in diesen Schuldstrudel hineinziehen, um mit mir auf einer Ebene der Gleichheit kommunizieren zu können? Suchte sie also die Gemeinsamkeit, die Komplizen einer schlechten Tat scheinbar verbindet, mit mir? Oder war sie von ihrem neuen Partner sexuell unerfüllt geblieben, sie hatte auch keine weiteren Kinder bekommen, und brachte sie ihre sexuelle Not dazu, selbst mit ihrem eigenen Kind kopulieren zu wollen? Hatte ich sie durch meine erotisch gefärbten Briefe, die ja nur die Rückgewinnung der verlorenen Mutter zum Ziel gehabt hatten, auf solche Gedanken gebracht? Ich habe diese Fragen tausendfach in meinem Gehirn gewälzt und konnte zu keiner Erklärung dieses rätselhaften Verhaltens kommen. Vielleicht hätte Frau Dr. Schayani eine Antwort, aber ich weiß nicht, ob ich ihr diese Frage bei ihrem nächsten Besuch stellen werde.
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