Es wurde eine grauenvolle Zusammenkunft. Ich hatte aus Respekt vor dem Akademikertum, dessen Segnungen ich nicht genossen habe, und vor den Höhenflügen der Wissenschaften schon vor Jahren meinen alten, lang gedienten Prokuristen entlassen, der genau wie ich nur eine Banklehre durchlaufen hatte und der sich allein auf die Kerngeschäfte unseres Unternehmens, also Holzwirtschaft und Immobilienverwaltung konzentriert hatte (und in diesen Bereichen auch ziemlich ausgeglichene Bilanzen mit kleinen Überschüssen vorweisen konnte. Diese Überschüsse konnten die Verluste durch mein aufwendiges Leben zwar nicht decken, aber sie verhinderten, dass die Banken misstrauisch wurden und ihre Kredite bremsten und sie ermöglichten, dass meine Angestellten zuverlässig ihre Löhne ausgezahlt bekamen und letztlich die Verluste nicht bodenlos in den Keller rutschten) und hatte drei frisch mit summa cum laude promovierte Wirtschaftsakademiker, die mir einen Riesenaufschwung meiner Unternehmungen, mit ebenso Riesengewinnen in Aussicht stellten, an seine Stelle gesetzt.“
Meine Stimme war allein bei dieser relativ harmlosen Einleitung meines Berichtes bereits schrill und hektisch geworden und ich verhedderte mich in meinem Satzbau, wie es die obige Niederschrift beweist. Mein Herz schlug heftiger und die Spuren meiner Aufregung zeigten sich mit roten Flecken auf meiner Gesichtshaut!
Frau Schayani, die mir am Tisch gegenübersaß und mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte, bemerkte die Veränderung. „Keine Aufregung!“, befahl sie, „ich werde Ihren Bericht fortsetzen, denn ich habe mich, wie bei jedem meiner Patienten, über alle Ihre Lebensumstände, soweit sie in öffentlichen Medien, in Zeitschriften und Büchern zugänglich sind, informiert. Und ich habe genau wie Sie die Darstellung Ihrer wirtschaftlichen Situation in der ‚Geldwirtschaftswoche’ gelesen.“
Sie machte eine Pause, stand auf, kam zu mir, fasste mich am Arm, zog mich behutsam hoch und sagte: „Beginnen wir doch zunächst unsere therapeutische Sitzung auf die traditionelle Weise, also auf der Couch. Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, so können wir vielleicht doch noch einen kleinen Spaziergang in Ihrem Park machen. Aber zuerst schließen Sie mal die Augen und atmen tief durch und nehmen eine Kapsel Nitroglyzerin.“
Nachdem ich dies getan hatte, geleitete sie mich zur Couch, legte mir wieder das zusammengerollte Kissen unter den Nacken, setzte sich auf einen Stuhl neben mich, hielt mir die Hand und wartete ab, bis ich mich beruhigt hatte. Darauf ahmte sie meine Sprechweise sehr dezent nach, übernahm damit praktisch meine Erzählerrolle und berichtete mir also, was ich schon wusste, was aber noch einmal zur Sprache gebracht werden musste, ohne dass ich mich dabei aufregte.
„Ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass ich den Artikel in der ‚Geldwirtschaftswoche’ vor dieser Zusammenkunft mit meinen Managern gelesen hatte und dass mir bei dieser Lektüre fast das Herz stehen geblieben wäre. Denn in diesem Artikel zeigte sich der anonyme Verfasser bis in die kleinsten Verästelungen meines Unternehmens aufs Genaueste informiert und wusste auch über alle Bilanzen, Bankkredite und Flops meiner Geschäfte bis auf drei Stellen hinter dem Komma Bescheid.
Kurz: die Misere meiner wirtschaftlichen Situation war jetzt eine öffentliche Angelegenheit und alle meine Gläubigerbanken konnten sich an drei Fingern ausrechnen, ob sie noch Chancen hatten, wenigstens einen Teil ihrer Kredite zurückzubekommen. Das Ergebnis ihrer Berechnungen konnte nur das Fazit sein, dass ein Großteil ihrer Gelder verloren war und dass sie alle Kredite sofort sperren mussten, um nicht noch weitere Verluste einzufahren.
Das war die eine Hiobsbotschaft; aber es gab noch eine zweite Furchtbarkeit, die diesem Artikel zu entnehmen war. In unserem Unternehmen musste es einen Verräter geben, der die ‚Geldwirtschaftswoche’ mit allen diesen Informationen und Fotokopien, die die geheimsten Interna betrafen, beliefert hatte. Da das Wissen um diese Interna auf einen kleinen Kreis, also auf meine drei Manager begrenzt war, mussten einer oder zwei oder vielleicht alle drei diese Informationen der ‚Geldwirtschaftswoche’ zugespielt haben. Ich fühlte mich ruiniert, bloßgestellt und von allen verraten und betrogen.“
Bei dieser Darstellung der Professorin, die ganz exakt die Sachverhalte widerspiegelte, konnte ich mich tatsächlich nicht aufregen, weil ich aus der Verwunderung über ihren Informationsstand und ihr Einfühlungsvermögen nicht herauskam. Ich fragte sie denn auch sogleich, woher sie diese intime Kenntnis der hiesigen Vorgänge habe. Darauf antwortete sie: „Die Enkelin von Hubertus ist meine Schülerin!“
Einen Augenblick dachte ich, also auch Hubertus habe mich verraten. Frau Schayani ahnte meinen Gedanken. „Hubertus hat Sie nicht verraten“, sagte sie mit großer Entschiedenheit. „Seine Enkelin war zu dem Zeitpunkt der Zusammenkunft mit Ihrem Management unter dem Dienst tuenden Personal. Sie erinnern sich, dass Sie die Arbeitssitzung mit einem Essen verbunden hatten, und die Bedienung bekam natürlich die Hauptereignisse dieser historischen Sitzung mit. Es fühlte sich auch durch Ihre mehrfache, nicht gerade leise vorgetragene bittere Feststellung: ‚Meine Herren, wir sind bankrott und Sie haben sich die größten Verdienste darum erworben!’ persönlich betroffen, sahen ihre baldige Entlassung vor sich und mussten das Wissen um diese neue Situation und ihre Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes miteinander teilen, wodurch natürlich auch Lisa von diesen Verhältnissen ‚Wind’ bekam. Den weiteren Informationsweg können Sie sich denken.“
„Sie wissen also auch den weiteren Verlauf der Ereignisse.“ „O, ja!“, antwortete sie. „Und ich muss Ihnen das Kompliment machen, dass Sie sich in dieser Situation wie ein äußerst fähiger und verantwortlicher Unternehmensführer verhalten haben und sehr wahrscheinlich Ihren Kernbesitz und ihre Kreditwürdigkeit gerettet haben.“
Bei diesen Worten nahm ich zum ersten Mal an diesem Tag ihren Busen wahr und sah, dass sie keinen Büstenhalter trug und die rosige Herrlichkeit fast bis zu den Brustwarzen in wonniger Fülle enthüllt war. „Noch sind die Experten der Banken mit der Registrierung und Schätzung meiner ‚Mobilien’ beschäftigt, doch die ersten vorsichtigen Signale gehen in die Richtung ‚Gegenwerte für Schulden vorhanden’ und ‚baldige Aussicht auf weitere Kredite’ und vor allem, bei den bevorstehenden Veräußerungen von Vermögenswerten müssen meine Liegenschaften, meine Immobilien nicht angetastet werden, informierte ich sie.“ „Ist das nicht eine erfreuliche, eine sehr erfreuliche Nachricht, die geeignet sein kann, auch Ihre Gesundheit zu fördern?“, bemerkte sie hierauf.
„Na ja,“ entgegnete ich, „die Geschichte geht mir schon an die Nieren und ich muss mich von Sachen trennen, die mir nicht nur teuer, sondern auch lieb geworden sind: meine Yacht ist weg, meine Oldtimer sind weg, meine Gemäldesammlung ist weg, unser Tafelsilber geht flöten, der ganze alte liebenswerte Tand, der sich wie in einem Antiquitätenmuseum bei meinen Vorfahren angesammelt hatte: eine silberne Tabakdose von Friedrich dem Großen, ein vergoldeter Samowar von Zar Alexander II., ein Tafelservice von der Königin Maria Theresia, eine Lampe im Empire-Stil von Kaiser Napoleon III.
Alle Geschenke, die meine Vorfahren für irgendwelche Dienste, die sie diesen Potentaten erwiesen haben, bekommen hatten und um die sich unglaubliche Anekdoten und wahre Familiengeschichten ranken, sind unwiederbringlich verloren. Und damit ist auch der schützende Kokon der Familiensaga verschwunden; und wir stehen nackt und platt und gewöhnlich wie diese smarten, cleveren, oberflächlichen neureichen Yuppies und Adepten des Neuen Marktes, die sich diese Raritäten als Trophäen ihres wirtschaftlichen Aufstiegs unter den Nagel reißen werden, auf dem Präsentierteller der aktuellen Banalitäten.
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