Auf diese Begrüßungszeremonien war ich schon eher gefasst, und so verwandelte ich mich in dem Pförtnerraum tatsächlich in den unscheinbaren, alten und etwas hinfälligen Bruder Anselmus. Die Kutte, die ich tragen sollte, holte Pater Kallmann aus dem Aktenschrank der Pförtnerloge, in dem er sie offensichtlich schon vor einigen Tagen verstaut hatte, denn sie trug bereits unverkennbare Spuren von Aktenstaub, den Pater Kallmann aber mit einem kräftigen Wisch des Ärmels seiner Kutte hinwegscheuchte, wobei er bemerkte: „Eigentlich sollte man den Staub auf der Kutte lassen, dann wirkte Ihre Erscheinung glaubwürdiger. Und die Brüder nähmen es Ihnen eher ab, dass Sie den langen Weg von Ihrem zu unserem Kloster auf dem Fahrrad zurückgelegt hätten.
Denn wir haben die Mitbrüder dergestalt auf Ihren Besuch eingestimmt, um Ihnen ein Fahrrad zur Verfügung stellen zu können, dessen tägliche Benutzung, um damit unsere Post zum Briefkasten zu bringen, eine auch Ihrer Gesundheit zuträglichen kleinen Pflichten sein wird.“ Damit holte Pater Kallmann noch aus einem mit dem Pförtnerraum verbundenen Depot ein sichtbar häufig gebrauchtes Damenfahrrad mit einem großen Metallkorb, der unterhalb des Lenkers am Rahmen des Fahrrads festgemacht war, und erklärte: „Ich habe mir dieses Rad von meiner Nichte für die Dauer Ihres Aufenthaltes geliehen, weil es unseren Mitbrüdern natürlich aufgefallen wäre, wenn wir Ihnen eines unserer Klosterfahrräder gegeben hätten. Also fahren Sie vorsichtig damit, denn meine Nichte wird mir den Kopf abreißen, wenn es nicht mehr brauchbar sein sollte. Ich habe mir übrigens gedacht, dass Sie mit einem Damenfahrrad besser zurechtkommen, weil Sie Ihr rechtes Bein nicht über den Sattel schwingen müssen, wenn Sie auf das Rad aufsteigen. Das werde ich übrigens auch meinen Konfraters so erklären, was Ihre Camouflage erleichtert.“
Darauf führten mich beide Patres in meine Zelle. Es war ein relativ kleiner, weiß gekälkter Raum mit einer Nasszelle, einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, einem einfachen hölzernen Schrank und einem großen Fenster, das einen schönen Blick auf den Klostergarten frei gab. Der Raum war beheizbar, so dass für alle meine primären Bedürfnisse gesorgt war; und was meine Bedürfnisse nach Luxus, nach einem Kühlschrank für die Lagerung einiger Flaschen Champagner oder die Aufbewahrung einiger Dosen Kaviar betraf, hatte ich ja diesen Bedürfnissen für die Dauer meines Aufenthaltes zu entsagen.
Ich musste mich trotzdem überwinden, mich über diese spartanische Zelle erfreut zu zeigen, und bat die Patres, mich eine halbe Stunde allein zu lassen, damit ich mich einrichten und frisch machen könne. Danach sei ich in der Lage, an ihrer Feier zu Ehren des heiligen Johannes teilzunehmen. Die Patres räumten mir darauf eine ganze Stunde zur Eingewöhnung ein und versprachen mir, mich danach abzuholen und dem Klosterkonvent vorzustellen.
Ich verstauchte also meine Siebensachen in dem Schrank, machte mich frisch und übte vor dem Spiegel in der Nasszelle, meinem Gesicht einen würdigen und vergeistigten Ausdruck zu geben. Das gelang mir zwar nicht zu meiner Zufriedenheit, aber als die beiden Patres mich abholten, attestierten sie mir, dass ich bereits etwas von dem Spiritus Loci, von dem Geist des Ortes infiziert sei und ich bereits von dem Hauch einer mönchischen Aura umgeben werde.
Die Patres hatten mir verabredungsgemäß zwei Paar einfache Sandalen mitgebracht, ein Paar ohne Verschluss als Pantoffeln für Drinnen und ein Paar mit Verschluss für Draußen, und da ich diejenigen ohne Verschluss für Drinnen anziehen musste, so hatte ich ein Problem. Denn sie drohten mir dauernd von den Füßen zu rutschen oder mit meiner Kutte in Kontakt zu kommen, und so passierte es, dass sich die Sandalen für Drinnen beim Betreten des Refektoriums so mit meiner Kutte verhedderten, dass ich der Länge nach hinfiel und die Pantoffeln in den Raum geschleudert wurden.
Sie landeten ausgerechnet vor dem Platz einer Dame, die allerdings keine Schwierigkeit hatte, sie aufzuheben und mit ihnen zu mir zu kommen, um sie mir, den die zwei Patres wieder in die Höhe gezogen hatten, mit natürlicher Selbstverständlichkeit anzuziehen.
Der Abt stellte die Dame sofort vor und sagte: „Das ist Frau Hermes, unsere Schulsekretärin, die gute Seele des Klosters. Sie lebt uns etwas kontaktsperrigen und in menschlichen Verhältnissen unbedarften Hagestolzen eine kompetente, hilfsbereite und dienstfertige Menschlichkeit vor, die in der Nachfolge Jesu eigentlich eher unsere Sache zu sein hätte.“ Darauf stellte er mich als einen mehrwöchigen Gast und Konfrater vor, der gerade von einer schweren Krankheit genesen sei und ab und zu noch solche Schwächezustände erleide, dass er sich nicht aufrecht halten könne, und bat die ganze Versammlung, die an mehreren blank gescheuerten hölzernen Tischen Platz genommen hatte, mir bei solchen Vorfällen beizustehen und die von Christen erwünschten Samariterdienste nicht nur Frau Hermes zu überlassen. Er nannte dann noch meinen Namen, Pater Anselmus, und setzte mich neben Frau Hermes, neben der noch ein Platz frei war.
Ich wunderte mich, dass außer Frau Hermes noch andere Frauen an den Tischen saßen, und sagte ihr das. Darauf informierte mich Frau Hermes darüber, dass dem Kloster ein Gymnasium angeschlossen sei und dass zur Feier des Tages das Kollegium mit zu der Feier eingeladen worden sei. Einige der Frauen seien also Lehrkräfte der Schule, und andere seien die Ehefrauen von Lehrern, die diese, dank der Großzügigkeit der Patres, hätten zu der Feier mitbringen dürfen.
Der ehrwürdige Pater mit langem, grauem Bart, der neben mir saß und unser Gespräch mit angehört hatte, sagte zu mir: „Sie sehen, Konfrater Anselmus, in unserem Kloster werden die Frauen nicht als der minderwertigere Teil der Menschheit betrachtet, sondern als derjenige mit den größeren Vorzügen, wenn Sie mir diese etwas laxe Ausdrucksweise erlauben!
Ich bin sechsundsiebzig Jahre alt und war Missionar im Amazonasgebiet, Jugendseelsorger in Manaus und Pfarrer in Rio de Janeiro. Ich weiß, wovon ich rede. Die Indianer im Amazonasgebiet haben mir sogar eine ihrer jungen Frauen nackt in meine Hütte gelegt, als ich sie aus Missionsgründen besucht habe, wobei ich große Mühe hatte, sie wieder aus der Hütte hinauszukomplimentieren.
Aber man wird auf diese Weise natürlich von dem Wert der Frauen überzeugt. Denn als die Indianerin gegangen war, habe ich mich in meiner Hütte viel weniger wohl gefühlt. Aber ich konnte mich nicht mit einer Frau einlassen, weil ich eine Art Indianergewerkschaft gegründet habe, die das Land, den Urwald, die Heimat der Indianer gegen das Vordringen der Land nehmenden Großgrundbesitzer und der großen Holzgesellschaften verteidigt, was gelegentlich auch zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt hat, bei denen auch zwei von meinen Konfraters zu Tode gekommen sind, obwohl sie nicht zur Waffe gegriffen hatten.
Wenn man in solchen Gefahren lebt, hat das Zölibat schon seinen Sinn. Denn was wird aus einer Familie, wenn der Mann nicht mehr lebt? Aber hier, in diesen gesicherten Verhältnissen, sollte es der Papst der eigenen Entscheidung der Patres überlassen, ob sie zölibatär leben wollen oder mit Weib und Kind. Vielleicht kommt in einigen Jahren auch solch eine Entscheidung, denn sonst könnte unser Beruf aussterben. Aber leider werde ich diese Zeit nicht mehr erleben.“
Der Pater mit seinem wettergegerbten Lederhautgesicht war mir auf Anhieb sympathisch und so versuchte ich das Gespräch mit ihm in die Länge zu ziehen und erzählte ihm, dass ich auch in Brasilien als Jugendseelsorger gewirkt hätte und mich dort vor allem um Kinder von Prostituierten gekümmert hätte und natürlich um Straßenkinder.
Ich hätte z.B. dafür gesorgt, dass Elvira, das Kind einer Prostituierten, aus ihrer Familie herausgeholt worden sei und nunmehr in einem Internat der Dominikaner lebe und ausgebildet werde. Außerdem hätte ich viele ältere Ehepaare im Ruhestand, die in sehr wohl situierten Verhältnissen lebten, dafür gewinnen können, Straßenkinder bei sich aufzunehmen, wodurch tausend Straßenkinder wieder in geordnete Verhältnisse gekommen seien und eine gute Versorgung und Ausbildung genössen.
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