‚Ich habe Ihnen versprochen, Ihre Bedingungen zu akzeptieren, und dies in Gegenwart meiner Freundin Viktoria, die das alles vor jedermann bezeugen kann, wenn Sie mich wegen nicht eingehaltener Versprechen verklagen wollen. Aber ich bin, obzwar mit 44Jahren kein unbeschriebenes Blatt mehr, dennoch ein Mann, dem man vertrauen kann, der Hochachtung vor Ihnen hat, der Sie bewundert und verehrt und der sich bestimmt nicht den Schmerz antun wird, gegen diese, vielleicht einzige gute Regung in seinem Leben zu versündigen. Ich müsste mich in Zukunft bis zur Bewusstlosigkeit verachten, und ich habe den schalen Geschmack dieser Selbstverachtung zur Genüge auf der Zunge gehabt, um endlich einmal eine Beziehung zu einem Menschen sauber und anständig durchzuhalten.’
‚Also kann ich davon ausgehen, dass Sie eine gewisse Zuneigung zu mir haben?’, fragte Carlotta. ‚Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber räumen Sie mir so viel Kredit ein, dass meine Einstellung zu Ihnen etwas Gutes ist und etwas Gutes will und dass ich nichts für Sie tun werde, das ich mir nicht von Ihnen hätte genehmigen lassen. Ich möchte auch mit Ihren Eltern sprechen und ihnen unser Projekt vorstellen und auch sie um ihr Einverständnis bitten.’
‚Dann sagen Sie ihnen aber die ganze Wahrheit!’, forderte mich Carlotta auf. ‚Welche ganze Wahrheit?’, fragte ich, ‚ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich in einer menschlichen Beziehung - nämlich Ihnen gegenüber - zum ersten Mal so etwas wie das Bedürfnis empfinde, gut zu sein, Ihnen zu dienen, Sie hoch und wert zu halten!’
‚Aber wie kann ich Ihnen das glauben, wenn Sie mich bereits mit einer Lüge ködern wollen!’, konterte Carlotta. ‚Mit einer Lüge?’, fragte ich wieder, ‚ich lüge nicht, wenn ich Ihnen das sage, welches von meinen Worten soll denn gelogen sein?’ ‚Jetzt machen Sie mir doch nichts vor! Sie haben doch keine Sightseeingtour durch Brasilien gebucht! Jeder weiß, dass Sie eine Farm in Brasilien haben und eine Vorliebe für das Nachtleben in Rio. Sie sind aus solchen Gründen hierher gekommen und nicht, um sich als Tourist hier rumzutreiben. Sie kennen doch schon alle diese Sehenswürdigkeiten längst. Sie haben nur einen Vorwand gesucht, um mich anzusprechen und – sage ich es mal aus Ihrer Perspektive – in den länger dauernden Genuss meiner Gesellschaft zu kommen.
Geben Sie es zu und lügen Sie mich nie mehr an! Ich durchschaue Sie, ich bemerke jede Lüge. Und wenn Sie auch nur ein einziges Mal noch versuchen sollten, mich zu belügen, so bin ich fort, verschwunden auf Nimmerwiedersehen.’ Ich war gestellt und es war mir Recht. Ich sagte: ‚Sie haben mich nicht erst heute besiegt. Sie beherrschen mich, mein Denken, mein Fühlen seit dem ersten Konzert, das ich von Ihnen gehört habe. Sie haben meine Lüge durchschaut. Ich gebe es zu.’
‚Es freut mich, dass Sie auch ehrlich sein können. Das könnte schon eine Basis für eine gemeinsame Zeit hier in Brasilien sein. Aber ich muss noch eines von vornherein klarstellen. Die Sympathien, die Sie mir anscheinend entgegenbringen, können Sie von mir nicht erwarten. In meinen Augen werden Sie einen Status wie ein ehrenamtlicher Reiseleiter und Konzertveranstalter haben und ich werde Ihnen dafür dankbar sein und Sie auch bei Ihren repräsentativen Verpflichtungen gerne unterstützen und begleiten, aber was darüber hinaus geht, also Intimitäten muss ich mir verbitten.’
‚Ich würde mich auch in einer Funktion als Ihr Kofferträger, Stiefelputzer oder Kammerjäger wohl fühlen und empfinde die Positionen als Reiseleiter und Konzertveranstalter schon als sehr gehoben’, antwortete ich. ‚Sie versprechen doch einen Status auf Augenhöhe mit der göttlichen Virtuosin und stehen auch der möglichen Entwicklung dieser Beziehung zu einer verständnisvollen Freundschaft nicht im Wege.’
‚Auf diesen Wortlaut können wir uns einigen und einen zeitlich befristeten Pakt für gemeinsame Unternehmungen hier in Brasilien feierlich unter Zeugen und Garanten seiner Unverletzlichkeit besiegeln!’, beendete Carlotta unsere Verhandlungen, indem sie auch Viktoria, die unser Gespräch mit Interesse verfolgt hatte, darin einbezog.
Viktoria bemerkte scherzhaft, jetzt wisse sie, wie man mit mir verhandeln müsse, um sich seine Begleitung angemessen entgelten zu lassen. Sie werde beim nächsten Mal jedenfalls auf einem unvermeidlichen Turn mit meiner Yacht bestehen. Ich beteuerte in meiner Freude über die bevorstehende gemeinsame Zeit mit Carlotta, dass dies bereits eine ausgemachte Sache sei, und fing mir darauf einen missbilligenden Blick von Carlotta ein, der mich sehr nachdenklich machte und mir für die Zeit unseres Zusammenseins irgendwelche Versprechungen gegenüber anderen Frauen kategorisch untersagte.“
Frau Schayani hatte die ganze Zeit damit zu kämpfen, dass ihr die Augen nicht zufielen. Die Munterkeit der Kanarienvögel und ihr eigener Wille hinderten sie aber immer wieder daran einzuschlafen. Jetzt fühlte sie sich aber sichtlich an der Grenze ihrer Belastungsfähigkeit und sie sagte: „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber ich hatte gestern eine lange Sitzung im Senat der Universität bis tief in die Nacht.
Entweder kürzen Sie Ihre Erzählung ab und berichten nur noch das Wesentliche Ihres Problems mit Ihrer Carlotta oder wir tauschen die Positionen und Sie gestatten mir, mich auf Ihre Couch zu legen und ein Stündchen zu schlafen, denn ich bin sehr müde.“ „Unterbrechen wir die Sitzung“, antwortete ich und erhob mich von der Couch. Gönnen wir uns zwei Stunden Ruhe und dann treffen wir uns wieder in diesem Zimmer.“ Darauf trennten wir uns, um ein Mittagsschläfchen zu halten.
Nach zwei Stunden trafen wir uns wieder im Salon, genossen den guten Kaffee, den Trines Enkelin aufgeschüttet hatte, und taten auch ihrem selbst gebackenen Streuselkuchen alle Ehre an, um danach unsere Unterhaltung fortzusetzen.
Ich erzählte meiner Therapeutin, wie ich am nächsten Tag mit Carlotta meinen Freund, den Impresario, besucht hatte, der nach einigen Proben von Carlottas Können sofort bereit war, an den Orten unserer Sightseeingtour Konzerte für sie zu organisieren und auch die Werbung und den Kartenvorverkauf in die Hand zu nehmen.
„Danach gingen wir in ein Reisebüro, um unsere Tour zu buchen, und Carlotta konnte auch ihren Anteil selber bezahlen. Ich wollte ihr dann noch ein schönes Kleid für ihre Konzertauftritte kaufen; aber nachdem ich dummerweise gesagt hatte, als sie zögerte, dass eine hübsche Garderobe immer mein Dankeschön für die weiblichen Begleitungen bei meinen Aufenthalten in Brasilien gewesen sei, lehnte sie kategorisch ab. Sie wolle sich nicht von mir abhängig machen und sie wolle sich auch nicht in die Prozession meiner ehemaligen Reisebegleitungen einreihen. Sie verstehe sich nicht als Angehörige des Dienstleistungsgewerbes, setzte sie dann noch spitz und bissig hinzu.
Ich hielt wohlweislich den Mund und bat sie, für den nächsten Tag ihren Koffer zu packen, damit wir an Bord meiner Yacht gehen könnten, um die Reise nach Blumenau anzutreten. Wir verabredeten uns für den nächsten Vormittag um 10 Uhr vor Carlottas Jugendherberge, um mit einem Taxi gemeinsam zum Yachthafen zu fahren, wie ich es vorschlug; aber Carlotta wollte lieber den Bus benutzen, weil ihr das Taxi zu teuer sei. Und so musste ich mich mit ihrem Vorschlag abfinden.
Hiermit deutete sich schon die erste Struktur unserer dauernden Konfliktsituation während unserer gemeinsamen Reise an. Denn Carlotta wollte alle Besichtigungen, Transporte, Übernachtungen und Speisen, die wir während dieser Reise genossen, auf die billigste Art ergattern. Ihre Eltern gehörten in Deutschland zu den Geringverdienern und freuten sich über jede Mark, die sie von ihren Reisen mitbringe, und daher verbiete es sich ihr, auch nur einen Pfennig unnützerweise auszugeben, eröffnete sie mir.
Читать дальше