Kaum war ich zu Hause, rief Irmi an. Ob ich nicht doch mein Auto...? Ob ich Horst bei der Werbung – natürlich kostenlos – für seinen Lebensberatungshof helfen wollte? Ob ich über das Zweifelhafte meines Tuns nachgedacht hätte? Ich verneinte alles und wurde mit einer langen Jammertirade über den Fluch belohnt, der auf dem Haus lag. „Ach, jetzt ist es ein Fluch und keine Mordserie? Die Polizei hat wohl bloß gelacht?“
„Die Polizei? Die würden uns nie helfen – wir stehen ihnen doch kritisch gegenüber.“
„Hör doch nicht immer auf Horst! Die Polizei ermittelt in jedem Fall. Sollte sie wenigstens.“
„Ach, du bist echt blauäugig!“ Und das von ihr – niemand war naiver als Irmi.
„Du glaubst wirklich, dass die Bullen alle gleich behandeln?“
„Meistens schon, wenn man sie nicht gerade Bullen nennt. Weißt du, das mögen die nicht.“
„Lass diesen arroganten Ton, man könnte meinen, du willst irgendwelches Herrschaftswissen anbringen. Dazu haben wir dich nicht erzogen.“
Ihr habt mich zu gar nichts Vernünftigem erzogen, dachte ich wütend.
„Jedenfalls will Horst nicht, dass ich die Polizei informiere. Und weißt du, dieses Datum – ausgerechnet der erste November..." Ich lachte zornig auf. „Glaubst du jetzt auch noch an Halloween? Was kommt als nächstes? Der Osterhase?“
„Aber die Daten haben etwas Magisches, findest du nicht?“ Nein, das fand ich nicht, und als ich das ziemlich deutlich sagte, knallte Irmi den Hörer auf.
Jetzt war sie endgültig übergeschnappt, fand ich. Drei Tote in – Moment – siebenundzwanzig Jahren, und zufällig dreimal das gleiche Datum... Alle anderen Todesfälle in diesem Haus musste man ausnehmen, damit es passte. Und jetzt war es auch noch dräuendes Unheil übersinnlicher Art? Vielleicht sollte ich die Schmalhans mal hinschicken, Auren schnüffeln – oder was solche Leute eben so taten. Was für ein Blödsinn! Irmi war mit ihren zwei Töpferkursen ganz offensichtlich nicht ausgelastet, sonst hätte sie nicht die Zeit gehabt, sich solchen Kram auszudenken.
Gegen solche Spinnereien halfen nur alltäglich-nüchterne Verrichtungen – das Auto mal aufräumen, die Wohnung putzen, eine Reisegarderobe zusammenstellen (auch wenn es nur für eineinhalb Tage war). Damit und mit der üblichen Arbeit war der Rest der Woche mühelos ausgefüllt; Mayer stand einmal, als ich vorbeikam, auf dem Gang und klagte einem Kollegen, dieses unheimliche Klappern beim Fahren gebe ihm noch den Rest. Ich blieb sofort stehen und zog ein besorgtes Gesicht. „Was haben Sie denn für einen?“
„Dreier. Erst zwei Jahre alt!“
„Oh“, machte ich mitfühlend, „mein Vater hat – hatte, muss man wohl sagen – auch so einen.“ Meine Schweigeminute ließ Mayer erblassen. „Ist er tot?“
„Nein, nein – nicht mal auf dem Schrottplatz. Aber teuer war es doch. Ich glaube... zuerst immer so ein Rasseln und Klappern, vor allem in den Kurven?“
„Ja, genau! O Gott, was könnte das nur sein?“
„Ich überlege ja schon... als nächstes, glaube ich, fing der Motor zu qualmen an und dann hat es den Motorblock einfach zerrissen, mitten auf der Autobahn. Wenn mein Vater nicht ein so exzellenter Fahrer wäre...“
Mein Vater hatte einen selbst bemalten VW-Bus, was sonst, und fuhr miserabel Auto, denn der gesellschaftskritische Denker an sich war technisch natürlich unbegabt, da Technik gleich Technokratie gesetzt wurde und ihre Beherrschung den Betreffenden als nützlichen Idioten abstempelte. Schon praktisch, ein solches Weltbild!
Mayer zitterte regelrecht. „Aber Öl ist doch genügend drin? Ich hab ihn gestern durchchecken lassen, für fast dreihundert Euro, und jetzt klappert es immer noch...“
„Fahren Sie vorsichtig und bringen Sie ihn bei Gelegenheit noch mal in die Werkstatt“, riet ich, lächelte aufmunternd strebte weiter in die Textredaktion.
Am späteren Nachmittag traf die Jonas ihren Peiniger offensichtlich auch noch, denn ich hatte sie noch nie so vergnügt gesehen.
„Männer zu ärgern macht viel mehr Vergnügen als sich nur über sie zu ärgern“, stellte sie leise fest, als wir uns gegen fünf in unsere Mäntel wickelten. Ich lachte halblaut. „Eben! Aktiv werden bringt viel mehr. Manchmal denke ich auch, wenn einem einer zu nahe tritt, lieber ein kräftiger Kniehaken Sie-wissen-schon-wohin als eine windelweiche Beschwerde. Was nicht heißt, dass man sich im Zweifelsfall nicht auch beschweren sollte“, fügte ich hastig hinzu, als mir meine Chefin/Vorbild-Rolle etwas verspätet wieder einfiel.
Die Jonas lachte. „Ja, ich glaube, da haben Sie Recht. Ich werde das meiner Frauengruppe mal vorschlagen, vielleicht fühlen wir uns besser, wenn wir etwas tun anstatt immer nur zu analysieren, woher Frauenunterdrückung kommt.“
„Immer daher, dass Frauen keine Macht haben. Und keine Macht haben sie, wenn sie kein Geld haben. Also ran an die Knete!“
„So einfach ich es auch wieder nicht“, wandte sie ärgerlich ein.
„Im Einzelfall nicht, aber was glauben Sie, warum die Männer so am Geld festhalten? Die sind doch auch nicht blöd!“
Die Jonas seufzte. „Und wenn man keins hat?“
„Hauptsache, Unabhängigkeit. Dann kann einen wenigstens kein Kerl unter Druck setzen.“ Pechstein kam vorbei und warf mir einen finsteren Blick zu. Ich wartete, bis er wieder außer Hörweite war, und zischelte: „Sehen Sie? Schon einer, der uns die Entmachtungsstrategien übel nimmt!“
„Ich find´s eh blöd, dass wir nicht mehr unter uns sind“, entgegnete die Jonas.
„Da müssen wir jetzt durch, und mit Haltung. Frauenbewegtes Betroffenheitsgewinsel hilft uns nichts, wir zeigen, wie gut wir arbeiten, und geben mit unseren Leistungen ordentlich an!“
„Machen wir!“ Sie schien mir sogar das Gewinsel verziehen zu haben, als sie mir zuwinkte und sich in Richtung Tiefgarage davon machte. Ich kontrollierte noch einmal, ob alles abgeschaltet war, und brach dann auch auf.
Vor den zwei Tagen mit Pechstein grauste mir schon; sein kleiner Ausrutscher mit dem Mayer-Vorschlag schien ein einmaliges Ereignis gewesen zu sein.
Zwar gelang es mir auch am Freitag, meinen Parkplatz zu verteidigen, aber als ich den Feind um Viertel nach acht hereinkommen und muffig grüßen sah, reichte es mir schon wieder. Ich erwiderte sein Kopfnicken höflich und wandte mich meiner Arbeit zu, ohne ihn weiter zu beachten.
Warum war er eigentlich so pampig? Ich hatte mich am Anfang doch durchaus freundlich gezeigt, aber alleine schon die brüsken E-Mails! Und dass ich die gynäkologischen Gespräche unterbunden hatte, hatte er auch nicht honoriert: ziemlich undankbar! Von wegen, er konnte sich selbst verteidigen, er saß doch bloß mit roten Ohren hinter den Yuccas und muckste sich nicht! Ich musste mich vielleicht doch mehr kümmern? Schließlich war er neu!
Kommen Sie mit der neuen Printkampagne gut zurecht?
Ich wartete, bis es drüben gepiept hatte, und gab dann wieder die viel Beschäftigte. Umgehend kriegte ich die Antwort:
Danke der Nachfrage.
Toll, dann sollte er doch alleine schauen, wie er das schaffte!
Die Damen trudelten der Reihe nach ein, enthüllten die übliche seltsame, geschmacklose oder phantasievolle Gewandung und installierten sich, munter plaudernd; auch die Schmalhans war wieder gesund, äußerte sich aber ungewöhnlicherweise nicht näher, welche parapsychologischen Phänomene ihr den Virus angehext hatten. Ich fragte auch nicht, ich hatte die Ratgeberidee auszuarbeiten, weil heute eine Besprechung mit Ingeler angesetzt war.
Kaum war Pechstein in die Mittagspause verschwunden, packte Sandra Weiß ihren silberglänzenden Lackmantel und schoss zur Tür hinaus. Die Hilz sah ihr kichernd nach: „Viel Erfolg!“
„Will sie ihn schnappen?“, fragte die Schmalhans.
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