„Du musst dir gar keinen anderen kaufen“, sagte Bina, als sie Lea wieder in die Wippe gebettet hatte, „mein Bruder hat noch einen etwas angejahrten Japaner, aber recht ordentlich in Schuss und mit TÜV. Der steht bloß rum, er leiht ihn dir bestimmt.“
„Ehrlich?“
„Ja, du kennst doch den Rainer, der sammelt offenbar Autos. Der ganze Vorgarten ist voller Teile. Ich ruf ihn morgen an, ja?“
„Und wenn du noch eine billigere Wohnung findest...“, schlug Nele vor.
„Jetzt reicht´s aber“, fand Markus empört. „So teuer ist die nicht, und so was kriege ich nie wieder. Da bleibe ich drin! Dreißigtausend wären schon nicht schlecht, und ein bisschen sparen kann ich ja auch, trotz der üblen Zinsen.“
„Aber bevor sie dich in den Offenbarungseid hetzen, rührst du dich!“, verlangte Bina. „Wir treiben schon etwas auf. Wenn wir alle zusammenhalten...“
Alle nickten, aber ich war sicher nicht die einzige, die hoffte, das würde nicht nötig sein. Vielleicht erholten sich ja ein paar Werte wieder! Gefräßiges Schweigen breitete sich aus. „Und wie ist der Neue sonst so?“, fragte Nele schließlich halblaut. Ich zuckte die Achseln. „Weiß noch nicht. Er ist erst zwei Tage da. Komisch, denke ich.“
„Seltsam oder lustig?“
„Seltsam. Aber wahrscheinlich nicht seltsamer als die Viererbande.“
Theo starrte vor sich hin. „Was hast du denn?“, fragte Johannes mitfühlend.
Theo sah auf und produzierte seinen Spanielblick. „Berni zieht nach Kiel.“
„Scheiße!“, kommentierte Bina und legte ihre Gabel hin. „So plötzlich?“
„Ja, er hat da bessere Chancen, Außenhandel und so... Und seitdem er es mir gesagt hat, haben wir auch nur noch gestritten. Wieder nichts!“
Ich seufzte mitleidig. Theo hatte wirklich wenig Glück mit den Männern! Hielten Heterobeziehungen im Schnitt länger oder sah das bloß so aus? Oder passierte so etwas nur Theo? Ich hatte Berni zwar nicht gerade weltbewegend gefunden, aber wenn er Theos Glück war?
„Mitgehen willst du nicht?“, fragte Nele. „Nein. Er hat es mir auch gar nicht vorgeschlagen. In Kiel leben seine Eltern, und ich glaube nicht, dass er sich bei denen schon geoutet hat. Aufdrängen werde ich mich nicht. Und hier habe ich einen guten Job, wer weiß, was ich da oben finde. Gestern war ein Kunde bei uns, der hatte was...“ Sein Blick hellte sich wieder auf.
„Boah, ich kann nicht mehr“, seufzte Markus. Mir war eigentlich auch schon ziemlich schlecht. Wie üblich war jede Menge Fleisch übrig geblieben, weil wir uns hauptsächlich mit Baguette und Saucen vollgestopft hatten. Nele und Theo gingen nach draußen, eine rauchen, und ich half Johannes schnell, den Tisch abzuräumen. Bina wickelte Lea frisch und brachte sie dann ins Bett, wo sie prompt loskrähte.
„Das sind ja bloß Fernsehfragen“, maulte Theo, als das Spiel aufgebaut war und er schon eine Karte aus dem Kasten gefischt hatte. „Und lauter Kram, von dem ich noch nie gehört habe...“
„Umso besser“, fand ich, „dann bin ich wenigstens nicht die einzige, die sich hier blamiert!“ Bina schlug Theo auf die Finger. „Lass das, ich lese vor! Du gibst immer so obskure Tipps.“
Wenigstens ergatterte ich die blaue Spielfigur – wenn das kein Glück brachte? Die Fragen waren doof. Und hundsgemein: Das erste Eck verpasste ich, weil ich nicht wusste, wie die Sekretärin des Kommissars geheißen hatte. Nele wusste es natürlich und kassierte strahlend.
Immerhin wusste ich, wer bei Tanz der Vampire Regie geführt hatte: Roman Polanski. Aber dafür gab es leider nichts. Obskure Showmaster aus den Sechzigern, Seifenopern, die ich nie gesehen hatte – ha! Alexis Colby war Blake Carringtons erste Frau – ein Eck! Ich triumphierte, aber nicht lange; Theo, der offenbar in seiner Freizeit Filmbücher las, überholte mich spielend und hatte schon alle Ecken eingesammelt, als ich gerade mal zwei ergattert hatte. Nele war ihm hart auf den Fersen, Johannes und Markus maulten über die Fragen, und Bina fand, dieser Kasten sei sein Geld wirklich wert, so erbittert sei es noch nie zugegangen.
Theo brauchte eine Sechs, um für die finale Frage in die Mitte zu kommen, und würfelte eine Fünf. „Wie hieß der Koch auf der Ponderosa?“, las Bina vor und grinste von einem Ohr zum anderen; Theo erbleichte. „Das steht da nicht!“ Bina zeigte Johannes die Karte, der mit Grabesmiene nickte. „Leider, Theo! Na?“
Nele fing an, die Sekunden zu zählen. „Wang Lee“, behauptete Theo einen Moment vor Schluss schließlich verzweifelt.
„Falsch! Hop Sing!“
Theo sah aus, als wollte er alles vom Brett fegen, aber dann vergrub er doch nur das Gesicht in den Händen und stöhnte. Nele wusste prompt, dass das italienische Hauptfilmgelände Cinecittà hieß (aber das hätte sogar ich gewusst), und schnappte sich ihr letztes Eck.
Ich versagte bei der nächsten Frage, Markus und Johannes verzichteten, um Theo zu beobachten, der nun eine Zwei würfelte. Wieder ein Feld daneben... Und wer bei den Unverbesserlichen Inge Meysels Ehemann gespielt hatte... Keiner von uns hatte das jemals gesehen!
Nele landete auf Anhieb in der Mitte und erriet richtig, dass der häufigste Edgar Wallace-Inspektor Fuchsberger und nicht Drache gewesen war; damit waren wir mit dem Spiel und unseren Nerven am Ende.
„Ich nehme mir fest vor, ab jetzt viel mehr Schmarrn zu gucken“, grummelte Theo, mit dem ehrenvollen zweiten Platz sichtlich unzufrieden.
„Noch mehr?“, witzelte Markus. „Lern doch die Fragen auswendig!“
Johannes schenkte nach, Bina verräumte das Spiel, wir lehnten uns zurück und verglichen doofe Werbespots und diskutierten darüber, warum man trotzdem kaufte, was man im Fernsehen gesehen hatte. Nele hatte dazu einiges über unbewusste Prozesse beizusteuern, der Rest lieferte Beispiele aus dem Alltag, und ehe wir es uns versahen, war es halb zwei, und Bina gähnte diskret. Das brachte uns wieder auf die Beine, vor allem, weil man nun Lea und Julius von oben hören konnte. Nicht noch ein Märchen, schnell weg hier!
Kichernder Abschied mit vielen Dankesbezeugungen, und ich stand ratlos vor meinem Auto. Fünf Prosecco... nein, ohne Führerschein wäre ich aufgeschmissen. Lieber zu Fuß, das war höchstens eine Viertelstunde. Und die kalte, klare Nachtluft tat mir eigentlich ganz gut.
Gedankenverloren schlenderte ich nach Hause, wieder dankbar dafür, dass ich die ganze Wohnung für mich alleine hatte. Kein Kindergeschrei, kein Mann... ich hatte schon während des Studiums gemerkt, dass mich das Zusammenleben rasend machte – egal mit wem, außer mit Sunny, aber vor Sunny musste ich mich ja mit all meinen Macken auch nicht genieren – sie hatte selbst genug.
Wie sie das bloß machte, dass sie mit Gabriel so gut zurechtkam? Ich wäre nach einer Woche auf hundertachtzig gewesen, zerrissen zwischen der Angst, untergebuttert zu werden, und der Angst, Krach anzufangen. Wie oft hatte ich mich aus solchen Beziehungen Hals über Kopf verabschiedet? Ich versuchte, zu zählen, aber es waren zu viele gewesen. Nein, wenn man bindungsunfähig war, musste man sich damit abfinden. Mal eine wilde Nacht, ja – natürlich Safer Sex – aber mehr bitte nicht! Ach, Michael, du warst so praktisch... Wenn ich mich andererseits so umsah – irgendetwas schien alle Welt zu Paaren zu treiben, alle hatten oder suchten etwas Festes, also konnte ich Michael schlecht böse sein, dass ihm drei oder vier Treffen mit mir pro Jahr zu wenig waren. Hoffentlich wurde er glücklich mit seiner Megan!
Hätte ich mit ihm glücklich werden können? Ich bog in die Kapuzinerstraße ab und sann über diese Frage nach. Schwierig... ich wusste gar nicht, wie er im Alltag so war – vielleicht brachte er dauernd Freunde mit? Oder wollte immer im falschen Moment zärtlich werden? So leidenschaftlich war ich auch wieder nicht veranlagt, dafür hatte ich wohl in meiner Kindheit zu viele eher lächerlich wirkende Paare in Aktion auf einer der zahlreichen Matratzen in unserer Wohnung gesehen. Ich simplifizierte sicher schauerlich, aber wenn man zwei eher unbekannten Leuten beim Vögeln zuschaut – als Kind – denkt man sich eher Gott, wissen die nicht, wie blöd sie ausschauen? Und das Gegrunze? Und das dumme Gerede? Das Gekeuche bei offenem Mund? Die verdrehten Augen? Von Lustgefühlen weiß man in diesem Alter ja noch nicht so viel, obwohl wir durchaus zur Erforschung des eigenen Körpers angeregt wurden. Aber ich hatte mich solchen Dingen schon im Kindergarten bockig verweigert, was der Erzieherin große Sorgen bereitet hatte – das Kind würde doch nicht etwa eine repressive Sexualmoral entwickeln? Irmi war ebenfalls ratlos gewesen. Das hatte sie mir erzählt, als ich mit zehn darauf bestanden hatte, bei der Badbenutzung abzusperren, und auch keine rechte Lust mehr verspürte, meinen Eltern bei allerlei privaten Verrichtungen zuzusehen.
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