Bina... so alt wie ich (wir kannten uns seit dem ersten Semester), so energisch, dass manche sagten Harte Frau , aber eine prima Freundin, eine gute wissenschaftliche Mitarbeiterin (sie gab Proseminare an der Uni), Stab und Stütze für ihren sanften Johannes und eine liebevolle Mutter für Lea, die jetzt... fünf Monate alt sein musste, und für den dreijährigen Julius, den Johannes mit in die Beziehung gebracht hatte. Diese Uni-Jobs waren zwar schlecht bezahlt, aber vom Timing her ganz praktisch, überlegte ich – jeder hatte sechs Wochenstunden zu unterrichten und vier Wochenstunden einem Ordinarius zur Verfügung zu stehen, und dafür gab es rund zwölfhundert Euro netto. Nicht toll, aber die beiden kamen zurecht, und es war immer jemand bei den Kindern. Das war wirklich gut geregelt – man konnte nur hoffen, dass es so blieb, die Univerwaltung war ja gelegentlich etwas sprunghaft.
Zur üblichen Runde gehörten außerdem Markus, der immer noch glaubte, dass ihm die Damenwelt zu Füßen läge (aber er machte das recht charmant, so dass man ihm nie lange böse sein konnte), Theo, der liebe, verständnisvolle Theo, der immer an die falschen Kerle geriet, und Nele, die uns pausenlos analysierte, was wir taktvoll überhörten. Von der Psychomacke abgesehen, war sie aber lieb, nett, hilfsbereit und vernünftig. Sie arbeitete beim Städtischen Sozialdienst und konnte das Lösen von anderer Leute Problemen nach Feierabend nicht einfach einstellen – soweit meine Analyse. Theo arbeitete bei einer Werbeagentur, aber nicht bei der, die wir immer beschäftigten, und Markus nannte sich Anlageberater. Im Klartext hatte er einen Schreibtisch in den hinteren Regionen der Städtischen Sparkasse und drehte den Kunden dort die hauseigenen Fonds an, aber Anlageberater klang natürlich besser. Im Moment vielleicht nicht, wo der DAX mühsam um die Dreitausendermarke herumkrebste, aber vor zweieinhalb Jahren hatte der arme Markus sich noch als Halbgott gefühlt. Sein Engagement in Internetwerten („ Die Branche der Zukunft! “) zahlte er sicher noch die nächsten zehn Jahre ab.
Gescheit waren alle, gefühlsduselig war keiner, auf Räucherstäbchen stand auch keiner, und niemand nervte, wenn man über ein Problem mal nicht sprechen wollte – dann lenkten sie einen liebevoll von etwaigen Sorgen ab. So machten wir es jedenfalls, wenn Theo wieder mal verlassen worden war, wenn Markus angesichts seiner Kontoauszüge den Blues kriegte oder wenn Johannes sich einbildete, Bina könnte etwas Besseres finden als ihn: Trost oder Aufheiterung, je nach Wunsch. Bina und Nele dagegen äußerten nie Probleme oder Sorgen – und ich auch nicht. Hielten Frauen mehr aus oder wollten wir drei nur keine Schwächen zeigen? Oder waren die Männer einfach die größeren Winsler? Oder gar sensibler ? Blödes Wort...
Im Funfit strampelte ich mich am nächsten Vormittag eine Stunde lang verbissen ab, entschied mich gegen die Sauna, duschte flüchtig und fuhr nach Hause zurück. Das Funfit war ein gutes Studio, aber die Duschen... ein bisschen schmuddelig waren sie schon, da hatte ich es zu Hause wirklich besser!
Fröhlich die Songs aus dem Radio mitträllernd, suchte ich mir alle Zutaten zusammen, dann schnitt ich Tomatenpaprika und Peperoni klein, füllte alles in ein halbvolles Glas Salatmayonnaise, kippte noch etwas Joghurt dazu und einen Spritzer Tabasco, schraubte das Glas zu und schüttelte es im Rhythmus wie ein Barkeeper. Don´t Stop Moving – das gab eine gute Mischung.
Die andere Hälfte der Mayonnaise hatte ich in ein leeres Glas gelöffelt, und hier kippte ich nun klein geschnittene Ananas, eingelegte grüne Pfefferkörner und einen Hauch gemahlenen Cayennepfeffer dazu, außerdem zwei Esslöffel Ananassaft. Deckel drauf und kräftig geschüttelt – The Ketchup Song .
Das nächste halbvolle Glas wurde mit drei feingehackten harten Eiern und frisch gerebeltem Dill veredelt, dazu etwas Schnittlauch und ein Hauch gemahlener Kümmel. Im Radio kam passend dazu It´s My Life , das gab der Mischung den richtigen Schwung.
Ein halbvolles Glas war damit noch übrig. Aioli? Nein, die brachte garantiert jemand fertig mit... Ich hatte noch eine Dose Tropenfrüchte, die ich akribisch kleinhackte und mit einer großzügigen Dosis Currypulver und gehackten Mandeln in das Glas stopfte und – leider im Rhythmus der Zweiuhrnachrichten – kräftig durchmixte. Alle vier Gläser landeten, auf dem Kopf stehend, im Kühlschrank, ich putzte sofort die Reste weg, aß die übrig gebliebene Ananas auf, bewunderte die perfekt gestylte Küche und ließ mich zufrieden auf mein Sofa fallen. Frei... total frei. Und alles erledigt.
Nicht ganz, ich sollte ja Irmi anrufen... Ach nein, nicht heute. Morgen vielleicht, ich hatte keine Lust, mir die Vorfreude auf die kleine Fete heute Abend nehmen zu lassen. Über den Job wollte ich auch nicht weiter nachdenken, wozu auch. Pechstein war eigentlich ein armer Hund, wenn er als einziger Mann in einem Weibernest feststeckte. Vor allem bei solchen Weibern! Und meine Geldanlagen konnte ich auch morgen kontrollieren... Nein, ich würde jetzt bügeln und mich dann mit einem Glas Prosecco in ein heißes Schaumbad verziehen, um den Samstagabend gebührend einzuleiten!
Im Badezimmerspiegel musterte ich mich zufrieden: straff und schlank, etwas blass vielleicht, aber sonst durchaus eine Augenweide. Fast schade, dass mich um diese Jahreszeit niemand sah, wenn ich mich weiterhin um die Sauna drückte. Wenn Michael nicht plötzlich ehrbar geworden wäre... Egal, spätestens bis zum Frühjahr hatte ich sicher wieder so einen Part Time Lover gefunden, mehr brauchte ich schließlich auch nicht.
Schaumbad mit leichtem Bittermandelduft und starkem Rückfetteffekt, schön heiß... herrlich. Dazu eiskalter Prosecco und ein paar Seiten eines ganz fürchterlich kitschigen Romans – der perfekte Samstagnachmittag.
Ich lag in der Wanne, bis ich mich ganz aufgeweicht fühlte, dann trocknete ich mich sorgfältig ab, cremte mich ein und schlüpfte in Jeans, T-Shirt und eine Strickjacke – die besseren Blazer blieben dem Büro vorbehalten.
Meine hellbraunen Haare sahen etwas langweilig aus, fand ich, als ich das Samtband löste, mit dem ich sie für das Bad hochgebunden hatte, und sie ausbürstete, bis sie sich an den Enden leicht lockten. Vielleicht sollte ich mir doch mal hellere Strähnchen machen lassen? Oder vielleicht ein paar rötliche Strähnen? Könnte ganz witzig aussehen... Oder war das unseriös? Wie ein Schmalhans-Klon wollte ich auch nicht daherkommen!
Meine Augen waren so farblos, ein wässriges Grün, wie dünner Pfefferminztee. Ich hätte gerne richtig grüne Augen gehabt, oder irgendwas mit wirklich intensivem Blick. Dann würde die Viererbande sicher auch besser spuren. Aber so? Wie die Gelee-Augen in dieser Kurzgeschichte von Borchert. Wir hatten sie mal in der Schule gelesen, und alle hatten zu mir geguckt und gekichert. Am liebsten hätte ich in der Pause geheult, aber dort war man ja nicht einmal auf dem Klo alleine. Das gute alte Max...
Mit braunem Lidschatten wirkte das Grün etwas kräftiger, aber jetzt sah ich ziemlich müde aus... ich wischte längere Zeit an meinen Lidern herum, bis der Effekt meinen Wünschen entsprach, wickelte meine Haare wieder um einen Samtgummi, bis ich einen lockeren Knoten vorzuweisen hatte, und fand, das genügte. Für gute Freunde allemal!
Kindergebrüll empfing mich, als Johannes, Schatten um die Augen, mir die Tür zu dem kleinen, unordentlichen, aber doch gemütlichen Reihenhaus in Selling-Süd öffnete. „Mag nicht!“, kreischte Julius in den höchsten Tönen. Ich erhaschte einen Blick auf Bina, die ihn gerade unter den Arm geklemmt nach oben trug. Ich grinste Johannes an. „Infantile Bettflucht?“
„Sozusagen. Und Lea schläft auch noch nicht durch.“
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