Ich schlüpfte in einen Jogginganzug, band meine Schuhe zu, streifte mir ein Stirnband über, steckte meinen Schlüssel ein und fuhr zur Uni. Viele Parkplätze... es lebe der Sonntag! Dann lief ich eineinhalb Stunden lang durch den trüben Prinzenpark und spürte, wie es mir von Minute zu Minute besser ging und alles von mir abfiel, Irmi und der Schwachsinn, den sie verkündet hatte, alle doofen Männer, der Verlust meines Gelegenheitsliebhabers, Astrids Ausstieg, die Macken meiner Bürohühner, das schlechte Wetter...
Kleine Wölkchen standen vor meinem Gesicht, aber ich trabte unverdrossen weiter, einmal ganz um die Südhälfte herum und wieder zurück zum Auto, dann schnell wieder nach Hause und ab unter eine lange, heiße Dusche.
Sonntagnachmittags im Pyjama herumhängen – saugemütlich!
Die Erinnerung an den faulen Sonntag brauchte ich auch, um die kommende Woche zu überstehen. Pechstein hatte sich schon wieder auf meinen Parkplatz gestellt – morgen musste ich unbedingt früher da sein, beschloss ich am Montag und fuhr in aggressiver Stimmung hinauf ins Büro.
Er lächelte mir kalt zu, was ich mit steinernem Gesicht und einem knappen Nicken quittierte. Dann verzog ich mich an meinen Schreibtisch. Zwanzig nach acht, keine Spur von den vier peinlichen Damen... wenn sie gut waren, schafften sie es bis halb neun. Die Weiß musste sich noch auftakeln, die Hilz schob sicher noch ein Morgennümmerchen (wenn das nicht überhaupt alles pure Angabe war), die Schmalhans musste erst in die Zukunft sehen, um zu wissen, wie sie den Tag angehen sollte, und die Jonas kaute wohl noch trockenes Müsli und wappnete sich für einen Tag voller Machos. Mein Rechner piepte, kaum dass er hochgefahren war. Pechstein schon wieder – als ob er nicht mit mir reden konnte.
Wann ist der erste Tagungstermin?
Ich beschloss, lieber ausführlich zu antworten, sonst bekam ich nur wieder eine Menge unhöfliche Botschaften. Aber kein Wort zuviel!
14./15. Oktober
Regensburg
Bürokleidung
Eine Übernachtung
Alles schon gebucht
Material steht schon im Lager
Das schickte ich ab, es war ja wohl umfassend genug!
Mitnichten!
Wer fährt?
Das konnte ihm so passen!
Ich, weil ich die Örtlichkeiten kenne.
So! Die Beifahrerrolle lag mir nicht. Schon gar nicht in einem weißen Jaguar!
Wenn´s sein muss. Genieren Sie sich für den Wagen?
Dieser Arsch!
Kaum. Sonst noch Fragen?
Herzlichen Dank.
Das konnte ja nur ironisch gemeint sein! Durfte ich jetzt wieder weiter arbeiten? Nein, ich durfte nicht – alle vier kamen auf einmal herein, Weiß und Hilz in angeregter Unterhaltung, Jonas mit muffiger Miene und diesem irritierenden grauen Zopfpullover mit den vielen Fehlern im Muster, Schmalhans in rosa und orange gebatikter Seide und falschen Goldketten und mit sorgenvoller Miene. Glaubte sie nicht, dass sie die düstere Aura des Büros aufhellen konnte?
Ich deckte sie schnell mit Arbeit ein, aber es nützte nichts. Dieser dämliche Freund von der Hilz wollte, dass sie sich piercen ließ – wo, wurde lautstark beschrieben, und das musste natürlich ausführlich besprochen werden. Ich warf einen kurzen Blick auf die scharlachroten Wangen hinter den Yuccas und bat die Hilz nach draußen.
Dort kam ich sofort zur Sache.
„Frau Hilz, in Zukunft besprechen Sie solche Themen bitte nur außerhalb dieses Büros. Wenn Sie unseren neuen Mitarbeiter noch einmal so in Verlegenheit bringen, denke ich über eine Abmahnung nach. Haben wir uns verstanden?“
Die Hilz war rot angelaufen. „Ist der denn so empfindlich? Und warum verteidigen Sie ihn wie eine Tigerin ihr Junges? Stehen Sie auf ihn?“
„Die Abmahnung rückt von Minute zu Minute näher. Sie sind unverschämt, Frau Hilz. Ich will im Büro keine gynäkologischen oder anzüglichen Themen mehr hören, ist das klar? Jeder Mitarbeiter hat das Recht, nicht pausenlos irritiert zu werden. Tauschen Sie sich mit Frau Weiß in der Mittagspause oder auf der Damentoilette aus. Übrigens finde ich die Frage, wo Sie sich piercen lassen sollen, auch eher unappetitlich. Das war´s.“
Die Hilz schnaubte und schoss ins Büro zurück. Ich folgte langsamer und rief mein Mailprogramm auf.
Sagen Sie es mir bitte, wenn Frau Hilz (oder eine der anderen Damen) noch einmal unpassende Themen anschneidet, falls ich gerade nicht dabei bin.
Irgendwie blödes Deutsch, aber egal, ich schickte es ab.
Sofort kam die Antwort :
Ich kann mich auch selbst wehren, falls nötig. Trotzdem danke .
Bitte, dann nicht! Sollte er eben zuhören, wenn sich die Hilz als nächstes irgendwas auf den Hintern tätowieren lassen wollte oder von einem flotten Dreier phantasierte!
Kurz vor elf – ich machte mich auf zur Chefredakteurin. Sie sah sich geduldig die Präsentation an, nickte monoton, wollte die CD behalten, fand die Idee eigentlich ganz gut und versprach, sich darum zu kümmern. Mehr konnte ich nicht tun, also kehrte ich ins Büro zurück, wo Pechstein irgendetwas arbeitete und die Damen wie immer plauderten, ohne auch nur Arbeit vorzutäuschen. Bei meinem Eintreten schwadronierte die Schmalhans gerade: „Und wenn man sich für andere Farben entschieden hätte“ - sie sah mich – „dann würden sich diese Hefte sicher noch besser verkaufen, meint ihr nicht auch?“ Alle nickten und guckten fromm.
„Welche Hefte meinen Sie denn?“, fragte ich gemeinerweise.
„Äh – also, diese – äh - Abiturwissenreihe...“
Ich staunte. „Wir haben schon eine Abiturwissenreihe im Angebot? Das ist mir jetzt aber neu.“
„Na, diese roten, mit den – äh - weißen Streifen am Rand...“
Ich schüttelte traurig den Kopf. „Die sind nicht von uns, leider.“
Hinter den Yuccas glaubte ich ein leises Prusten zu hören, aber sicher hatte ich mich getäuscht. Ich sprach schnell weiter: „Aber die Idee wäre nicht schlecht – wenn man der Konkurrenz da Marktanteile wegschnappen könnte... Wollen Sie nicht ein Konzept entwerfen und es der Geschäftsleitung vorlegen?“
Die Schmalhans starrte mich entsetzt an. Geschäftsleitung?? „Nein – äh – ich glaube, ich sollte mal die Online-Anfragen...“ Ihre Stimme erstarb in Gemurmel. „ Gute Idee“, sagte ich herzlich und kehrte zu meiner eigenen Arbeit zurück. Recht gedämpfte Stimmung herrschte heute. Jetzt musste ich bloß noch die Weiß und die Jonas vergrämen, dann herrschte hier Friedhofsruhe.
Erst nach der Mittagspause gab es wieder eine Nachricht aus der Ecke.
Um wie viel Uhr nächsten Montag?
Das musste er jetzt schon wissen?
Gegen elf, von hier aus. Wir müssen das Material noch einladen. Bitte keinen Schrankkoffer!
Bei seiner Garderobe (heute in Anthrazit mit blassgrauem Hemd und goldener Krawatte) musste man schließlich mit dem Schlimmsten rechnen.
Keine Sorge.
Na, hoffentlich! Ich hatte jedenfalls keinen Dachgepäckträger, und der Kofferraum war mit dem Material schon so gut wie voll.
Gibt es ein Programm?
Das konnte ja wohl nicht wahr sein – hatte der eigentlich gar nichts zu tun?
Nein. Es geht um Klimaforschung im Erdkundeunterricht, vier Vorträge und zwei Workshops bis Dienstag sechzehn Uhr. Lassen Sie sich überraschen.
Pechstein las das und warf mir einen unzufriedenen Blick quer durch den Raum zu. Ich wandte mich ab – war ich denn jetzt für alles verantwortlich? Ich hatte weiß Gott genug anderes zu tun, aber Pechstein offenbar nicht. Sollte er nicht eigentlich die nächste Printkampagne vorbereiten und sie dann mit W&P absprechen?
Am späten Nachmittag marschierten wir stumm nebeneinander her zur Besprechung. Routine, nichts Weltbewegendes. Die Ratgeberreihe wurde nun tatsächlich geplant, die Chefredakteurin erwähnte sogar, dass es ursprünglich mein Vorschlag gewesen war. Sehr nobel! Bearbeiten sollte das Florian Ingeler, ein neuer Mitarbeiter. Ich taxierte ihn quer über den Tisch. Jung, frisch von der Uni – jedenfalls sah er so aus. Aber er wirkte nicht unintelligent und sah recht nett aus, also nickte ich ihm lächelnd zu und ließ eine meiner Karten zu ihm wandern – wegen Telefonnummern und E-Mail-Adresse. Fünf Minuten später kam seine Karte zurück, und Pechstein funkelte mich zornig an. Verdammt, wir tauschten doch keine Blödelbriefchen, das war Organisation der Zusammenarbeit! „Tja, wenn dann für heute alles geklärt ist...“, meinte Dr. Benrath schließlich und erhob sich schon halb, da meldete sich Pechstein.
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