Tatsächlich warfen wir uns im Herzhofener Biergarten gerade noch über den letzten freien Tisch; erst ging Jörg Bier holen, dann reihte ich mich in die Schlange am Brotzeitstand ein, Wurstsalat, Emmentaler, Radi, Breze... und schleppte alles wieder zurück.
„So, und jetzt reden wir wirklich von etwas anderem“, beschloss ich, als wir alles zwischen uns aufgebaut und schon mal einen großen Schluck Bier genommen hatten. „Was macht denn Annika?“
Jörg seufzte. „Sie hat Angst, dass man sie rausschreibt. Die Storyline ist ausgereizt, heißt es.“
„Oh.“
Annika, die ich im Stillen immer als Serienschlunze bezeichnete, gab in Spielball des Lebens die junge Rothaarige (den Namen konnte ich mir nie merken), die auf der Suche nach ihrem unehelichen Vater war und dabei den Haupthelden über seine Witwerschaft hinwegtröstete.
Ich fand die Serie bescheuert und guckte sie nie – fast nie. Bügeln konnte man aber ganz gut dabei, zugegeben. Aber das nahm ich Annika nicht weiter übel, solche Weltliteratur waren meine Krimis nun auch wieder nicht, und nicht bei jeder Schauspielerin reichte es für die Julia.
Was ich an Annika nicht mochte, war diese Art, sich aufzuführen, als habe Hollywood schon nach ihr gerufen. Sie war eine von tausenden Seriendarstellerinnen; Schauspielerin war sie genau genommen keine, sie hatte keine Ausbildung und vorher nur einmal im Freitagskrimi die Leiche dargestellt. Gut, eine sehr schöne und sehr erotische Leiche, aber so viel zu spielen hatte es da nicht gegeben.
Trotzdem benahm sie sich, als jette sie nur zwischen Talkshows, Filmbällen und aufregenden Sets hin und her, und abgesehen von ihren Branchenkenntnissen war sie meiner Ansicht nach dumm wie die Nacht finster. Sie hatte ja nicht mal Abitur! Gut, dass war arrogant von mir, aber was sie alles nicht wusste, war manchmal schon ziemlich peinlich.
Was Jörg an ihr fand, war mir ein Rätsel. Vielleicht war sie ja fantastisch im Bett ( Dumm fickt gut ?), aber so oft kam er bei ihr auch nicht zum Zuge, denn sie behandelte ihn, als sei er ein Relikt aus ihrer wenig glamourösen Vergangenheit – als ob ihre Gegenwart so glamourös wäre!
Jörg hatte mir mal erzählt, wie es da zuging, und ich hatte höllisch aufgepasst, man wusste schließlich nie, wann man so etwas brauchen konnte. Fünf Tage die Woche schufteten die Armen da wie im Akkord, jede Szene musste möglichst beim ersten Take sitzen, denn man drehte jeden Tag etwas mehr als eine Folge. Kunststück, das Zeug lief seit Jahren ohne Pause, und wenn die Darsteller Urlaub haben wollten, mussten sie vorausarbeiten.
Am Wochenende hatten sie dann zwar frei, durften aber keinen riskanten Sport treiben (sonst müssten die Autoren blitzschnell ein Gipsbein ins Drehbuch schmuggeln), sich nicht spontan die Haare färben, in der Öffentlichkeit nur nach Absprache auftreten und auf keinen Fall etwas äußern, was ihrem Serienimage widersprach.
Scheißjob, dachte ich mir öfters, aber deshalb musste Annika nicht tun, als sei sie Julia Roberts und wir nur irgendwelche Fans!
„Außerdem haben wir uns gestritten“, klagte Jörg weiter und nahm noch einen tiefen Schluck, „sie sagt, ich behindere ihre künstlerische Entwicklung.“
„Haha, welche Entwicklung denn? Oder hat sie ein besseres Angebot gekriegt?“
„Nein, immer noch die edle Tochter auf der Suche. In der Rolle steckt echt nichts.“ In Annika auch nicht , dachte ich respektlos, es kann nur raus, was auch drin ist . „Und wieso behinderst du sie dann? Wenn ich beruflich so auf der Kippe stehen würde, würde ich doch meinen Freund nicht vergrätzen – wer sollte mich trösten, wenn´s knallt?“
„Ich glaub, da hat sie schon einen im Auge, der arbeitet bei Local One und vielleicht suchen die jemanden für eine neuartige Talkshow, richtig vor Ort, auf der Straße...“
„Klingt ja berauschend. Gibt´s auch fast noch gar nicht.“
„Für eigene Ideen hat Local One doch kein Geld“, wandte Jörg ein und lächelte boshaft. „Jedenfalls hält sie den gerade für den absoluten Megatypen, und ich bin abgemeldet. Ach ja, ihre Schuhe durfte ich noch zur Reparatur bringen."
„Lass dich doch nicht so schikanieren“, sagte ich empört, „hast du das denn notwendig?“
„Weiß ich doch. Aber wenn ich sie dann wieder sehe – sie ist so entzückend... und sie kann so lieb sein...“
„Ja, wenn es ihr in den Kram passt“, muffte ich und prüfte, ob der Radi schon genügend geweint hatte. Hatte er, ich riss ein großes Stück ab und verspeiste es. Wenn ich Kathrin morgen anhauchte, würde sie tot umfallen – Mist, und der fiktive Zahnarzt natürlich auch! Na, jetzt war´s zu spät.
„Du magst sie eben nicht“, stellte Jörg scharfsinnig fest.
„Ich glaube bloß, du könntest was Besseres haben. Die erinnert sich doch bloß an dich, wenn sie dich braucht, ansonsten jagt sie ihrer Hollywoodkarriere nach." Der Radi war wirklich sehr lecker. Ich aß ihn fast ganz alleine auf.
„Meinst du nicht, du könntest eine finden, die ein bisschen mehr zu bieten hat?“
„Ich liebe Annika eben. Dass sie das nicht so ganz erwidert, weiß ich auch, aber wenn sie Trost braucht...“
„Das ist doch bescheuert!“, ärgerte ich mich.
„Mag sein. Ich sage nur Fabian ...“
„Du Ratte!“, fuhr ich auf, „An den hättest du mich nicht erinnern müssen!“
Fabian, der ambitionierte Jungautor, der mich nur angebaggert hatte, weil er Beziehungen zu Winkler & Lange haben wollte. Ich war nur wichtig, wenn Scherer, Falkenstein oder eben Kathrin kein Interesse hatten oder wenn sein Meisterwerk (sehr esoterisch und schwer zu deuten) nicht so recht voranging. Sobald W&L sein epochemachendes Oeuvre, „Raunen im Kopf“, verlegt hatten, war ich abgemeldet - bis die Verkaufszahlen feststanden. Da hatte ich aber keine Lust mehr gehabt, ihn zu trösten. „Jetzt, wo ich keinen Erfolg mehr habe, stößt du mich ab“, hatte er gezetert, „du wolltest nur von meinem Ruhm profitieren!“ Von welchem Ruhm denn? Die Reste waren verramscht worden, und W&L hatten auf die harte Tour gelernt, dass nicht in jedem Zwanzigjährigen ein Bestseller steckte.
Dass Jörg mit diesem Flop ankam, zeigte mir, dass er sich über meine Kritik an seiner Serienschlunze ärgerte. „Okay“, sagte ich also, „ich nehme alles über Annika zurück. Aber sei nicht zu blauäugig!“
„Wofür hältst du mich denn? Für einen Naivling?“
„Naja...“ Ich musste grinsen und Jörg holte mit einem Stück Breze aus. Dann lachte er aber selbst. „Jetzt sind wir schon so alt und gereift, ekelhafte Vierunddreißig – und unser Liebesleben schaut aus wie bei Teenagern. Ist das nicht peinlich?“
„Wir können natürlich auch behaupten, das zeigt, wie jung wir geblieben sind, trotz der ersten Falten und grauen Haare.“
„Wo hast du denn graue Haare?“
„Kommen sicher bald. Du hast ja schon welche!“
Er wich meiner zupfenden Hand aus, war aber nicht allzu vergrämt. Vielleicht war er ja zufrieden damit, dass wenigstens die Stirn nicht immer höher wurde?
Mit Mühe und Not schafften wir es, ein Gesprächsthema zu finden, das weder Annika noch meine blöde Kurzgeschichte tangierte: Wir lästerten über ehemalige Mitschüler, das war immer wieder ergiebig, vor allem, als wir auf die unsägliche Gerlinde kamen, von der das Gerücht ging, sie hätte einen Pfarrer geheiratet – gleich nach dem Abitur.
„Der muss ja stocktaub sein“, behauptete Jörg und grinste mies, „sonst hätte ihn das dumme Gequatsche sofort erledigt.“
„Der arme Häkelkreis“, entgegnete ich versonnen. „Ich würde sagen wollen, hier sollte man noch eine Luftmasche...“ Dann begann ich haltlos zu kichern und konnte nicht mehr aufhören. Jörg betrachtete mich nachdenklich und verglich den Pegelstand in unseren Maßkrügen.
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