Da Kaiser Friedrich II. sich vor allem in Sizilien aufhält, um dort eine straffe und zentralistische Verwaltung aufzubauen, muss er Deutschland den Fürsten und Bischöfen überlassen, die in Abwesenheit des Kaisers alles daran setzen, ihre eigenen Machtbereiche auszubauen. Das wird sich später rächen. Zunächst ist Friedrich II. mit den Verhältnissen in – wie es heißt - „Deutschlandsizilien“ und mit den Vorbereitungen eines 5. Kreuzzuges beschäftigt, zu dem schließlich 1228 aufgebrochen wird. Zu regelrechten Kämpfen kommt es nicht, da einerseits die Zahl der Kreuzritter nicht wirklich erschreckend ist und andererseits der potenzielle Gegner Al-Kamil, der Sultan von Ägypten, in andere Konflikte verstrickt ist. So greifen die Beteiligten zum Mittel der Diplomatie und verhandeln miteinander. Friedrich II. gelingt es Jerusalem, Jaffa, Nazareth, Bethlehem und Teile Galiläas seinem Gegenüber abzuringen. Das hatte keiner seiner Kreuz tragenden Vorgänger erreicht: Jerusalem wird ohne Blutvergießen zurück gewonnen. Am 18. März 1229 setzt Friedrich II. zu Füßen der Gebeine des Herrn in der Grabeskirche sich selbst die Krone des Königs von Jerusalem auf den Kopf und ist damit am Ende des 5. Kreuzzugs in Personalunion König von Jerusalem, Italien, Deutschland und Sizilien und zugleich Kaiser des römischen Reiches.
Eine derartige Ämterhäufung kann nicht gut gehen. Vor allem im Norden Italiens hat er es – genau wie sein Großvater Friedrich I. Barbarossa - mit dem erbitterten Widerstand des lombardischen Städtebunds zu tun. Im Zuge der Streitigkeiten marschiert Friedrich II. mehrmals im Vatikan ein, wird öfters gebannt und wieder in den Schoß der Kirche aufgenommen. Am 17. Juni 1245 greift der Kaiser nochmals den Kirchenstaat an und wird daraufhin vom Papst, der seinerseits einen blutig niedergeschlagenen Aufstand in Sizilien gegen Friedrich II. anzettelt, für abgesetzt erklärt. Während Friedrich II. sich fast ausschließlich in Italien aufhält, wächst die Macht der Fürsten in Deutschland immer weiter. Friedrich II., ein Mann, dem viele Zeitgenossen hohe Bildung und außergewöhnliche Persönlichkeit nachsagen, stirbt Mitte Dezember 1250. Die Fundamente der Königsmacht in Deutschland sind bis zu diesem Zeitpunkt durch den staufisch-welfischen Konflikt dauerhaft zerstört.
Seine diplomatischen Erfolge im Nahen Osten sind auch nicht von langer Dauer, denn 1244 wird Jerusalem wieder von den Türken zurückerobert. Der darauf 1248 einsetzende 6. Versuch, die Heilige Stadt von den „Heiden“ zu befreien, endet für das vom französischen König Ludwig IX., „dem Heiligen“, angeführte Heer in ägyptischen Gefangenenlagern. Der 7. und letzte Kreuzzug dauert nur wenige Monate, weil eine verheerende Beulenpest unter den Rittern wütet. 1270 ist nicht nur der letzte Kreuzzug beendet, sondern auch die Begeisterung für heilige Kriege unter der christlichen Bevölkerung des Abendlands geschwunden. Ohne die christlichen Heere können sich die so genannten Kreuzfahrer-Staaten nicht mehr halten, Syrien und Palästina werden von muslimischen Truppen zurückerobert. Damit geht die knapp 200-jährige militärische Auseinandersetzung im Nahen Osten zu Ende. Wie vielen Millionen Menschen dieses Unterfangen unter dem höhnischen Kampfruf „Gott will es!“ das Leben gekostet hat, kann man nur schätzen. Die geopolitische Landkarte des Nahen Ostens ist durch die Kreuzzüge jedenfalls nicht nachhaltig verändert worden. Vorher wie nachher ist dieser Teil der Welt mehrheitlich von islamischen Staaten geprägt, von denen das bis 1922 existierende Osmanische Reich das bedeutendste werden wird.
Die römischen Päpste haben die europäische Christenheit in die Kreuzzüge geführt und tragen als oberste Heeresführer die Verantwortung für Opfer und Verwüstungen. Die weltlichen Herrscher haben sich in den Dienst der Kurie gestellt und deren Wunsch nach Unterwerfung der „Heiden“ in die militärische Tat umgesetzt. Das christliche Kreuz ist das Symbol für die Ritter, es drückt gleichzeitig ihre religiöse Ideologie aus, mit der sie ihren islamischen Gegnern entgegen treten. Den Päpsten ist es gelungen, Europa unter dem Zeichen des Kreuzes zu vereinen und für die „Befreiung Jerusalems“ zu begeistern. Widerspruch gibt es nicht, denn der Papst ist der von Gott gesandte Stellvertreter auf Erden, dem die weltliche Macht zur Verteidigung und Durchsetzung des göttlichen Willens zur Seite zu stehen hat. Papst und Kaiser sind eine heilige Einheit, die diese göttliche Ordnung garantiert. So unterschiedlich die europäischen Völker sind, so sehr sie miteinander in Kriege verwickelt sind, so sehr sind sie aber eben auch Teil der christlichen Gemeinde des Kontinents.
Mit den Kreuzzügen kommt die „Universitas christiana“ deutlicher als je zuvor zum Ausdruck. Die Christen des Abendlandes fühlen sich als Einheit, gemeinsam befolgen sie klaglos die Regeln ihrer Religion. Die christlichen Ritter fragen zwar auch nach weltlicher, materieller Entlohnung, streben aber in erster Linie danach, die Wiege ihrer Religion aus den Händen jener zu befreien, die in ihren Augen „Heiden“ sind. Die machtvolle Stellung der Päpste in Europa dauert so lange, bis sich in ihren eigenen Reihen ein christlicher Gegenentwurf bildet, der die Macht der alten römischen Kirche erst in Frage stellen und dann deutlich vermindern wird. Bis dahin aber dauert es noch gut 200 Jahre.
In der bisherigen Geschichte Europas folgen Katastrophen und Kriege rasch aufeinander. Diverse Eroberungen sind nicht von langer Dauer und haben keine langfristige Veränderung der europäischen Landkarte bewirkt. Die Abwehr der arabischen Eroberung des Frankenreiches durch Karl Martell im Jahre 732 in der Schlacht von Tours und Poitiers mag dabei ebenso eine Ausnahme sein, wie die vernichtende Niederlage des christlichen Heeres in Ostanatolien bei Mantzikert im Jahre 1071, die das Vordringen der Seldschuken in das einstmals von der stolzen christlichen Metropole Konstantinopel beherrschte vorderasiatische Gebiet ermöglicht.
Das mittelalterliche Europa zeigt die Grundzüge seines noch heute bekannten Gesichts: das Königreich Ungarn ist entstanden, das Kroatien, Bosnien und Slawonien umfasst und bis nach Krakau im Norden reicht. Darüber schließt sich Polen an. Königreiche gibt es außerdem in Dänemark, Schottland, England, Frankreich und Sizilien sowie in den spanischen Provinzen Kastilien, Leon, Navarra und Aragon, die später in einem spanischen Königreich vereint sein werden. Auch Deutschland und Italien sind herausgebildet. Während sich bei den meisten Nachbarn erste Konturen eines gemeinsamen „Staatswesens“ herauskristallisieren, herrscht in Deutschland das genaue Gegenteil vor: der scheinbar unauflösliche Konflikt zwischen zentraler und partikularer Gewalt. Und deshalb kommt es wie es kommen muss...
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Schlacht um die Krone
1256 – 1414
... denn nach dem Tod von Kaiser Friedrich II., der sich während seiner Regentschaft höchst selten in Deutschland aufgehalten hatte, droht das deutsche Reich Mitte des 13. Jahrhunderts in den Wirren innenpolitischer Auseinadersetzungen zu versinken. Der Weg ins Chaos scheint nach dem Ende der Stauferherrschaft vorgezeichnet, weil es weder in Italien noch in Deutschland eine zentrale politische und administrative Macht gibt. Nur die Fürsten, die mit der Wahl eines neuen Königs keine Eile haben, profitieren von dieser Situation. Die mächtigen Territorialfürsten sind der Korruption anheim gefallen, sodass die Wahlentscheidung des kurfürstlichen Kollegiums nichts mit der tatsächlichen Qualifikation eines Kandidaten zu tun haben muss. 1257 und 1258 kaufen sich mit Alfons von Kastilien und Richard von Cornwall zwei ausländische Bewerber, die niemals deutschen Boden betreten haben, in die deutsche Königswürde ein. Andere Kandidaten, die sehr wohl geeignet sind, haben deshalb keine Chance, weil sie den Kurfürsten zu mächtig geworden wären. Die Kurfürsten verwandeln ihr Recht zur Königswahl in klingende Münzen. Während die Bedeutung des deutschen Königs sinkt, steigen sie zu den eigentlichen Machthabern in Deutschland auf.
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