„Sie beschneiden die Christen und das Blut der Beschneidung gießen sie auf den Altar oder in die Taufbecken. Es gefällt ihnen, andere zu töten, indem sie ihnen die Bäuche aufschneiden, ein Ende der Därme herausziehen und an einen Pfahl binden. Unter Hieben jagen sie sie um den Pfahl, bis die Eingeweide hervordringen und sie tot auf den Boden fallen. Ihr solltet von dem Umstand berührt sein, dass das Heilige Grab unseres Erlösers in der Hand des unreinen Volkes ist, das die heiligen Stätten schamlos und gotteslästerlich mit seinem Schmutz besudelt.“
Tatsache ist, dass die muslimischen Herrscher über Jerusalem in den christlichen Pilgern eine lohnende Einnahmequelle erblickt und die heiligen Stätten deswegen nur gegen die Zahlung einer Art Eintrittsgeld zugänglich gemacht haben. Für die frommen Pilgerscharen, die ihre Knie auf der heiligen Erde des Ölbergs oder Golgathas beugen wollen, ist das natürlich unerträglich. Alljährlich sammelt sich eine christliche Reisegesellschaft in Rom an den Gräbern der Apostel, setzt auf Galeeren von Pisa oder Genua nach Konstantinopel über und macht sich von dort zu Fuß ins Land der Verheißung auf. Nach dieser beschwerlichen Reise lockt – am liebsten natürlich zur Osterzeit – ein Gebet an einem Stein, auf dem angeblich Jesus von Nazareth gesessen hat oder ein Schluck aus einer Wasserquelle, von der einst schon die Lippen des Herrn benetzt worden sind. Alsdann geht es weiter auf die Berge des Leidens und zu der Stätte, wo der Leib Christi seine ewige Ruhe gefunden hat. Ist genügend Buße getan und feierliches Gelübde für einen zukünftig besseren Lebenswandel abgelegt, folgt ein Bad in den seichten Wellen des Jordan. Nachdem die Sünden der Vergangenheit auf diese Weise entsorgt worden sind, machen sich die Geläuterten auf ihre Heimreise, die keineswegs einfacher als der Hinweg ist, sich aber wegen der reinigenden Kraft des Besuchs der heiligen Stätten leichter ertragen lässt. Devotionalienhandel gibt es auch damals schon. Für ein Steinchen aus den Mauern der Grabeskirche oder einen Palmenzweig aus dem Garten Gethsemane lässt manch ein Pilger Geld springen. Das haben auch die neuen Herren erkannt und halten deshalb die Tore Jerusalems für die Reisenden eine Weile offen – „des Gewinnes wegen“, wie es in einer der vielen Überlieferungen aus jener Zeit heißt. Aber sie verunstalten auch manche der heiligen Stätten, zerstören Steinfiguren, die Christus ohne Nase und Ohren zeigen. Diese stummen Ankläger einer wüsten Herrschaft im Heiligen Land erzürnen die Christenmenschen, die ihrer Empörung nach der Rückkehr in die Heimat freien Lauf lassen.
1095 fühlt sich Kaiser Alexius in Konstantinopel von den Seldschuken derart bedrängt, dass er nicht nur um den Bestand seines Reiches, sondern auch um den des christlichen Abendlandes ernsthaft besorgt ist. Er fleht den Papst um Hilfe an und schreibt an Fürsten und Herzöge, in Palästina würden die Heiden argen Frevel gegen christliche Töchter begehen, wozu die Mütter unkeusche Lieder singen müssten, während im umgekehrten Fall die Töchter das Singen anzufangen hätten. Gleichwohl erwähnt Alexius auch, dass es von den „Heiden“ Goldschätze zu holen gebe und dass die „Weiber des Orients“ unvergleichlich schöner seien als die des Abendlandes. Derart angestachelt fällt der Aufruf zum Krieg gegen die „Heiden“ in Palästina auf ein überwältigendes Echo.
Papst Urban II. unterstützt den Kampfeswillen der christlichen Krieger noch dadurch, dass er Ablass für alle vergangenen und zukünftigen Sünden auf Erden und den somit garantierten Einzug ins Paradies in Aussicht stellt. Vor allem französische Ritter folgen dem Kriegsruf des christlichen Heerführers, der sie in den nächsten Jahren in große Gefahren und blutige Kämpfe verwickeln wird. In Deutschland ist die Kriegsbegeisterung nicht so ausgeprägt, dafür zeigt sich in deutschen Landen unter den wenigen Kreuzrittern zum ersten und leider nicht zum letzten Mal eine zum Blutrausch gesteigerte Judenfeindschaft. Vermutlich im Sog der „Schlacht gegen die Heiden“ wenden sich Fanatiker gegen die anderen „Ungläubigen“ im eignen Land und richten ein Massaker an, das im Jahr 1096 stattfindet und eine böse Ahnung von dem verbreitet, was noch kommen wird. In den „sächsischen Annalen“ findet sich der Bericht eines unbekannten Schreibers:
„In Mainz erschlugen sie neunhundert Juden und verschonten dabei weder Frauen noch Kinder. Bischof dieser Stadt war dazumal Rothard, in dessen Schutz sich die Juden mit ihren Schätzen geflüchtet hatten; doch vermochten weder Bischof noch seine Ritter, die eben in beträchtlicher Zahl zugegen waren, die Juden zu verteidigen und den Jerusalempilgern zu entreißen. (…) Nachdem dem Bischofshof, in dem Juden Schutz gesucht hatten, und sogar die Gemächer des Bischofs erstürmt worden waren, wurden alle Juden, die man daselbst fand, ermordet. Diese Niedermetzelung der Juden fand am Dienstag vor dem Pfingstsonntag statt; es bot einen kläglichen Anblick, als man die großen und zahlreichen Haufen der Erschlagenen mit Wagen vor die Stadt hinausfuhr. Auf gleiche Weise wurden die Juden zu Köln, Worms und in anderen Städten Frankreichs und Deutschlands ermordet. Nur wenige kamen davon, die in ihrer Not ihre Zuflucht zur Taufe nahmen.“
Der Zug der Ritter mit dem Kreuz auf der Rüstung, der im Jahr 1096 voller Begeisterung mit der Aussicht auf lohnende Beute ins Land der Verheißung aufbricht, umfasst 330.000 Menschen. Die Zahl der Opfer dieses ersten von insgesamt sieben Kreuzzügen wird mit 290.000 angegeben. Die Marschroute führt die Krieger Christi zuerst nach Konstantinopel, wo die Schwierigkeiten schon beginnen. Der dortige Kaiser Alexius will seine Stellung in Kleinasien schützen und verlangt von den Kreuzfahrern das Versprechen, alle eroberten Gebiete an ihn als Lehnsherren zu übereignen. Nach langem Verhandeln willigen Fürst Raymond von Toulouse und Herzog Gottfried von Bouillon ein und die Reise kann weitergehen. Aber das Unternehmen droht an einem zweiten Ungemach zu scheitern, denn die abendländischen Ritter befinden sich in unbekanntem Gebiet und sind auf Hilfe und Ehrlichkeit ihrer griechischen Führer angewiesen. Ohne sie würden die christlichen Heerscharen ihr Ziel vermutlich nie erreichen und in jeden Hinderhalt der türkischen Seldschuken laufen, die den Kriegern des Kreuzes ihren erbitterten Widerstand entgegenhalten. Zu den unablässigen Angriffen der Türken kommen noch sengende Sonne, Hunger und Durst, sodass manch einer der frommen Ritter seinen Entschluss spätestens in den Weiten der kleinasiatischen Tiefebene bereut.
1096 ist das Kreuzfahrerheer aufgebrochen, bis Anfang Juli 1098 werden Nicea und Antiochia erobert. Über Beirut geht es weiter nach Jaffa und Haifa. Zwischenzeitlich hat Gottfried von Bouillon Edessa eingenommen und den ersten so genannten Kreuzfahrer-Staat gegründet – die Grafschaft Edessa, die sich zu beiden Seiten des Euphrat ausbreitet. Drei Jahre nach ihrem Abmarsch erreichen die Kreuzfahrer schließlich Jerusalem. Was sie dort anrichten, spottet jeder Beschreibung, denn sie verhalten sich keineswegs besser als die, gegen die zu kämpfen sie vorgeben.
Im Juli 1099 beginnt der letzte Teil der Schlacht des inzwischen auf 21.000 Ritter zusammen geschrumpften Kreuzfahrer-Heeres um Jerusalem. Rammböcke und Wurfmaschinen richten ein Zerstörungswerk an, das von einem fürchterlichen Gemetzel begleitet wird. Mit dem Ruf „Gott will es!“ auf den Lippen erstürmen sie Jerusalem und richten ein bestialisches Blutbad unter den Bewohnern jener Stadt an, in der seit Jahrhunderten Menschen unterschiedlichen Glaubens leben. Mit gleichem Eifer vergewaltigen und rauben die christlichen Krieger, sodass nur wenige der Bewohner der Stadt mit dem Leben davonkommen. Dieses Massaker stilisieren die Gotteskrieger zur „Reinigung“ der Stadt von den Ungläubigen. Aber ihre „Säuberungsaktion“ stellt die Gräuel der vorangegangenen Belagerung der heiligen Stadt bei weitem in den Schatten. Nach dem Morden halten die christlichen Eroberer eine Dankprozession ab. Die Totenstille der Stadt wird nur von den Schritten der Sieger durch das Blut und die geschändeten Leiber der Opfer gestört. Dieser Tag kostet 70.000 Menschen das Leben.
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