Rembert Graf Kerssenbrock - Die Vereinigten Staaten von Europa

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mithilfe der Europäischen Gemeinschaften versucht, Europa nachhaltig zu befrieden. Die zunächst rein wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten sollte einer Entfremdung und so langfristig auch politischen Konflikten vorbeugen. In diesem Sinne sprachen damals u. a. Regierungsoberhäupter wie Winston Churchill und Konrad Adenauer in Anlehnung an die USA von den «Vereinigten Staaten von Europa». Ihnen ging es also maßgeblich um die langfristige Verwirklichung eines europäischen Bundesstaates. Es gab eine politische Vision von einem «vereinten Europa», die sich auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in der Präambel desselben manifestierte. In diesem Sinne begann eine Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften, später der Europäischen Union, die zur Folge hatte, dass sich aus der reinen Wirtschaftsunion auch eine politische Union entwickelte, deren Rechtsnatur nicht der herkömmlicher internationaler Organisationen entsprach.
Als das Bundesverfassungsgericht am 30. Juni 2009 sein Urteil zum Vertrag von Lissabon fällte, war schnell erkennbar, dass das Gericht grundsätzliche Aussagen zur Integration Deutschlands in die EU bzw. das «vereinigte Europa» machen würde. Besondere Bedeutung erhielt das Urteil aber nicht wegen seines abschließenden Votums, sondern wegen seiner Aussagen zum Grundgesetz und dessen Grundlagen zum Einigungsprozess insgesamt. In einem nie da gewesenen Umfang nahm das Gericht die Verfassungsbeschwerden einzelner Abgeordneter zum Anlass, den Status der Europäischen Union und ihrer Entwicklungsperspektiven mithilfe seiner Interpretation des Grundgesetzes zu bewerten. Das Lissabon-Urteil erschöpfte sich aber nicht in derartigen Bewertungen, sondern das Gericht entwickelte seine frühere Rechtsprechung und die darin getroffenen Feststellungen zu Europa fort.

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Die Vereinigten Staaten von Europa

Die Lissabon-Entscheidung und die Notwendigkeit, Volkssouveränität neu zu verstehen

Promotionsschrift

vorgelegt von

Rembert Graf Kerssenbrock

aus Kiel

Dezember 2012

Impressum

Die Vereinigten Staaten von Europa

Die Lissabon-Entscheidung und die Notwendigkeit, Volkssouveränität neu zu verstehen.

Copyright: © 2013 Rembert Graf Kerssenbrock

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-5251-4

Vorwort

Die Idee zu der Arbeit kam, als ich mich im Rahmen der Vorbereitung auf das erste Staatsexamen mit dem Lissabon-Urteil beschäftigte. Einige Passagen des Urteils schienen Dogmen zu formulieren, die man im Schwerpunktstudium des Europa- und Völkerrechts nicht als solche vermittelt bekommen hatte. Nach dem Examen wendete sich der Autor an dessen späteren Doktorvater Prof. Dr. Proelß mit der Idee, einzelne Thesen des Lissabon-Urteils zu untersuchen und diese unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten; er erklärte sich sofort bereit, dieses Projekt zu betreuen. An dieser Stelle möchte ich Herrn Prof. Dr. Proelß herzlich für die persönliche und menschlich sehr angenehme Betreuung danken.

Danken möchte ich zudem meinem Studienfreund Jonas Hennig für die interessanten philosophi-schen Diskussionen, die wir während dieser Zeit führten, welche für den Autor zu wertvollen Anre-gungen wurden.

Danken möchte ich auch meinem Schulfreund Arno Köhrsen, dessen Hinweise für die Ausgestaltung der Arbeit sehr wertvoll waren.

Mein besonderer Dank gilt abschließend meinen Eltern. Ohne ihren Zuspruch und ihre Unterstützung hätte ich diese Arbeit nicht schreiben können

Die Arbeit ist eine Grundlagenuntersuchung und soll ein Beitrag zu der fortdauernden Diskussion über Europas Grenzen und seine Möglichkeiten sein, um sie schließlich ergebnisoffener führen zu können.

Hamburg, im Februar 2013

Rembert Graf Kerssenbrock

Abkürzungsverzeichnis

a. A. andere(r) Ansicht

Abs. Absatz

AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung

AJIL American Journal of International Law

Alt. Alternative

AöR Archiv des öffentlichen Rechts

APZ Aus Politik und Zeitgeschichte

Art. Artikel

AStL Allgemeine Staatslehre

Bd. Band

BeckRS Beck-Rechtsprechung (Online-Rechtsprechungssamm-lung

BGBl. Bundesgesetzblatt

BGH Bundesgerichtshof

BT-Drs. Bundestagsdrucksache

BVerfG(E) Bundesverfassungsgericht (Entscheidung)

bzw. Beziehungsweise

ders. derselbe

d. h. das heißt

DÖV Die Öffentliche Verwaltung

Drs. Drucksache

DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt

ebd. ebenda

EG Europäische Gemeinschaft

EMRK Europäische Menschenrechtskonvention

EU Europäische Union

EUV Vertrag über die Europäische Union

EuGH Europäischer Gerichtshof

EuR Europa-Recht (Zeitschrift)

EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

f./ff. Folgende/fortfolgende

FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung

Fn. Fußnote

GG Grundgesetz

h. M. herrschende Meinung

Hrsg. Herausgeber

ICJ (Rep). International Court of Justice (Report)

IGH Internationaler Gerichtshof

i. V. m. in Verbindung mit

JA Juristische Ausbildung (Zeitschrift)

JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts

JuS Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ Juristenzeitung

lit. littera (Buchstabe)

ln. line (englisch: Zeile)

NATO North Atlantic Treaty Organization

n. F. neue Fassung

NJW Neue Juristische Wochenschrift

Nr. Nummer

Rn. Randnummer(n)

Rs. Rechtssache(n)

s. siehe

S. Seite

Slg. Sammlung

sog. so genannte

str. streitig

StR Staatsrecht

u. a. unter andere(m)

UN United Nations (Vereinte Nationen)

U.S. United States (of America)

v. von

vgl. vergleiche

Vol. Volume

ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht

ZEuS Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik

z. T. zum Teil

A. Einführung

I. Zielsetzung

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde mithilfe der Europäischen Gemeinschaften versucht, Europa nachhaltig zu befrieden. Die zunächst rein wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Staaten sollte einer Entfremdung und so langfristig auch politischen Konflikten vorbeugen. In diesem Sinne sprachen damals u. a. Regierungsoberhäupter wie Winston Churchill 1und Konrad Adenauer 2in Anlehnung an die USA von den „Vereinigten Staaten von Europa“. Ihnen ging es also maßgeblich um die lang fristige Verwirklichung eines europäi-schen Bundesstaates. Es gab eine politische Vision von einem „vereinten Europa“, die sich auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in der Präambel desselben manife-stierte. In diesem Sinne begann eine Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften, später der Europäischen Union, die zur Folge hatte, dass sich aus der reinen Wirtschaftsunion auch eine politische Union entwickelte, deren Rechtsnatur nicht derjenigen herkömmlicher inter-nationaler Organisationen entsprach.

Die Einschätzungen der rechtlichen Situation der Gemeinschaften, der daraus entstandenen Union und ihrer darin eingebetteten Mitgliedstaaten fielen und fallen erheblich auseinander. Das Bundesverfassungsgericht nahm in diesem Prozess bereits früh die Rolle der letzten Ent-scheidungsinstanz – als „Hüter der Verfassung“ – ein 3. die über die Konformität der europäi-schen Einigungsverträge mit dem Grundgesetz befand und zum Teil auch Änderungsforde-rungen an die Einigungs-/Reformverträge stellte.

Als das Bundesverfassungsgericht in dieser Rolle am 30. Juni 2009 sein Urteil zum Vertrag von Lissabon fällte, war schon vor Bekanntgabe des Urteils erkennbar 4, dass das Gericht grundsätzliche Aussagen zur Integration Deutschlands in die EU bzw. das „vereinigte Europa“ machen würde. Wie zum Großteil erwartet, befand das Bundesverfassungsgericht mit Aus-nahme eines Nebengesetzes 5den Vertrag von Lissabon mit seinen neuen Regelungen für mit dem Grundgesetz vereinbar. Besondere Bedeutung erhielt das Urteil aber nicht wegen sei-nes abschließenden Votums, sondern wegen seiner Aussagen zum Grundgesetz und dessen Grundlagen zum Einigungsprozess insgesamt. In einem nie da gewesenen Umfang nahm das Gericht die Verfassungsbeschwerden einzelner Abgeordneter zum Anlass, den Status der Eu-ropäischen Union und ihrer Entwicklungsperspektiven mithilfe seiner Interpretation des Grundgesetzes zu bewerten. Das Lissabon-Urteil erschöpfte sich aber nicht in derartigen Be-wertungen, sondern das Gericht entwickelte seine frühere Rechtsprechung und die darin ge-troffenen Feststellungen zu Europa fort. 6Wie damals, so sind aber auch in diesem Grund-satzurteil einzelne Auslegungen und Schlussfolgerungen nicht nur widersprüchlich, sondern schon im Ansatz zweifelhaft. 7

Ein grundlegendes Problem der Aussagen ist die Tendenz des Gerichtes, Erkenntnisse über das Grundgesetz und seine Aussagen aus seinem Verhältnis zu den heutigen europäischen Einigungsverträgen 8zu gewinnen. Zwar war gerade das Verhältnis des neuen Einigungsver-trages zum Grundgesetz der Untersuchungsgegenstand des Urteils. Das Bundesverfassungs-gericht beschränkte sich aber nicht darauf, sondern wollte auch Aussagen zum Grundgesetz treffen, die den Einigungsprozess Europas an sich behandeln. Diese Aussagen werden zentral in dieser Arbeit untersucht werden, denn mit ihnen stellte das Bundesverfassungsgericht die Behauptung auf, dass das Grundgesetz den Vereinigten Staaten von Europa als Bundesstaat – wie sie ursprünglich gedacht waren – , zumindest in der bisherigen Fassung, entgegen-stehe. Das Gericht sagte dies zwar nicht explizit, deutete es aber an: Nach Maßgabe der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Präambel,

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