„Hast du keinen Anwalt - noch besser, eine Anwältin?“
„Wovon denn? Und wozu?“
„Um herauszufinden, ob nicht doch eine Scheidung möglich wäre. Oder willst du Jan zurück?“
„Natürlich! Um ihm etwas Schweres überzubraten! Nein, ich wäre froh über eine Scheidung, dann könnte das Jugendamt die Zahlungen eintreiben und vielleicht könnte ich dann sogar wieder eine eigene Wohnung haben...“
„Warst du eigentlich schon bei einer Schuldnerberatung?“
„Wozu soll das gut sein? Die fünfzigtausend kann man doch nicht wegdiskutieren, und wer weiß, was Jan noch an Schulden anhäuft – dafür muss ich doch auch geradestehen!“
„Das möchte ich bezweifeln. Die Schuldnerberatungen handeln oft mit den Gläubigern einen vernünftigen Modus aus, etwa langsamere Abzahlung oder so. Dann würde sich vielleicht auch eine Arbeit wieder lohnen. Und als Alleinerziehende müsstest du für die Kleineren doch einen Hortplatz kriegen können. Würden Commers&Co dich wieder nehmen?“
„Ich weiß es nicht. Als Sachbearbeiterin vielleicht, den Superjob kriege ich so schnell nicht wieder. Aber du hast Recht, wenn ich nicht bald etwas ändere, verkomme ich noch völlig. Ich bin schon süchtig nach Zigaretten und billiger Schokolade.“
„Ich fürchte, das sieht man“, sagte ich ehrlich, aber taktlos.
„Ja, ich weiß. Du dagegen siehst toll aus.“
„Danke. Mir geht´s auch gut. Und dich kriegen wir auch wieder hin, wetten? Sag mal, du hattest doch früher so viele Freundinnen – hat dir keine mal einen Tipp gegeben oder Hilfe angeboten?“
„Ach, das sagst du so leicht. Jan mochte sie alle nicht, und so schliefen die Kontakte langsam ein. Gerade, dass ich noch die Adressänderungen bekomme, um die Datei auf dem Laufenden zu halten – handschriftlich, ich kann mir nicht einmal einen Computer leisten!“
Bevor Gabi wieder in Jammern verfallen konnte, kam das Essen. Ich aß einen Riesenteller Geschnetzeltes in Currysauce und Reis, Gabi nur ein Spiegelei. Ich hätte ihr gerne gesagt, sie sollte sich auf meine Einladung hin etwas Anständiges bestellen, aber kalorienmäßig wäre das wohl gar nicht so sinnvoll gewesen.
„Also, deine Situation ist beschissen, kann man sagen“, stellte ich fest und kaute genussvoll. Gabi stocherte in ihrem Spiegelei herum und veranstaltete eine ziemliche Ferkelei auf ihrem Teller. War das ein Zeichen verdrängter Aggressionen? „Du bist sehr deutlich, Babsi. Warst du eigentlich immer schon so?“
„Ich glaube schon. Ich suhle mich auch gerne in Fettnäpfen. Vor ein paar Tagen habe ich binnen einer Stunde meinen Partner, unsere Sekretärin und alle Handwerker vergrämt. Aber wir sollten überlegen, wo du hinwillst und wie du da hinkommst. Ich mag es nicht, wenn Leute nicht so leben, wie sie möchten.“
„Wer mag das schon?“
„Die Frage ist nur, ob man etwas unternimmt. Vom Jammern und Schokoladeessen wird die Sache doch nicht besser. Und deine Eltern beeindruckst du damit auch nicht.“ Gabi sah drein, als bereue sie dieses ungemütliche Treffen. Na, ich hatte mir Gekicher und Klatsch und Tratsch über die anderen aus der Schule vorgestellt, das war ja wohl auch nichts geworden.
„Wie möchte ich leben?“ Mein Aktionismus schien Gabi nun doch anzustecken.
„Mit den Kindern in einer vernünftigen Wohnung, ein Job, zuerst halbtags, später mehr. Meinen Eltern nicht mehr dankbar sein zu müssen. Die Schulden loswerden. Das genügt schon mal.“
„Dann gehst du nächste Woche gleich mal zu einer Schuldnerberatung. Die stehen doch im Telefonbuch. Und ich schreib dir hier mal die Adresse unserer Anwältin auf. Sie hat zwar bis jetzt nur Handels- und Immobilienrechtliches für uns erledigt, aber sie weiß bestimmt jemanden für dich.“
Sie sah mich unglücklich an. „Das kann ich mir doch gar nicht leisten!“
„Sei nicht albern. Ich leihe dir das Geld. Du kannst es mir wiedergeben, wenn alles geregelt ist. Ich möchte bei dieser Anwältin auch gerne als gute Mandantin gelten, sie kommt mir nämlich sehr fähig vor. Also, pack´s an.“
„Gut, am Montag ruf ich sie an und gehe zur Schuldnerberatung. Was noch?“
„Ich finde, das genügt erst mal. Ich bin sicher, wenn der Stress etwas nachlässt, brauchst du auch nicht mehr so viel Schokolade, dann regelt sich das andere von selbst.“
„Bei dir hört sich das alles so einfach an.“
Ja, das fand ich auch. Ich hatte keine Ahnung, ob man Gabi so leicht helfen konnte. Aber versuchen sollte sie es doch wenigstens! So ähnlich sagte ich ihr das auch, dann wollte sie ohnehin das Thema wechseln.
„Du redest von Partner, Sekretärin, Handwerkern... was machst du jetzt eigentlich?“
„Altbausanierung. Bis zum Frühjahr war ich in einem Architekturbüro in Berlin, dann hatte ich den spacigen Stil satt und bin mit einem Kollegen hierher gezogen. Jetzt sind wir selbständig. Viel läuft noch nicht, aber es lässt sich ganz nett an.“
„Wo seid ihr denn aktiv?“
„Das alte Haltestellenhäuschen am Fuggerplatz – kennst du das? Und die Villa in der Galileistraße. Ein, zwei Dinge haben wir noch in petto, aber da sind wir noch in der Kostenvoranschlagsphase oder bereiten uns auf den Wettbewerb vor.“
„Klingt toll. Und privat?“
„Privat?“, fragte ich harmlos zurück. „Na, dieser Partner – wie heißt er übrigens?“
„Simon. Der hat eine Frau in Berlin, mit der liegt er jetzt hoffentlich im Bett.“
„Hoffentlich?“
„Vielleicht ist er dann am Montag besser drauf, gestern Mittag war er ziemlich unausstehlich, ich denke, ihm fehlt seine Frau.“
Gabi nickte. „Und sonst?“
„Du meinst, ob ich einen Lover habe? Nein, dafür ist im Moment wirklich keine Zeit. Neben unseren Projekten werte ich gerade einige Dokumente aus, die ich in der Villa gefunden habe. Da bräuchte ich mal einen einigermaßen fähigen Historiker, für die Details...“
„Spannend?“
„Traurig. Nazizeit und so.“
„Und die Besitzer haben dir den Kram einfach so überlassen? Die hätten doch gleich einen Historiker engagieren können?“
„Die Villa gehört mir, ich bin sozusagen unsere Kundin. Und den Inhalt habe ich ausdrücklich mitgekauft, ein paar Möbel und in einem Versteck die Dokumente. Mühsam zu lesen, wegen der alten Schrift, aber interessant ist es schon.“
„Historiker... Wer hat denn Geschichte studiert? Du hast nicht zufällig die Abizeitung mitgebracht?“
„Doch“, gab ich zu und legte sie auf den Tisch. Sie blätterte ein bisschen.
„Weißt du, von vielen habe ich auch nie wieder gehört. Ich glaube, Karen hat Geschichte studiert, weißt du noch, das Jahrgangsbaby?“
„Ja, an die hab ich vor ein paar Tagen auch gedacht. Zu wem hast du sonst noch Kontakt?“
„Von Mathias hab ich mal was gehört... Der hat sich irgendwie mit alten Autos selbständig gemacht und damit eine Bauchlandung hingelegt. Jetzt steht er kaum besser da als ich.“ Sie grinste schief.
„Nicht mehr lange, keine Sorge. Hast du von Nora mal wieder was gehört?“
„Ich glaube, die arbeitet bei irgendso einer Frauenzeitschrift. Sonst weiß ich auch nichts. Simone hat geheiratet und einen Haufen Kinder, sie wohnt irgendwo auf dem Land, ich hab zu Hause die Adresse. Lisa ist geschieden und arbeitet bei unserem Kinderarzt als Sprechstundenhilfe, Thomas studiert immer noch, glaube ich. Wir sollten mal ein Abitreffen organisieren, das Zehnjährige hat damals nicht so gut geklappt.“
„Aber ein Dreizehnjähriges? Bringt das nicht Unglück?“
„Ach wo. Kann man als Akademikerin noch so abergläubisch sein?“
„Gerade dann! Hast du nie vor Referaten auf schwarze Katze von links geachtet?“
Zum ersten Mal lachte sie, aber dann sah sie auf die Uhr. „Himmel, schon zehn? Ich muss heim, Mutti will sicher ins Bett. Und die Kleinen stehen doch dauernd auf, wenn man nicht dabei bleibt. Danke, du hast mich wirklich aufgerichtet!“ Ich schrieb ihr meine Telefonnummern auf. „Denk dran, ich will am Montag einen Erfolgsbericht hören!“
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