An Stelle unserer Eisenbahnschienen, die wir vorschriftsmäßig im Hafen von Bombay löschten, erhielten wir eine für Kronstadt bestimmte Ladung Baumwolle. Die englische Aufgabe war somit eine recht einfache. Es brachte die europäischen, vorzugsweise englischen Interessen dem überseeischen Konsumenten direkt ins Haus und führte dessen Landesprodukte an den besten europäischen Markt. Da beide Transaktionen ohne jede fremde Mithilfe, also ohne Zwischenhandel geschlossen wurde, so war der englische Doppelgewinn, den ja eigentlich nur das deutsche Schiff und seine deutsche Besatzung erzielte, gewiss nicht unbedeutend.
Nachdem wir in dem russischen Hafen Anker geworfen und unsere LUCY AND HARRIET von ihrer Ladung befreit hatten, bot sich uns noch die vollkommene Gelegenheit, die schöne Kaiserstadt St. Petersburg in Augenschein zu nehmen. Dieses Vergnügen wäre uns aber fast sehr teuer zu stehen gekommen, nur mit genauer Not und harter Arbeit waren wir dem plötzlichen Einfrieren im Hafen von Kronstadt entronnen. Fünf Monate lang zwischen russischen Eisschollen eingeklemmt zu liegen, statt auf fernen sonnenbestrahlten Meeren zu segeln, ist gewiss keine verlockende Aussicht.
Trotz unserem rechtzeitigen Entfliehen wurden wir von einer wahrhaft sibirischen Kälte heimgesucht. Sieben Wochen mussten wir mit widrigen Winden kämpfen, bevor wir Helsingør erreichen konnten. Sturm und Kälte boten alles Mögliche auf, uns ihre Macht fühlen zu lassen; wahrscheinlich aus Rache, weil ihnen die sichere Beute entrissen war. Unser liebenswürdiger Kapitän erfüllte in Helsingør mein Entlassungsgesuch.
Mein nächstes Ziel war London, wo ich mein Obersteuermannsexamen absolvierte und nach einer kurzen Zeit die Stelle als „Chief-Officer“ an Bord des großen englischen Fregattschiffs PALMERSTON bekleidete. Jedenfalls verdanke ich die Erreichung dieser Stelle zum großen Teil der Empfehlung des liebenswürdigen Offiziers Mr. Busby, dessen Bekanntschaft ich seinerzeit auf der dänischen Corvette NAJADEN zu machen Gelegenheit fand.
Wir wurden mit Maschinen und Eisenbahnmaterial für die Scind-Railway Company befrachtet und sollten in Karatschi unsere wertvolle Ladung löschen. Die Übernahme dieser schwer transportablen Gegenstände, unter denen sich zwei große Dampfkessel, jeder im Gewicht von 23 tons, und außerdem vier vollkommene Lokomotiven nebst Tender befanden, war meiner ausschließlichen Obhut unterstellt. Es war, da wir nur auf unsere Schiffsgear angewiesen waren, durchaus keine geringe Aufgabe, jene Kolosse unbeschädigt an Bord zu bringen, und erst als die schweren Dinger ohne jeden unliebsamen Zwischenfall kunstgerecht gestaut waren, wurde es mir leichter ums Herz. Die Reise begann unter den schönsten Aussichten.
Als Passagiere hatten wir zehn Offiziere und Soldaten der indischen Armee an Bord, die auf höheren Befehl ihren Regimentern nachgeschickt wurden. Erstere waren gebildete, ihres Standes durchaus würdige Männer, was unter den Subalternen der damaligen englischen Armee entschieden zur Ausnahme gehörte. Die Unterhaltung mit den Offizieren war für mich in vielen Dingen recht lehrreich und höchst unterhaltend...
Die Reise war bislang ohne jede Störung verlaufen. Wind und Wetter zeigten sich so überaus liebenswürdig und ruhig, dass Neptun eine Einförmigkeit befürchtete und uns in einer tiefdunklen, pechschwarzen Nacht ziemlich unsanft daran erinnerte, dass wir nicht das glatte Parkett eines englischen Saales, sondern nur ganz einfache Schiffsplanken unter den Füßen hätten. Wir waren in die Nähe von Mauritius gekommen, als der heftige Orkan gegen uns hereinbrach und gleich beim ersten Anlauf unser Groß- und Kreuzmast mit einer Leichtigkeit in die sturmgepeitschten rasenden Meereswogen geschleudert wurden, als ob es keine zentnerschwere Masse, sondern nur ein gewöhnliches Streichhölzchen gewesen wäre. Donnernd und heulend sang das Meer sein Sturmlied. Das stark belastete Schiff arbeitete und rollte in dieser fürchterlich erregten Wassermasse so schwer, dass, nachdem die Masten mit einem nervenerschütternden Gekrach über Bord gegangen waren, kein Tau mehr hielt. Die stärksten Befestigungsmittel, armdicke Trossen und Ketten, zerrissen wie baumwollene Fäden. Mit der zunehmenden Heftigkeit des Orkans wurde unser schwer heimgesuchter PALMERSTON immer unruhiger, so dass wir uns nur mit der größten Anstrengung der über Bord flutenden Sturzseen erwehren konnten. Trotz der unverkennbaren Gefahr, in welcher sich Schiff und Ladung befand, war es uns unmöglich, etwas Entscheidendes für ihre Rettung zu tun.
Wir mussten uns damit begnügen, einige losgerissene Gegenstände zu bergen, besonders aber die über Bord hängenden Stengen zu entfernen, die noch vermittels der Takellage am Schiffe befestigt waren und sehr leicht den Untergang desselben herbeiführen konnten, und die Taue zu kappen. Die ganze Nacht verging mit dieser mühsamen, höchst gefahrvollen Anstrengung. Wer von den Wellen über Bord geschleudert oder von herabstürzenden Gegenständen getroffen wurde, war dem sicheren Tode verfallen. Trotz dieser wenig verlockenden Aussicht arbeitete jeder mit einem unermüdlichen Eifer, und als das lang ersehnte Tageslicht zu dämmern begann, schien auch die äußerste Gefahr verschwunden.
Die trübe Morgensonne beschien das entsetzliche, dem Seemann ins Herz schneidende Zerstörungswerk des Sturmes. Welch’ trauriger Anblick bot sich dem Auge dar! Das schöne imposante Schiff, welches noch vor wenigen Stunden mit seinen schlank emporragenden Masten die Meereswogen spielend durchschnitten, lag jetzt wie ein Adler, dem eine tückische Kugel die Schwingen zerschmettert, ohnmächtig danieder.
Dank der unausgesetzten Anstrengung der ganzen Mannschaft war das Missgeschick, das uns betroffen, noch sehr gnädig abgelaufen. Nur ein alter, sehr intelligenter Hahn, der jahrelang der Liebling und Reisebegleiter unseres Kapitäns gewesen, hatte zum letzten Male gekräht und fand unter den Trümmern der Taue und Segel ein gewaltsames Ende. Das treue, vom Sturm erschreckte Tier hatte seine sichere Stätte verlassen und war der Kommando verkündenden Stimme des Kapitäns oben auf Deck gefolgt, als habe es sich nach der Nähe seines geliebten Herrn gesehnt. Branko, der klügste aller schifffahrenden Hähne, hatte seine unbezwingliche Sehnsucht mit dem Leben erkauft und fand nun ein ehrenvolles, nasses Grab. –
Nach eingehender, für die Sicherheit des Schiffes gebotener Beratung wurde der Entschluss gefasst, Notmasten zu errichten, unseren Kurs strikt inne zu halten und die Fahrt nach Möglichkeit zu beschleunigen. Schon nach Verlauf zweier Tage wurde unsere unausgesetzte Anstrengung mit Erfolg gekrönt. Unser PALMERSTON ging wieder unter Segel und konnte seinem ursprünglichen Bestimmungsorte entgegeneilen.
Dass die Not nicht nur Eisen bricht, sondern auch erfinderisch macht und mehr als alle akademischen Regeln zur Ausbildung des Seemannes beiträgt, sollten wir auf der PALMERSTON zur Genüge kennen lernen. Das Zeitalter des Dampfers hat ja für die ingeniöse Selbsthilfe des Seglers nur ein geringes Verständnis. Sein technisches Gefühl kennt nur Kohlenfeuer, durch welches die Maschine gespeist wird, die dann ihr Tagewerk ableiert; ähnlich der Besatzung, die streng genommen auch nur eine maschinelle, sich stets gleich bleibende Tätigkeit zu vollbringen hat. Die Maschine arbeitet mit ihrer ungeheuren Gewalt unbeugsam gegen die Woge; sie kennt kein Lavieren, sondern nur ein trotzköpfiges Vorwärtshasten, ein Biegen oder Brechen. Doch wie hilflos wird meistens der rauchende Koloss, wenn nur ein Stückchen Eisen im komplizierten Mechanismus seinen Dienst versagt! Kann ihn menschliche Tätigkeit vom Untergange retten?
Anders beim Segler, bei dem oft Tatkraft, Geschicklichkeit und Mannesmut das unvermeidlich scheinende Schicksal abzuwenden im Stande sind. Ferne sei es von mir, die für den jetzigen Verkehr unbedingt erforderlichen Dampfschiffe in ihrer Bedeutung schmälern zu wollen; allein die Poesie des Seemannslebens, der ihm innewohnende bestrickende Reiz, all die erhebenden Empfindungen, die unsere Seele beim Anblick des majestätischen Meeres bewegen, wohnen nur auf Segelschiffen. Wer je vom Mastkorb herab den Anblick des unabsehbaren, farbenschillernden Meeres genossen, das in unbeschreiblicher Herrlichkeit prangende tiefblaue, tagelang unveränderliche Himmelszelt betrachtet, das geheimnisvolle Rauschen und Flüstern der leicht gekräuselten Wellen vernommen hat, der hat gewiss empfunden, was meiner Feder nicht möglich ist in Worte zu kleiden.
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