Von der Prüfungskommission empfing der Matrose Alfred Tetens sein Steuermannszeugnis mit dem Charakter „Gut bestanden“ in deutscher und dänischer Sprache ausgestellt. Immer deutlicher lag nun mein Lebensweg vor mir. Mein höchster Ehrgeiz, einstmals als Kapitän ein mir anvertrautes Schiff durch die Weltmeere zu führen, erhielt immer neue Nahrung. Um nun nicht unzeitig in meinem Kurs gehindert zu werden, hielt ich es für angeraten, meine Militärpflicht gegen Dänemark zu erfüllen, wie jeder diensttaugliche Schleswig-Holsteiner damals zu tun gezwungen war.
In Folge einer Verfügung der dänischen Militärbehörde war ich im Jahre 1855 für die dänische Marine „auskommandiert“ und hatte mich Ende April beim Oberkommando in Kopenhagen zu melden. Mit schwerem Herzen folgte ich dieser Weisung. Nachdem mir jedoch am Bestimmungsorte eröffnet wurde, dass ich von nun an zur Besatzung der Korvette „NAJADEN“ gehöre, die bestimmt sei, eine Übungsreise nach Westindien, Brasilien etc. zu machen, kehrte mein Frohsinn wieder. Für einen Seemann, der bereits die Weltmeere durchkreuzt hat und immer Neues sehen will, war das monotone in Dänemark übliche Ostsee-Manöver gewiss keine verlockende Aussicht...
Sehr rasch durchlief ich die unteren Chargen und kam der ersehnten Stufe immer näher. Als Führer der Gig des Kapitäns hätte ich mein Leben daran gesetzt, kein anderes Boot an dem unsrigen vorüber rudern zu lassen. Der Versuch wurde zwar oft von meinen Gegnern mit achtungswerter Energie unternommen, aber meine gestählten Muskeln zeigten dann eine so erfreuliche Spannkraft, dass mir der Sieg zur Freude meines Kapitäns niemals entrissen wurde.
Bald avancierte ich zum Kapitän vom „Groß Topp“. Nicht nur die mannigfachen Arbeiten in der Takellage, auch alle Befehle, die sich auf Leesegel setzen, Boote aussetzen, erstreckten, waren meiner unmittelbaren Direktion unterstellt. Wer nie in einem streng disziplinierten Verhältnis gestanden, der kann wohl kaum begreifen, ein wie bestrickender Reiz der exakten minutiösen Ausführung des gegebenen Befehls innewohnt.
Die höchste militärische Ehre, die mir an Bord der Korvette erwiesen wurde, bestand in meiner Anstellung bei der Kanone Nr. 7. – Nur ganz Bevorzugte erhielten bei der ersten Fahrt eine artilleristische Ausbildung.
Diese neue, auf Kauffahrern nicht vorkommende Beschäftigung nahm meine Aufmerksamkeit derart in Anspruch, dass ich das Exerzitium bei den Geschützen sehr bald inne hatte und das meinige gleich dem erfahrensten Feuerwerker zu bedienen im Stande war...
Nach dem Geschützbedienen wurden wir auch in dem Gebrauch der anderen Waffen unterrichtet. Wenn unser Bajonettieren, Fechten mit dem Säbel, Gewehr- sowie Pistolenschießen auch keinen Anspruch auf eine besondere Leistung erheben konnte, so wurden wir doch soweit mit den Waffen vertraut gemacht, um bei vorkommender Gelegenheit wirksam Gebrauch von denselben machen zu können.
Wenige Jahre später war ich sehr oft in die zwingende Notwendigkeit versetzt, mein Leben mit der Waffe in der Hand zu verteidigen; so habe ich meiner militärischen Ausbildung auf dem Schiffe unendlich viel zu danken. Ohne sie würde mir sicherlich die Veröffentlichung meiner Erlebnisse erspart geblieben sein, und das wäre allerdings kein zu unterschätzendes Vergnügen gewesen. Aber ich fühle mich doch heute in meinem lieben mächtigen Vaterlande in meinem sicheren Heim bedeutend wohler, als wenn meine Knochen jetzt vielleicht am Gestade der Palau-Inseln bleichten oder den Kindern der Einwohner von Yap (Südsee) als Spielzeug dienten. Jedenfalls sollte es kein Seefahrer unterlassen, sich im Gebrauch der verschiedenen Waffen zu üben...
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Am 10. Juli 1857 wurde mir vom Vorsitzenden der Bremer Steuermanns-Prüfungs-Kommission ein Zeugnis eingehändigt, wonach ich „in der geographischen und astronomischen Steuermannskunst vorschriftsmäßig geprüft worden“ und für fähig erachtet sei, als Untersteuermann auf weiten Reisen zu fungieren. Gestützt auf dieses amtliche Attest erhielt ich auf dem Bremer Ostindienfahrer LUCY AND HARRIET eine Anstellung als zweiter Steuermann. Unser Schiff lag zurzeit in Liverpool und es musste zunächst unsere ganze in Bremen geheuerte Mannschaft via Hull nach dort befördert werden.
Unsere aus Eisenbahnschienen bestehende Ladung wurde dank jener praktischen Einrichtungen, welche jederzeit den englischen Handel unterstützten, in wenigen Tagen übernommen und vorschriftsmäßig gestaut. Der Kapitän, ein überaus liebenswürdiger, sehr erfahrener Mann, hatte auf diesen unscheinbaren, aber äußerst wichtigen Umstand die größte Aufmerksamkeit verwendet.
Ist solche Ladung mangelhaft gestaut, so gerät sie bei verhältnismäßig geringem Seegang ins Rollen und kann sehr leicht den unabwendbaren Untergang des aus seinem Gleichgewicht geratenen Fahrzeugs herbeiführen. Unsere Ladung war für Bombay bestimmt.
Also schon zu jener Zeit, wo in deutschen Landen die Eisenbahnanlagen noch recht langsam sich entwickelten, das eigentliche Schienennetz noch sehr spärlich ausgebreitet war, begann das rührige England die Segnung dieser kulturellen Erfindung dem fernen Indien zuzuwenden. Entsprach diese zivilisatorische Bestrebung auch nur seinem eigenen Interesse, so verdient doch die englische Initiative, indem sie die idealen Momente förderte, unsere ganze Wertschätzung. England hat den Segen seiner Anstrengung nicht unverdient geerntet; es hat genugsam Pionierdienste verrichtet, bevor es seinen enormen Reichtum, seinen bedeutenden Welthandel und Einfluss bei allen überseeischen Völkern errang. England hat die Herrschaft auf dem Meere stillschweigend angetreten, seiner immer mächtiger sich entwickelnden Flotte mussten sich alle handeltreibenden Völker beugen, so dass es schließlich als ein Eingriff in die Rechte Englands erschien, wenn sich eine fremde Flagge auf fernem Meere blicken ließ.
England hat unter allen Umständen sein klares, vollbewusstes Ziel zum Wohle des Mutterlandes unbeirrt verfolgt; ihm galt die durch seine insulare Lage bedingte Erkenntnis: die Größe eines Volkes wird durch seinen materiellen Besitz bestimmt.
Die Stadt Bombay, von einer herrlichen Bay umrahmt, gewährt einen wahrhaft entzückenden Anblick. Ihr Hafen darf als der schönste und sicherste von ganz Ostindien bezeichnet werden. Wohl in keinem anderen der Welt herrscht ein lebhafteres, interessanteres Treiben. Die Flaggen aller Nationen sind in diesem Mastenwald bemerkbar. Jede Schiffbauart ist hier vertreten. Die Völker der Erde haben sich hier zu einem Stelldichein versammelt. In dem neuen Stadtteil herrscht ein unbeschreibliches Menschengewühl, überall ein lebensgefährliches Hasten und Drängen. Betritt man den älteren Teil Bombays, wo noch die moderne Bauart ausgeschlossen und die Straßen kaum einen Meter breit angelegt sind, so glaubt man eine vorsintflutliche Stadt zu sehen.
Früh morgens erscheinen die Parsees compradore in ihrem schneeweißen, bis zur Fußspitze reichenden Talar an Bord und halten außer Milch und rohem Eis die wunderbarsten Früchte für weniges Geld feil: Mangostan, Pommelos, Mangos, Apfelsinen, Bananen. Wer einmal diese kostbaren Früchte genossen, wird das europäische Gewächs als eine misslungene Nachahmung bezeichnen.
Unmittelbar an die Stadt reiht sich ein Kranz kleiner reizender Inseln mit kostbaren Villen und entzückenden Parkanlagen. Meilenweit erstreckt sich das von Nabobs und den Reichen aller Länder bewohnte Paradies; man wird nicht müde, stundenlang auf den beschatteten Fußwegen dahinzuwandern, die lebhafte Phantasie wird von der Pracht dieses Wundergartens übertroffen. Ein wahrhaft poesievoller Zauber ruht auf dieser verkörpert scheinenden Fata Morgana.
Schmucke Lustkutter schaukelten sich auf dem von dichtem Gebüsch eingeschlossen Bassin. Von hieraus erreichten die beneidenswerten Bewohner die nahe Bai. So oft es nur meine Zeit erlaubte, habe ich das herrliche Stückchen Erde betrachtet. In den entfernten Teilen des Parks trainierten zahlreiche Hindu die Elefanten ihrer Herren. Gegen Einhändigung eines geringen Geschenkes veranlasst der Wärter seinen klugen Zögling zu einer kleinen Privatvorstellung, deren Hauptnummer das Emporheben bestimmter Personen bildet. Auf ein gegebenes Zeichen umschloss der Rüssel des Elefanten meine Brust, hob mich leicht und sicher empor, so dass ich mich recht bequem auf den hohen Rückensitz niederlassen konnte. Auch die im Meerbusen von Bombay unweit der Küste liegende kleine Insel Elephanta erregt die Aufmerksamkeit des Beschauers; nahe dem Landungsplatze bemerkt man noch die Überreste eines in den Felsen gehauenen Elefanten enormer Größe, nach welchem die Insel genannt wird. Der im Innern des zweigipfeligen Berges aus Stein gemeißelte Felsentempel mit seinen zahlreichen in Fels gehauenen Kolossalfiguren gibt ein beredtes Zeugnis von der einst hoch entwickelten Bildhauerkunst der Inder; für die Hindu ist dieser teilweise zerstörte Tempel ein beliebter Wallfahrtsort, während er für den Europäer den Endpunkt seiner Ausflüge und Picknicks bildet...
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