Tim nickte. Er tippte die Zahlenfolge 137741 und drückte die Taste für Primzahlzerlegung.
Dann las er laut vor: „137741 ergibt zerlegt die beiden Primzahlen 181 und 761. Es sind genau zwei!“
„Und so haben wir die Eintrittskarten für uns beide gefunden. Das können Maschinen und Roboter nicht!“
Sie fasste seine Hand und sah ihn an.
„Es ist die Eintrittskarte in den Ballsaal oder das Los für Verlierer, Tim. Wir tragen das Wagnis.“
Tim winkt lässig ab, etwas zu lässig, um nicht doch einen kleinen Rest Zweifel aufkommen zu lassen. Das Leben war wichtig und wertvoll. Zu wertvoll, um es nicht noch einmal abzusichern.
„Ich habe der Mathematik immer vertraut, Ling. Diese Zusammenhänge sind nicht zufällig. Berechne einmal die Wahrscheinlichkeit für dieses Ereignis! Dieser Wert ist sicher kleiner, als im Sonnensystem einen verlorenen Fußball zu finden. Wir müssen Wu-Shi informieren und die NASA“, meinte Tim und kratzte sich wieder an den Bartstoppeln. Es wurde Zeit, dass er einen Rasierer benutzte.
„Wu-Shi ja, aber die NASA nicht“, entschied Ling. „Eure Rechner sind offenbar in der Hand unserer Gegner, wie der Start von Europa1 gezeigt hat. Hier ist alles abgeschottet. Doch nichts ist wirklich sicher, was mit Computern zu tun hat. Wir haben hier ein abgeschottetes Intranet. Es hat keine Verbindung nach draußen. Das ist ein großer Vorteil in diesem Fall. Wir werden alles mit Wu-Shi besprechen, und sobald wir gestartet sind, wird die NASA informiert. Wir müssen unsere Erkenntnisse überprüfen lassen, denn davon hängt ja unser Leben ab. Du willst auch nicht als 65.ter Mond des Jupiters enden, nehme ich an. Einverstanden?“
Tim nickte. „Einverstanden.“
Doch dann machte er ein bedenkliches Gesicht. Es schien etwas Wichtiges in seinem Kopf abzulaufen. Ling sah ihn wartend an. Sie strich ihr Kleid glatt und sah auf Tims einfache Trainingskleidung. Sie ahnte, was in Tims Kopf vorging.
„Aber wie wollen wir mit dem Unbekannten auf dem Mond in Kontakt treten? Wir wissen doch nicht, auf was er reagiert, welche Empfangsmöglichkeiten er hat. Ich möchte nicht auch als Mini-Mond zum Jupiter geschickt werden, und du sicher auch nicht.“
Ling lächelte. Das war auch ihr durch den Kopf gegangen. Es war sicher eher ein kleines Problem, und sie spürte die Antwort mehr als sie sie wusste. Sie nahm wieder Platz und nahm diesmal selbst einen Schluck von Tims Cola. Sie war ihr wie immer zu süß.
„Alles ist streng logisch aufgebaut, Tim“, begann sie. „Das Unbekannte auf dem Mond hat zwei verschiedene Informationen gesendet, die in zwei Rhythmen versteckt waren. Aus diesen beiden Informationen haben wir eine Gemeinsamkeit gewonnen, die nun wieder in zwei Primzahlen zerlegt ist. Alles hängt eng zusammen. Träger der Infos waren Gravitationsstörungen. Also muss der Erzeuger dieser Störungen mit diesen arbeiten können, was wir nicht können. Er kann sie erzeugen und sicher auch empfangen. Was weißt du über Gravitationswellen, Tim?“
Tim dachte nach. Da gab es Zusammenhänge in seinem Kopf, die er wieder ordnen musste. Er erinnerte sich daran, dass sein Professor gezeigt hatte, dass Gravitationswellen über die vier bekannten Dimensionen hinausreichen. Sie konnten Informationen in die fünfte Dimension transportieren. Oder wie war das genau? Er musste sich das mal wieder ansehen.
„Nicht allzu viel, fürchte ich. Wir sollten die Techniker hier fragen. Sie sollen uns ein Gerät bauen, das in der Lage ist, Wellen in einem Vielfachen der Gravitationswellen auszustrahlen. Gravitationswellen können sie nicht künstlich herstellen. Aber sicher können sie Wellen erzeugen, die das Millionenfache der Gravitationswelle darstellen. Oder das Milliardenfache. Meinst du, dass das geht?“
„Wu-Shi wird uns helfen. An welche Vielfachen hast du gedacht?“
„Es bietet sich zunächst das Millionenfache an, wie schon gesagt. Aber wir sollten sehen, dass wir im System der unbekannten Zivilisation bleiben. Für mich lautet der spontane Einfall, der mir jetzt durch den Kopf geht, die beiden Primzahlen zu nehmen, meinst du nicht auch? Oder ein hohes Vielfaches von ihnen. Was eben technisch möglich ist.“
Ling sah ihn bewundernd an. Tim trank zwar gerne diese merkwürdige Cola, kleidete sich eher wie ein Techniker, war aber ein klarer, zielbewusster Denker.
„Das könnte die Lösung sein“, meinte sie. „Manchmal bist du echt gut im logischen Denken!“
Sie standen auf, rafften die Blätter wieder zusammen und machten sich auf den Weg. Sie hatten ihr Kommen per Intranet bei Wu-Shi angemeldet und angekündigt, dass sie die Überprüfung einer Idee wünschten. Mehr sagten sie nicht.
Wu-Shi traf sich mi ihnen in einem abhörsicheren Raum. Auch er legte großen Wert darauf, Geheimnisse zu wahren, zumal wenn sie im Zusammenhang mit diesem missglückten Versuch der CALCAG standen, den Mond zu erreichen. Das alles war schon Grund genug für Spekulationen, die wie Pilze bei mildem Regen im Mai aus dem Boden schossen. Er begrüßte Ling und Tim mit einem freundlichen Lächeln, das aber auch große Neugierde ausdrückte. Sie setzten sich an einen Tisch, dann begannen die beiden abwechselnd, ihre Ideen und Vorstellungen zu berichten. Er hörte ihnen zu, stellte ab und zu eine Frage, nickte ein paar Mal und stimmte dann zu. Er gab das Problem ohne jede weitere Erörterung sofort an seine Techniker weiter. Er meinte, zumindest für vereinfachte Annahmen von Gravitationswellen sollte es möglich sein, geeignete Vielfache zu erzeugen, wenn der Multiplikator groß genug war. Schließlich wusste auch er, dass Gravitationswellen extrem langwellig waren.
„Da ist noch ein anderes Problem“, meinte er, als Tim und LIng schon aufstehen wollten. „Wir müssen das lösen, bevor der Start erfolgen kann.“
Ling und Tim schauten ihn fragend an.
„Die europäische Rakete hat in letzter Sekunde einen Flugkörper ausgestoßen, der nun den Mond umkreist, und zwar so, dass er immer über das Mare Tranquillitatis fliegt. Wir wissen nicht, um was es sich handelt. Ein Orbiter, der neue Messwerte ermitteln soll? Ein Spionagesatellit, der verhindern soll, dass irgendwelche Aktivitäten dort unentdeckt ablaufen? Außerdem könnte der Flugkörper euren Abstieg dort behindern. Wir müssen die genaue Flugbahn kennen, um euren Flug zu sichern. Aber wir arbeiten daran.“
„Was sagt die ESA dazu?“, wollte Tim wissen. Normalerweise wurden solche Inhalte immer bekannt gegeben. Dass dies nicht geschehen war, war seltsam. Wu-Shi zog eine Augenbraue hoch, um sich genauer erinnern zu können. Das war ein Trick von ihm, denn er war alles andere als vergesslich.
„Wir haben von der ESA folgende Auskunft erhalten: Der Flugkörper wurde im Auftrag der CALCAG in die Umlaufbahn geschickt. Von ihr haben wir bisher keine besonders aussagekräftigen Informationen erhalten. Es soll sich um Routinebeobachtungen handeln, was immer das umfassen mag. Da die CALCAG Mitbesitzer der ESA ist, wird es kaum mehr Informationen geben, fürchte ich.“
Es war ihm anzusehen, dass er das Problem nicht auf die leichte Schulter nahm. Sein Zorn auf die ESA schien noch um einiges gewachsen zu sein. Er hatte noch nie viel von diesem zerstrittenen Club gehalten, der nur dann aktiv werden konnte, wenn sich die beteiligten europäischen Nationen zufälligerweise einmal einigen konnten. Auf dieser Grundlage konnte man keine Raumfahrt betreiben.
„Merkwürdig, dass die ESA so kurzfristig einen privaten Flugkörper übernimmt“, warf Ling ein. „Selbst wenn die CALCAG dort ihre Finger im Spiel hat, ist das merkwürdig. Diese Sachen stehen doch nicht einfach so herum. Außerdem verfügen die doch über keine besonderen Erfahrungen im All.“
„Weit gefehlt“, stellte Wu-Shi klar. „Die CALCAG hat überall ihre Hände im Spiel, wo Profit lockt. Denkt an die Hyperschlafkabinen, auf die sie praktisch das Monopol haben. Und hier ist es doch offensichtlich, dass auf dem Mond fremde Technik vorliegt. Dahinter steckt viel an möglichem Gewinn, wenn nicht noch mehr. Vielleicht wollen sie sich diese unbekannte Technik einverleiben, wer weiß?“
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