Karlheinz Seifried
Zu nah am Abgrund
Carlo Trilogie Teil 1
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Inhaltsverzeichnis
Titel Karlheinz Seifried Zu nah am Abgrund Carlo Trilogie Teil 1 Dieses ebook wurde erstellt bei
Titel Titel Zu nah am Abgrund Carlo Trilogie, erster Teil
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Impressum neobooks
Zu nah am Abgrund
Carlo Trilogie, erster Teil
Ich liege hier an meinem einsamen, sonnigen Strand auf Sardinien und höre die Wellen schlagen. Ich halte eine wunderbare Frau in meinem Arm, sie räkelt sich wohlig und ich lasse meine Gedanken wandern, weit zurück in die Vergangenheit. Lange vergessen geglaubte Erinnerungen tauchen auf und ich hangele mich an den Ereignissen meines Lebens entlang, schöne, aber auch sehr schlimme Bilder tauchen auf und ich gehe weiter zurück, ganz weit zurück in meine Kindheit und mein Elternhaus.
Ich hatte unglaubliches Glück, gerade in diese Familie hinein geboren zu sein und sogleich auch fürchterliches Pech. Pech, weil ich zwar eine Mutter, aber keinen Vater hatte, dafür aber Großeltern, Tanten, Onkel, vier Cousinen und Cousins. Alleine im Haus der Großeltern lebten wir mit drei Generationen und drei Familien zusammen. Wobei meine Familie nur aus zwei Menschen bestand, meiner Mutter und mir. Was natürlich eine gewisse Minderheit darstellte, so hat man uns auch behandelt und das nicht nur in der Familie.
Da war zum Beispiel mein Onkel, der die Welpen meines Lieblingshundes ertränkte, weil er der Meinung war, es seien sonst zu viele Hunde im Haus. Ein Vorwand, mit dem er mir zeigen wollte, wer der Herr im Hause war, obwohl das natürlich Opa war, er wäre es aber gern gewesen. Aber mit seinem Verhalten zeigte er mir immer wieder, dass er in der Hierarchie gleich nach meinem Großvater kam.
Nie werde ich den schrecklichen Moment vergessen, als er mich zu sich rief, um mir mitzuteilen, dass er jetzt die Hunde in einen Sack stecke und in dem Brunnen im Garten ertränken wolle und ich dabei sein solle, damit ich auch ja mitbekäme, wie er es mache.
Dann hat er die sechs Welpen in einen Kartoffelsack gesteckt, Steine als Gewicht reingelegt, ihn mit einem Seil zugebunden und dann in den Brunnen hinabgelassen. In diesem Moment hätte ich ihn am liebsten ins Gesicht geschlagen oder noch Schlimmeres gemacht. Oft wurde ich zu den schmutzigen und unbeliebten Arbeiten herangezogen, obwohl wir, wie schon erwähnt, mit vier Kindern im Haus lebten. Aber der Uneheliche war eben für so etwas immer gut, er hatte ja keinen Vater, der ihn mal in Schutz nehmen konnte und meine Mutter, die ja den ganzen Tag arbeiten musste, bekam von den Schikanen nichts mit. Aber auch meine Mutter hat unter der Schande, ein uneheliches Kind zu haben, leiden müssen.
Der Pfarrer zum Beispiel hat, auf der einen Seite, von der Kanzel gegen meine Mutter geschimpft, dass sie mich, einen unehelichen Bastard, zur Welt gebracht hat, sich aber, auf der anderen Seite, nach dem Gottesdienst mit meinem Opa in der Kneipe zum Schafskopf spielen getroffen, einem typisch bayrischen Kartenspiel. Mich hat er, obwohl ich immer dabei war, wohlweislich übersehen, als wenn ich pure Luft gewesen wäre. Aber bis auf diese wenigen Ausnahmen, die mir noch in der Erinnerung sind, hatte ich eine unbeschwerte Kindheit und es war schön, hier aufzuwachsen. Die Begebenheit mit dem Pfarrer war auch der Grund, warum ich unbedingt Messdiener werden wollte, denn meine Devise war: Gehe in die Nähe deines Feindes, da hast du ihn immer im Auge.
Aufgrund der sonntäglichen Schafskopfrunden mit meinem Opa und einem vorher geführten, ernsten Gespräch zwischen meiner Mutter, Oma und Opa, hatte ich - oh gütiger Pfarrer - die Gelegenheit, Messdiener zu werden. Das alles ist natürlich eigentlich nicht erwähnenswert, wenn nicht gerade aufgrund dieser Gegebenheit ein Ereignis stattfand, das mein späteres Leben stark prägen sollte.
* * *
Es war einer dieser wunderbar trägen Nachmittage, an denen alle in den Häusern saßen, weil es im Freien zu heiß war. Die Luft stand und war zum Schneiden dick. Der Asphalt auf den Straßen flimmerte vor Hitze. Mich zog es in den Wald, dort erhoffte ich mir etwas Abkühlung und vielleicht, auf dem amerikanischen Schießstand, ein paar interessante Funde. Mein Weg führte an der Kirche vorbei, die am Rand unserer Siedlung stand, sie warf einen einladenden, kühlen Schatten über die Straße. Wie magisch angezogen, näherte ich mich ihr und legte meine Hand ans Mauerwerk, es fühlte sich wunderbar kühl an. Langsam umrundete ich den Kirchenbau und stand im Hof. Direkt gegenüber der Kirche war das im gleißenden Sonnenlicht liegende Pfarrhaus zu sehen, dessen Fenster weit offen standen.
„Wo war der Pfarrer?“, fragte ich mich, „was macht er wohl um diese Zeit und in dieser Hitze im Haus? Sich ausruhen? Kaffee trinken? Oder trank er schon ein Bier?“
Diese Fragen musste ich unbedingt klären. Ich wusste, dass es als Messdiener nicht erlaubt war, sich dem Pfarrhaus zu nähern. Es war seine Privatsphäre, wie der Pfarrer immer sagte. Wir Messdiener mussten uns immer in der Sakristei treffen und sollten nicht auf den Hof hinter der Kirche gehen. Aber wie gesagt, mich quälten diese beiden Fragen, also schaltete ich mein Denken von Messdiener auf Indianer um und schlich, alles als Deckung nutzend, was sich mir bot, an das Pfarrhaus heran. Endlich stand ich an der Mauer und war geschützt vor den Blicken aus dem Haus.
Ich drehte mich so, dass ich mit dem Rücken an der Hauswand stand. Mich durchzuckte ein Schrecken, mein Blick hatte jetzt eine Perspektive, die ich noch nicht kannte. Ich blickte vom Pfarrhaus weg in Richtung Kirche, es war ein toller Blick.
Die Kirche im Vordergrund, von der Sonne angestrahlt und über die Siedlung ragend, die man im Hintergrund sah. Leise schlich ich um die Ecke des Pfarrhauses herum, von hier bot sich mir ein herrlicher Blick über die Felder und ich blieb einen Moment stehen, um diese Aussicht zu genießen. Ein leises Stöhnen schreckte mich aus meinen Gedanken.
Hatte sich der Pfarrer verletzt? Oder war das ein Schnarchen?
Ich schaute an der Hauswand entlang und sah, dass auch hier alle Fenster offen waren. Jetzt war es mir egal, ob man mich erwischte! Vorsichtig, immer ganz dicht an die Hauswand gepresst, ging ich weiter, bis ich vor dem Fenster stand, aus dem diese Geräusche kamen.
Mein Herz pochte vor Angst bis zum Hals, aber ich konnte einfach nicht weggehen, ich musste und wollte unbedingt in das Zimmer sehen. Ganz langsam schob ich meinen Kopf immer weiter Richtung Fensteröffnung, ich war gespannt wie ein Bogen. Langsam konnte ich immer mehr vom Inneren des Zimmers erkennen. Links stand ein Schrank, einer von diesen echten, alten, geschnitzten Holzschränken, in die man seine Wäsche hängt, dann die Tür, ein Tisch mit gehäkelter Tischdecke und einer Blumenvase mit schönen Sommerblumen darauf. Drei Stühle standen um den Tisch, auf einem hing eine schwarze Hose. Ich bewegte mich weiter nach links, um noch mehr vom Zimmer zu sehen, musste aber dabei immer die Tür im Auge behalten, denn wenn da jetzt jemand ins Zimmer gekommen wäre, hätte er mich im Fensterrahmen sehen können.
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