1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Unser erstes Schlafsack-Lager wurde auf dem Betonboden in einem Aufenthaltsraum der Camping-Anlage »Girasole« bei Florenz aufgeschlagen. Es half, zarte Bande der Gemeinschaft zu knüpfen. Vor dem Einschlafen viel zu plaudern, gelang aus Erschöpfung kaum, waren wir auch zunächst baff vor Schreck über unsere Unterbringung und erregte diskutierend umhergeschlichen. Von wegen Bett und Gemütlichkeit! Ich hatte noch niemals auf Beton genächtigt und auch nicht beabsichtigt, das jemals zu tun. Aber allein die Tatsache, dass ich mich zum Schlafen ausstrecken durfte, versöhnte mich mit dieser aufgezwungenen Erfahrung. Mein Schlafsack war auch für alpine Gegenden geeignet, also konnte die Kälte des Betons mir nichts anhaben, die Isoliermatte schützte außerdem. Und wenigstens hatten wir es trocken in dem kahlen, nur notdürftig ausgekehrten, ungeheizten Aufenthaltsraum, Spielfeld für Spinnen und anderes verdächtiges Getier. Aber ich genoss die durch Schnarchkonzerte unüberhörbare Nähe der anderen. Kichern perlte. Bert, der Verwalter unserer Reisekasse, hatte zu bedenken gegeben, dass es nicht angebracht sei, Geld schon jetzt für Hotelzimmer zu verschwenden. Im Regen im Freien zu campen und für diese eine Nacht die mühsam verstauten Zelte auspacken, hatte niemand Lust verspürt.
Am Morgen erstand der alte Ärger wieder, aufgestachelt durch Bert, der ernste Bedenken schürte, wir könnten die Fähre in Trapani wirklich versäumen. Sein Verhältnis zu Elsie sollte für den gesamten Reiseverlauf ein besonders übles bleiben. Was uns betraf – viele von uns wurden an diesem zweiten, hektischen Morgen wahrscheinlich auch unwiderruflich verdorben, denn Bert nährte unsere und seine eigene Sorge durch harte Beurteilung der Zuverlässigkeit und damit der charakterlichen Wesensart des Mädchens, das auch er noch kaum kannte. Und wir wurden gleich nach dem Aufstehen zornig wie am Vortag. Wiederum gab es kein Frühstück für alle. Wir mussten – jeder für sich – schauen, dass wir etwas in den Magen bekamen. Natürlich fiel niemandem ein, selbst die Initiative zum Wohle aller zu ergreifen. Diese Aufgabe stellten wir Bert anheim. Der jedoch war kaum greifbar, ständig in Diskussionen mit Brommel oder Gerry, dem zweiten Fahrer, verstrickt oder auf der Suche nach irgendetwas. Sprach man ihn an, winkte er ab und gab sich sehr beflissen, wichtigere Dinge erledigen zu müssen, als unseren kleinlichen Klagen zu lauschen.
Und wir wurden sehr, sehr böse auf Elsie.
Weil der Wagen sich nach einem Fahrttag als absolut undicht erwiesen hatte – es pfiff und zog zu allen Ritzen und Fugen herein –, fingen wir bereits an zu gereizten Raubtieren zu mutieren. Ein Sündenbock kam gerade recht. Bert, der vorne in der Motorwärme saß, kümmerte es offenbar nicht, dass wir im Fond froren. Mehr als zehn Stunden lang hatten wir tags zuvor in unbequemer Haltung und dem Zwang, die ungewohnte Gegenwart Wildfremder ertragen zu müssen, im muffeligen Wageninneren kauern müssen, ohne die Gelegenheit zu bekommen, uns ausreichend oft die Füße zu vertreten und den nervös angespannten Geist zu lockern. Wir waren nun, als es auf Mittag des zweiten Reisetages zuging, entsprechend gereizt und hungrig.
Bert, auf die Anregung Luis', er solle »... endlich etwas zum Essen herüberwachsen lassen«:
»Man isst nur aus Gewohnheit. Später.« Berts Grinsen reizte zum Zuschlagen. Aber wir schwiegen nur betreten. Später ...
Die Öllache unter dem Wagen erschien nach wie vor bei jedem Halt. Keiner der Fahrer und schon gar nicht Bert lieferte uns beruhigende Argumente gegen die Zweifel am guten Zustand der Wagen.
»Alles in Ordnung,« murmelte Bert, vorsichtig befragt, lapidar und wandte sich wieder einmal ab. Wir verbrachten den Vormittag mit neuerlichem Schlichten der Gepäckstücke, Erkunden des Campingplatzes und simplem Herumhängen in der Nähe der Wagen. Im Wageninneren herrschte zunehmend Krisenstimmung. Es erwies sich nämlich als undenkbar, sein Gepäck lange aus den Augen zu lassen. Wie von Geisterhand bewegt landeten unbeaufsichtigte Gepäckstücke nämlich stets irgendwo in »Uhurus« tiefen Gründen oder auf anderen Sitzen, im Mittelgang oder im Stauraum, ganz hinten, wo die großen Packrucksäcke lagen, die keinen Platz unter der Plane auf »Uhurus« Dach gefunden hatten, jedenfalls aber fern den Besitzerblicken. Anstelle des eigenen Gepäcks besetzte plötzlich eine fremde Tasche, ein paar Schuhe oder ein Kleidungsstück den unter mysteriösen Umständen frei gewordenen Platz. Verzweifelt Suchende erhielten weder Antwort noch Hilfe bei der Suche nach ihrem Eigentum.
Dass keiner von uns Respekt für den Besitz und die Sorge des Mitreisenden um selbigen aufbrachte, dass wir gar keine Chance hatten, dergleichen Obacht von selbst zu entwickeln, lag wohl an dem panischen Erleben von Enge, wie wir sie noch nie kennengelernt hatten. Der Kontakt mit Leibern und Sachen war unvermeidlich, und er ließ die Achtung zivilisierter Menschen vor fremdem Gut abstumpfen. Eben jenes Gut kam unaufhörlich jedem von uns in die Quere, wenn man versuchte, es sich selber leidlich gemütlich zu machen. Wir ahnten nicht, wie schlimm der Kampf um unser Gepäck noch werden würde. Vorerst erlebten wir nur ein wenig Ärger wegen mutwillig beiseite geräumter Privatsachen, die andere doch gar nichts angingen.
»Entschulde,« sagte Karli, »... ich muss deine Fototasche für eine Minute wegstellen, sonst komme ich nicht zu meinen Schuhen, okay?«
»Okay,« murmelte ich und döste weiter, aber diese Art der Kommunikation funktionierte nur zwischen Karli und mir und das nur zu Beginn unserer Reise. Es würde sich einbürgern, fremde Sachen einfach beiseite zu treten oder durch das Wageninnere zu werfen, egal, ob es sich um einen Packen Weißbrot, Schmutzwäsche oder eine teure Kamera handelte ...
Groll auf einen Störenfried wurde also erleichternd gepflegt. Jemand, der noch kein Tröpfchen Kondenswasser auf der Nase verspürt, noch keine gefrorenen Zehen, Platzangst oder Hunger gehabt hatte, gefährdete bereits den reibungslosen Verlauf unserer Weiterreise!
Als Elsie zustieg, antwortete niemand ihrem freundlichen Gruß. Nur Gerda fühlte sich sichtlich wohler durch ihr Erscheinen. Sie lächelte sogar. Elsie sprudelte die Klärung der Umstände ihrer Verspätung heraus, und der einzige freie Sitzplatz fand sich neben mir, direkt gegenüber dem Einstieg. Ich bin sicher, dass so mancher Kamerad boshafte Genugtuung darüber empfunden hat, dass die Sünderin am unbequemsten von allen reisen würde. Meine Nachbarin erwies sich als unterhaltsames Wesen mit unerschöpflichem Rededrang. Sie musste in ihrem Leben schon vielfach angeeckt sein durch ihre extrovertierte, laute Art. Daher hatte die kleine, mollige Deutsche mit dem prachtvollen, dunklen Lockenhaar und dem herzlichen Lächeln ein gehörig dickes Fell entwickelt. Elsie fand nichts dabei, meinen Arm kurzerhand von der Sitzlehne zu drängen, um selbst mehr Platz zu haben. Nannte jemand aus dem Fond sie ,blöde Piefkeschlampe‘, lächelte sie. Allerdings betrachtete sie es auch als Selbstverständlichkeit, mir von allem, was sie aß oder trank, einen Anteil anzubieten. Äußerte ich auch nur ein wehleidiges Wort, bot sie mir sofort Hilfe an. Sie strahlte Vitalität und Optimismus aus, der mir wohltat, so nahe.
Zu Mittag stoppten wir an einem Aussichtspunkt mit Blick über das Mittelmeer. Zufällig brach gerade in diesen Minuten die Sonne durch die Regenwolken und beschien ein Rudel bleicher Abenteurer, die entzückt in die türkisblaue Weite hinaus starrten und sich die schmerzenden Körperteile rieben. Da alle lächelten, geriet die Stimmung bei diesem Aufenthalt schnell in Euphorie ... war das nicht schon Afrika, dort drüben, am Horizont? Geradezu gut gelaunt stürmten wir die Wagen zur Weiterfahrt.
»Wir sind verdammt einfach zu beglücken,...« übte Karli sich in sanftem Zynismus, und er hatte verdammt recht.
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