1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Es war genau dieselbe Situation wie in meinem Traum. Der Fremde stand an Dannys Bett und drückte ihm die Luft ab, bis es einen Knacks tat. Und die ganze Zeit über hatte er dieses hämische, selbstgefällige Grinsen auf den Lippen.
»Ah…«, stöhnend riss ich mich aus der Trance und taumelte noch einen Schritt zurück.
Was war das gewesen? Verdammt, was sollte das?
»Ana? Was ist los? Gehts dir gut?«
Ich konnte meiner Freundin nicht antworten. Der Schock über das, was gerade mit mir geschehen war, saß einfach zu tief. Der Arzt fasste an meinen Arm und versuchte, etwas zu sagen, doch ich zog ihn bei der Berührung schreckhaft zurück.
»Vielleicht war das doch keine so gute Idee …«
Sue sah mich besorgt an. Ich schüttelte den Kopf und fand endlich die Worte wieder.
»Nein, es war die richtige Entscheidung. Es ist nur ziemlich hart, weißt du?«
Dann wandte ich mich wieder dem Bett zu und seufzte in mich hinein. Das war im Moment einfach alles zu viel für mich und deswegen bildete ich mir das wahrscheinlich auch laufend ein. Ich wollte es nicht wahrhaben und deswegen dachte ich an diesen Albtraum, aber das hatte nichts zu bedeuten.
»Nein …«, flüsterte ich so leise, dass es niemand hören konnte. »Das war nur Einbildung, mehr auch nicht.«
Erneut liefen Tränen über meine Wangen und ich schaffte es nicht, weiter durchzuhalten. Mein Körper war einfach zu schwach, um gerade zu stehen. Er sackte zu Boden und brach völlig in sich zusammen.
Sue versuchte, mich zu stützen, doch auch sie wurde von meinem Gewicht mit nach unten gezerrt.
»Ana!«
Ich saß nun am Boden und hatte den Blick noch immer starr auf Danny gerichtet, der leblos auf dem Krankenbett lag. Die Tatsache, dass es wirklich real war, machte mich völlig fertig.
»Ana …«, drang Sues Stimme an mich heran. »Wir gehen jetzt, ok?«
Ich schüttelte unter Tränen den Kopf und raffte mich mit letzter Kraft erneut auf. Zitternd nahm ich seine Hand und hielt sie mir an die Wange, sodass die Tränen seine Haut benetzten.
Sue packte meine freie Hand und zog mich förmlich von ihm weg.
»Wir gehen jetzt!«
Ihre verweinte Stimme lies keine Widerrede zu. Sie zerrte mich aus dem Zimmer und ich sah noch so lange hin, bis die Tür sich geschlossen hatte. Im Flur war alles still.
Es war für mich klar, dass ich das Versprechen, welches ich meiner Freundin gegeben hatte, sicher nicht halten konnte. Die Tabletten brauchte ich ganz sicher, um die Beerdigung, welche drei Tage später folgte, zu überstehen …
Es war ein regnerischer und dunkler Tag, welcher wirklich perfekt zu meiner Stimmung passte. Alle Menschen waren in Schwarz gehüllt, sodass man nur noch ihre trauernden Gesichter erkennen konnte. Alle weinten laut, drückten sich und wünschten sich gegenseitig Beileid.
Ich ging zusammen mit Sue am Rand der Kirche entlang, um den vielen Menschen einigermaßen aus dem Weg zu gehen. Es fiel mir ja schon so schwer genug, hier zu sein, da half es nicht sonderlich, auch noch das Mitleid der Anderen zu spüren. Wir stellten uns etwas abseits auf den Friedhof und ich verschränkte fest die Arme vor der Brust.
Sue beugte sich etwas zu mir.
»Du hast die Tabletten genommen, stimmts?«
Ich sah sie an.
»Sorry, aber sonst wird mir das einfach zu viel. Es fällt mir einfach zu schwer, und ohne diese Dinger dreh ich momentan durch.«
Sie seufzte leise.
»Aber bitte sei vorsichtig, ja?«
»Ich nehme nur so viele, wie nötig sind, um das alles irgendwie zu überstehen«, beschwichtigte ich sie nickend.
Sie nickte und schloss kurz ihre Augen, dann erstarrte sie plötzlich. Sofort erkannte ich den Grund dafür. Acht Männer in den schwärzesten Anzügen, die ich jemals gesehen habe, trugen langsam den mit Blumen geschmückten Sarg an das offene Grab heran und wurden von leiser, unterschwelliger Musik begleitet. Eine Gänsehaut überkam mich bei dem Anblick und mein Körper verkrampfte sich. Die Sargträger liefen langsam an uns vorbei und ich erhaschte einen Blick auf ein Gesicht, welches mich zusammenfahren ließ. Fest presste ich die Augen zusammen und hoffte, mich geirrt zu haben. Doch auch, als ich die Augen ein paar Sekunden später wieder öffnete, sah ich ihn noch immer. Es gab keinen Zweifel für mich, dass es sich bei diesem Kerl um den Fremden aus meinem Traum handelte.
»Wer ist das?«, fragte ich mit unverkennbarem Zittern in der Stimme.
Sue sah mich an, dann folgte sie meinem Blick.
»Wen meinst du?«
»Wer ist der Letzte von den Sargträgern?«
Ich konnte meinen Blick, obwohl ich es wollte, einfach nicht abwenden. Sie kniff ihre Augen zusammen.
»Kyle, aber den kennst du doch!«
»Nein, den mein ich nicht. Da ist noch einer hinter ihm. Wer ist das?«
Sie sah wieder hin und schüttelte den Kopf.
»Nein Ana, Kyle ist der Letzte.«
Ich sah sie ernst an.
»Schau bitte genau hin. Hinter Kyle läuft noch jemand, oder bin ich etwa total bescheuert? Siehst du diesen Kerl etwa nicht?«
Sie legte mir eine Hand auf die Schulter.
»Nein Ana, da läuft wirklich niemand mehr.«
Was? Aber da war ganz sicher jemand. Noch immer sah ich hin und erschrak sogar, als ich seinem Blick begegnete. Einen kurzen Moment spiegelte sich Verwunderung in seinem Blick, dann verzog er seine Lippen zu einem Grinsen und sah wieder auf den Sarg. Mein ganzer Körper stand unter Strom und ich fühlte mich schrecklich. Was sollte das? Warum konnte Sue diesen Kerl nicht sehen? Und warum sah ich ihn schon wieder? Und vor allem, was hatte das alles zu bedeuten? Was sollte das alles?
Ich erinnerte mich an den roten Abdruck an Dannys Hals und an den Traum. War das alles etwa doch nicht nur Einbildung gewesen? Gab es da vielleicht doch einen Zusammenhang? Oder drehte ich jetzt allmählich wirklich durch? Meine Beine drohten wieder einmal unter meinem Gewicht nachzugeben. Gerade so schaffte ich es, mich zusammenzureißen und einigermaßen standhaft zu bleiben. Sue jedoch schien den leichten Schwächeanfall bemerkt zu haben.
»Ana, alles in Ordnung mit dir?«
Ich sah sie an und spürte, wie eine Träne über meine Wange kullerte.
»Siehst du ihn wirklich nicht?«
Sie schüttelte den Kopf und packte fest meine Hand.
»Das ist bestimmt nur eine Nebenwirkung von den Tabletten. Du nimmst sie schon ziemlich lange, oder?«
In ihren Augen konnte ich Tränen und die große Angst um mich erkennen und ich bereute es plötzlich, sie gefragt zu haben.
»Ja, bestimmt hast du recht. Es tut mir leid.«
Sie strich vorsichtig an meinem Ärmel entlang.
»Ich verstehe ja, dass das alles ziemlich viel für dich ist.«
Ich lehnte mich etwas an sie heran, um einen besseren Halt zu bekommen, und atmete tief ein. Die kalte Luft tat mir gut. Der Pfarrer sprach die üblichen Worte und der Sarg wurde langsam in die Tiefe gelassen. Schon der Anblick allein tat mir unglaublich weh. Mir war nun endgültig klar, dass dies der Moment des Abschiedes war. Es war ein Abschied für immer. Sue drückte mir eine der Rosen, welche sie mit sich herumgetragen hatte, in die Hand und nickte mir zu. Als ich mich jedoch nicht rührte, zog sie mich einfach mit sich. Ihr schien das Ganze genau so schwerzufallen wie mir, doch sie überwand sich mir zuliebe. Schon nach ein paar Minuten standen wir direkt vor dem tiefen Grab, in dem schon einige Blumen und viel Erde auf dem Sarg lagen, und starrten auf ihn hinab. Sie schob mich vor sich, sodass ich mit zitternden Händen nun direkt vor dem großen Loch stand, und mir wurde leicht schwindelig.
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