1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 »Du schaffst das«, sagte sie leise und mit zittriger Stimme.
Ich warf die Blume ins Grab und schaffte es nicht länger, mich zurückzuhalten. Die Tränen flossen nur so über mein Gesicht und mein Schluchzen wurde immer lauter und lauter. »Ich habe dich immer geliebt …«
Mir entging nicht, dass dieser merkwürdige Kerl noch immer neben dem Grab stand. Das Grinsen war während der gesamten Beerdigung nicht eine Sekunde lang aus seinem Gesicht gewichen. Sue war in die Knie gegangen und hatte ihre Rose ebenfalls hineingeworfen. Einen Moment blieben wir in unserer Position, dann zog sie mich wieder auf die Beine. Sie sah mich aus ihren verweinten Augen heraus an.
»Ich bin mir sicher, dass er das Gleiche für dich empfunden hat …«, sagte sie.
Ich drückte meinen Kopf an ihre Brust und schloss die Augen so fest, dass es fast schon schmerzte. Doch dieser Schmerz war nichts im Gegensatz zu dem, was ich tief in mir empfand.
Es lässt mich nicht los
Nun war schon fast ein Jahr vergangen und ich hatte es geschafft, mein Leben wieder einigermaßen in die richtige Bahn zu lenken. Der Tod meines Freundes hatte mich sehr fertig gemacht und mir die Luft genommen. Ich war monatelang depressiv gewesen und hatte oft daran gedacht aufzugeben, aber trotzdem hatte ich mich immer wieder aufgerappelt. Und schließlich war es mir sogar gelungen, das alles zu überstehen.
Natürlich würde ich Danny niemals vergessen, er hatte für immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, aber ich hatte begriffen, dass mein Leben dennoch weitergehen musste. Es blieb nicht einfach stehen, nur weil es bei Danny so gewesen war. Und, um ehrlich zu sein, war ich wirklich froh, dass ich endlich wieder leben konnte ohne jede Nacht zu weinen und schreiend aufzuwachen. Allerdings gab es trotzdem etwas, was sich seit dieser Zeit nicht verändert hatte und mich mittlerweile in Unruhe versetzte.
Diesen merkwürdigen Fremden sah ich noch immer. Zwar sah ich ihn nur ab und zu, aber dennoch beunruhigte es mich. Immerhin war ich scheinbar die Einzige, die ihn sehen konnte. Ich hatte Angst, dass diese Einbildung vielleicht noch immer, auch wenn ich die Tabletten schon lange abgesetzt hatte, eine Nachwirkung von diesen Dingern war. Andererseits lag es vielleicht aber auch daran, dass ich Dannys Tod zwar verkraftet, aber noch lange nicht endgültig verarbeitet hatte. Wenn ich ehrlich war, wusste ich es nicht. Es machte mir manchmal wirklich Angst, aber zum größten Teil hatte ich mich sogar schon daran gewöhnt. Wahrscheinlich lag es wirklich nur daran, dass ich Danny noch im Kopf hatte …
»Sue, bleib doch mal stehen!«
Ich rannte ihr schon die ganze Zeit hinterher und war froh, als sie endlich stehen blieb und ich sie somit einholen konnte. Sie strich sich die blonde Lockensträhne aus dem Gesicht und grinste mich an.
»Hey Ana! Wo kommst du denn her? Ich hab dich gar nicht gesehen.«
»Das hab ich gemerkt.«
»Sorry …«, sagte sie und zeigte mir den MP3-Player. »Ich konnte dich durch die laute Musik wirklich nicht hören.«
Ich stemmte mich mit einer Hand an der Wand eines Geschäftes ab und brauchte ein wenig, bis sich mein Puls wieder beruhigt hatte.
»Ich renne dir schon seit zwei Blocks hinterher, aber der Abstand war zu groß, und deswegen konnte ich dich nicht einholen.« Sie kicherte. »Ein bisschen Sport schadet bekanntlich ja nie …«
»Sehr witzig.«
»Was gibt es denn so Dringendes, dass du mir den ganzen Weg hinterherrennst?«, wollte sie nun wissen.
»In der Stadt hat ein neues Nachtcafé aufgemacht. Es nennt sich ›Moonlight‹ und soll ziemlich beliebt sein. Ich wollte dich fragen, ob du nicht vielleicht Lust hättest, heute hinzugehen?«
»Klar!«, sagte sie sofort. »Wir haben Ferien, warum also nicht? Aber bist du mir den ganzen Weg nur hinterhergerannt, weil du mich das fragen wolltest?«
»Na ja, mir war auch ein wenig langweilig«, gab ich zu.
Sie lachte.
»Du spinnst doch!«
»Kann sein, aber ich hab dich trotzdem noch erwischt«, sagte ich, stolz auf meine eigene Leistung.
»Stimmt. Aber sag mal, wo ist dieses Café denn überhaupt?«
Ich hob meine Schultern etwas an.
»Irgendwo in der Stadt, aber das finden wir schon. So groß ist die Innenstadt ja nun auch nicht.«
»Da bin ich ja mal gespannt, aber gut, ich bin auf jeden Fall dabei.«
»Wollen wir Jessy und Lia auch fragen? Ich meine, wir haben schon lange nichts mehr mit den beiden gemacht.«
Jessy und Lia waren schon lange eng mit uns befreundet und fast überall mit dabei. Wenn ich allerdings so zurück überlegte, dann hatten wir schon lange nichts mehr zusammen unternommen. Das allerdings lag höchstwahrscheinlich daran, dass die beiden in der letzten Zeit ziemlich viel Stress mit ihren Prüfungen gehabt hatten.
»Ich hab Lia vorhin getroffen. Sie meinte, dass sie mit ihren Freunden unterwegs wären.«
»Dann können wir uns die Überlegung wohl sparen, oder?«, seufzte ich.
Sie nickte.
Ich ging ein Stückchen mit ihr mit, und gerade als wir eine Kreuzung überquerten, kamen die beiden uns, als hätten sie es gehört, entgegen.
»Wenn man vom Teufel spricht …«, kicherte Sue.
»Hey ihr zwei!«
Lia packte Jessy am Handgelenk und zerrte sie förmlich schneller in unsere Richtung. Ich drückte beide kurz.
»Hey! Euch hab ich ja schon ewig nicht mehr gesehen.«
»Ja, in letzter Zeit war es ein bisschen stressig bei uns«, sagte Lia und warf ihr rotbraunes, schulterlanges Haar nach hinten.
»Wie sind eure Prüfungen überhaupt gelaufen? Hat alles gepasst?«, fragte Sue jetzt.
Es war Jessy, die ihr grinsend antwortete.
»Super. Aber nach der ganzen Lernerei hatte ich auch nichts anderes erwartet. Ich meine, wir sind ja gar nicht mehr weggegangen.«
»Allerdings, aber freut mich zu hören, dass alles gut gelaufen ist.«
Lia seufzte.
»Ja zum Glück ist das jetzt endlich rum. Was macht ihr denn heute noch Schönes?«
»In der Stadt hat doch ein neues Nachtcafé aufgemacht, da wollten wir mal hinschauen. Was macht ihr?«
Ihre Augen wurden etwas größer.
»Stimmt, davon hab ich auch gehört. »
»Eigentlich wollten wir ja fragen, ob ihr mitkommen wollt, aber vorhin meintest du ja, dass ihr was mit euren Freunden machen wollt.«
Jessy sah sich kurz um, dann kicherte sie, als sie weitersprach.
»Ja, die haben uns nämlich auch nicht wirklich oft zu Gesicht bekommen. Ich glaub sogar, dass sie sich ein bisschen vernachlässigt vorkommen.«
»Das glaub ich. Ihr zwei hattet aber wirklich nur Zeit für diese dicken Schulbücher«, erinnerte ich mich laut und konnte mir ein Kichern einfach nicht verkneifen. Beide mussten lachen. »Aber das nächste Mal kommt ihr doch sicher wieder mit, oder?«
Lia nickte.
»Klar, nur heute ist es eben schlecht. Aber das nächste Mal könnt ihr wieder voll und ganz auf uns zählen.«
Wir verabschiedeten uns nach dem kurzen Gespräch und gingen weiter unseren Weg. Schon jetzt freute ich mich darauf, wieder mit ihnen unterwegs zu sein.
»Dann machen wir beide uns eben einen schönen Abend zu zweit, oder?«, grinste ich.
Sie lachte.
»Ja, das machen wir.«
Wir bogen in eine kleine Straße ein.
»Wo willst du überhaupt hin?«
»Ich nehme eine Abkürzung nach Hause.«
»Und du bist dir sicher, dass es eine Abkürzung ist? Das sieht nämlich gar nicht so aus!«, sagte ich unsicher. Mir selbst war diese ›Abkürzung‹, wie sie es nannte, nämlich überhaupt nicht bekannt. Selbstsicher nickte sie.
»Ganz sicher!«
Und tatsächlich! Schon nach fünf weiteren Minuten waren wir doch wirklich bei ihrem Haus angekommen.
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