Brita Rose-Billert
Die Farben der Sonne
Die Rückkehr der Steinpferde
Die Farben der Sonne
Die Rückkehr der Steinpferde
Roman
von
Brita Rose-Billert
Impressum
Die Farben der Sonne, Brita Rose-Billert
TraumFänger Verlag Hohenthann, 2015
e-book ISBN 978-3-941485-43-3
Lektorat: Ilona Rehfeldt
Satz und Layout: Janis Sonnberger, merkMal Verlag
Datenkonvertierung: readbox, Dortmund
Titelbild: Astrid Gavini
Copyright by TraumFänger Verlag GmbH & Co. Buchhandels KG,
Hohenthann
eBook-Herstellung und Auslieferung:
HEROLD Auslieferung Service GmbH
www.herold-va.de
Inhalt
Kapitel 1
Blue Light Shadow
Kapitel 2
Oben und unten
Kapitel 3
Die Farben der Sonne
Kapitel 4
Halbblut
Kapitel 5
Steinpferd
Kapitel 6
Einen Schritt weiter
Kapitel 7
Mustangs
Kapitel 8
Der Weg zurück
Kapitel 9
Heimkehrer
Kapitel 10
Großvater erzählt
Kapitel 11
Eine Familie
Kapitel 12
Freunde
Kapitel 13
Neuschnee
www.traumfaenger-verlag.de
Die Handlung ist frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen und Personen wäre rein zufällig.
In Erinnerung, Liebe und Dankbarkeit an meine Großeltern sowie an alle Großeltern, die sich liebevoll um ihre Enkelkinder kümmern und ihnen ihre Geschichten erzählen.
Kapitel 1
Blue Light Shadow
Die Dämmerung beherrschte die engen Straßenschluchten. Es war weder Tag noch Nacht. Schwarze Wolken hatten sich bedrohlich über den Häuserblöcken der großen Stadt ausgebreitet. Der Donner krachte wie ein Kanonenschuss. Dann prasselte der Regen mit aller Macht auf den Asphalt nieder. Zwei Jungen flüchteten zwischen Mülltonnen, Dreck und Zigarettenkippen in das Kellerloch eines verlassenen Hauses. Der Regen verwandelte die Gasse innerhalb kürzester Zeit in einen reißenden Bach.
„Der Missouri kommt zu uns. Siehst du?”
Sie lachten.
Zusammengekauert, mit angezogenen Knien, saßen sie im Kellerloch und beobachteten die Regentropfen, die mit voller Wucht wieder vom Asphalt prallten. Der eine der beiden Jungen war größer als sein Freund. Sein ebenmäßig braunes Gesicht war etwas kantig und ließ ihn älter erscheinen als seine zwölf Jahre. Das halblange, schwarze Haar glich einem Mopp, der allerdings aus dem Wasser gezogen und ausgeschüttelt worden war. Einige Haarsträhnen klebten über dem Gesicht. Sie reichten über die Nasenspitze bis fast zum Kinn. Das Regenwasser tropfte langsam herab auf die verwaschene Jeans. Der Junge wischte es mit dem Arm zur Seite. Schwarze Augen funkelten sein Gegenüber an. „Du siehst aus wie eine gebadete Maus“, lachte der Junge, den Regen übertönend.
Der andere, etwas kleinere Junge amüsierte sich. „Und du siehst aus wie der Wischmopp meiner Großmutter“, schrie er zurück. Im Gegensatz zu seinem Freund war er blass und zitterte vor Kälte. Auch von seinem Haar tropfte das Wasser. Es war dunkelblond. Beide waren schlank und in etwa gleich alt. Die beiden Freunde trugen jedenfalls die gleichen wasserfesten Turnschuhe mit Gleitverschnürung, wie sie in dieser Altersgruppe eben modern waren. Der Regen prasselte schier unaufhörlich und ließ das Wasser auf der Straße bereits gegen die Kellerfenster drücken.
Es schwemmte Zigarettenkippen und anderen kleinen Unrat am Kellerloch vorbei.
Wenige Minuten später tauchte eine dunkle Gestalt auf und nahm ihnen die Sicht. Der Fremde beugte sich zu den Jungen herab.
„Hallo”, sagte er freundlich.
„Verschwinde!”, fauchte ihn einer der beiden Jungen an.
„Ich suche Schutz vor dem Gewitter”, sagte der alte Mann, der seine Hände auf den Knien abstützte und lächelte.
„Hast du Schiss, alter Mann?”, fragte der erste Junge höhnisch.
„Nein”, antwortete der Alte noch immer freundlich. „Aber habt ihr zwei Angst vor einem alten Mann?”
„Komm schon, Blue. Ist doch Platz genug”, mischte sich nun der andere Junge ein.
Der, der zuerst gesprochen hatte, verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die sagte: Bleib mir bloß vom Leibe. Dann nickte er.
„Okay. Komm rein.”
Der alte Mann bückte sich, kam zu ihnen und setzte sich den beiden Jungen gegenüber auf den Boden. Er lehnte sich an die Wand, während Blue ihn auffällig und misstrauisch musterte. Immerhin war es in der Dämmerung des Kellers noch hell genug, um sein Gegenüber zu erkennen. Der Alte trug eine verwaschene Jeans, die sich an den Nähten aufzulösen drohte und einen grauen Parka, der offen stand. Aus seiner Kleidung lief das Regenwasser und bildete eine Pfütze am Boden. Es gelang Blue nicht, dem Mann in die Augen zu sehen. Als der Mann die Kapuze nach hinten abstreifte und sein graues Haar, welches sorgfältig in zwei Zöpfe geflochten war, zum Vorschein kam, drehte Blue seinen Kopf demonstrativ zum Ausgang und starrte auf die Gasse. Das Gewitter tobte. Ohrenbetäubend krachte der Donner, gefolgt von Blitzen, die sogar kurzzeitig das Kellerloch erhellten. Der Regen prasselte mit unverminderter Wucht. Auf der Straße bildeten sich fortwährend unzählige Blasen, sodass sie nun endgültig wie der Missouri aussah.
Der alte Mann hatte zunächst geschwiegen und die Jungen in seiner eher unauffälligen Weise beobachtet. Dann griff er in das Innere seiner Jackentasche und zauberte zwei Äpfel hervor. In jeder Hand einen, hielt er sie den Jungen hin.
„Vielen Dank, dass ich bleiben darf.”
Zögernd griff der eine Junge nach dem Apfel, nahm ihn und bedankte sich mit einem Kopfnicken. Blue rührte sich nicht aus seiner Starre, als sein Freund genussvoll in den Apfel biss, dass es knackte. Der Alte legte den anderen Apfel vor Blue auf den Boden.
„Vielleicht sollten wir uns die Zeit ein wenig mit einer Geschichte vertreiben”, sagte der Alte schließlich. Der kleinere Junge sah ihn erwartungsvoll an. Blue stöhnte genervt, lehnte sich mit der ganzen Breite seines Rückens an die feuchte, modrige Wand und verschränkte die Arme.
Der Alte begann zu erzählen: „Ich erinnere mich noch genau. Es ist schon lange her, sehr lange. Dunkelheit und Stille lag über dem Wald und um mich herum. Durch die kahlen Kronen der Bäume schimmerte der klare Sternenhimmel. Unter meinen Füßen knirschte bei jedem Schritt der Schnee. Klirrende Kälte ließ jeden meiner Atemzüge zu Rauch werden. Doch ich fror nicht. Zwischen den Bäumen, vor den Schneestürmen geschützt, tauchten sie auf, die Zelte mit ihrem schwachen Lichtschein. Der Neuschnee des letzten Abends hatte sie eingehüllt und verbarg alle Spuren ringsum, so als hätte nie ein Lebewesen den Boden mit den Füßen berührt. Ich ging durch das Dorf und niemand bemerkte mich. Nicht einmal der Junge, der auf seinem Rappen lag und die Pferde bewachte, bemerkte mich. Er hatte sich in eine Büffelfelldecke gehüllt und sah auf. Aber er sah durch mich hindurch, wie es schien. Vor dem letzten Zelt blieb ich stehen und lauschte. Schließlich entschied ich mich, hineinzugehen. Eine alte Frau, die gegenüber des Einganges saß, sah mich an, nickte und winkte mich heran. Neben ihr lag eine junge Frau, die gerade ihr Kind geboren hatte. Die alte Frau durchtrennte die Nabelschnur und schnitt ein Stück davon ab, um es gut für das Kind aufzubewahren. Ich sah die Angst in den Augen der jungen Frau, als sie mich betrachtete und sie schmiegte ihr Kind sanft an sich.
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