Connie Willis - Die Farben der Zeit

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Der große Kritiker- und Publikumserfolg aus den USA! Connie Willis, preisgekrönt als beste SF-Autorin der 90er Jahre, schickt in diesem Buch Zeitreisende aus der Zukunft in das viktorianische England — ein unvergessliches Abenteuer …

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Connie Willis

Die Farben der Zeit

oder

Ganz zu schweigen von dem Hunde und Wie wir des Bischofs Vogeltränke Schliesslich doch noch fanden

»… eine harmlose nützliche Katze«

WILLIAM SHAKESPEARE

»… Gott steckt im Detail.«

GUSTAVE FLAUBERT

In liebevoller Erinnerung an Lorena und Bertie

Gewidmet Robert A. Heinlein

der mich durch sein Buch »Have Space Suit, Will Travel« zum ersten Mal mit Jerome K. Jeromes »Three Men in a Boat, To Say Nothing of the Dog« bekannt machte.

1. Kapitel

»Schöner wäre es gewesen, ganz neu zu beginnen, ohne jene häßlichen alten Ruinen«, sagte sie. »Sie sind ein Symbol, meine Liebe«, erwiderte ihre Freundin.

Mollie Panter-Downs

Ein Suchtrupp • Kopfbedeckungen in Kriegszeiten • Das Problem der Vetternwirtschaft • Königliche Kopfbedeckungen • Des Bischofs Vogeltränke wird vermißt • Wohltätigkeitsbasare • Ein Hinweis, wo sie stecken könnte • Astronomische Beobachtungen • Hunde • Katzen • Des Menschen bester Freund • Eine plötzliche Abreise

Wir waren zu fünft — Carruthers, der neue Rekrut und ich, dazu Mr. Spivens und der Kirchendiener. Es war am späten Nachmittag des fünfzehnten November, und wir standen inmitten dessen, was von der Kathedrale in Coventry übriggeblieben war und hielten Ausschau nach des Bischofs Vogeltränke. Jedenfalls tat ich das. Der neue Rekrut starrte mit offenem Mund auf die zersplitterten Buntglasfenster, Mr. Spivens war drüben bei den Stufen der Sakristei damit beschäftigt, etwas auszubuddeln, und Carruthers versuchte, den Kirchendiener davon zu überzeugen, daß wir vom Hilfsfeuerwehrkorps kamen.

»Das hier ist Leutnant Ned, unser Truppenführer«, sagte er auf mich weisend, »und ich bin Kommandant Carruthers. Ich bin der Befehlshaber unseres Postens.«

»Was für’n Posten?« fragte der Kirchendiener mit zusammengekniffenen Augen.

»Sechsunddreißig«, sagte Carruthers aufs Geratewohl.

»Und der da?« Der Kirchendiener deutete auf den neuen Rekruten, der gerade herauszufinden versuchte, wie die Taschenlampe funktionierte, und der nicht einmal schlau genug aussah, um ein Mitglied der Bürgerwehr zu sein, geschweige denn vom Hilfsfeuerwehrkorps.

»Das ist mein Schwager«, improvisierte Carruthers. »Egbert.«

»Meine Frau wollte, daß ich ihren Bruder für die Brandwache anheu’re«, sagte der Kirchendiener, teilnahmsvoll den Kopf schüttelnd. »Dabei kann er nicht mal durch die Küche laufen, ohne über die Katze zu stolpern. ›Wie soll der denn Brandbomben löschen?‹ fragte ich sie. ›Er braucht Arbeit‹, sagte sie. ›Soll Hitler ihn zur Arbeit schicken‹, sagte ich.«

Ich ließ die beiden stehen und ging zu der Stelle, wo das Kirchenschiff gewesen sein mußte. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Wir waren spät angekommen, und obwohl es erst kurz nach vier war, machten es Rauch und dichter Mauerstaub, der in der Luft hing, schwierig, überhaupt noch etwas zu erkennen.

Der Rekrut hatte es aufgegeben, mit der Taschenlampe herumzuprobieren und beobachtete Mr. Spivens, der entschlossen im Schutt neben der Treppe wühlte. Ich schaute abschätzend an ihm vorbei, um festzustellen, wo sich der Nordgang befunden hatte, und begann, mich in Richtung Kirchenschiff vorzuarbeiten.

Des Bischofs Vogeltränke hatte auf einem schmiedeeisernen Pfosten genau vor der Chorschranke der Smithschen [1] In der alten Kathedrale von Coventry besaß seit dem Mittelalter jede Gilde (Tuchmacher, Gürtelmacher, Schmiede, Färber, Stoffhändler, Kappenmacher) ihre eigene Kapelle, die einzig den Gildemitgliedern vorbehalten und nur von der Straße her zugänglich war, so z. B. die Drapersche, Smithsche, Cappersche, Girdlersche und Mercersche Kapelle. — Anm. d. Ü. Kapelle gestanden. Ich bahnte mir vorsichtig meinen Weg durch die Trümmer und versuchte, herauszufinden, wo ich mich eigentlich befand. Von der Kathedrale erhoben sich nur noch die Außenmauern und der schöne Kirchturm mit der Spitze. Alles andere — das Dach, die hohe Kuppel, die Lichtgaden und Säulen waren zu einem einzigen riesigen Haufen unidentifizierbaren, schwärzlichen Schutts zusammengestürzt.

Also, dachte ich, auf einem Dachbalken stehend, hier war wohl die Altarnische gewesen und dort drüben die Drapersche Kapelle, obwohl man das lediglich anhand der zersplitterten Fenster sagen konnte. Das steinerne Gewölbe war eingebrochen, und nur die mit Erkern versetzte Wand stand noch.

Und hier war die St. Laurence-Kapelle, überlegte ich, während ich auf Händen und Knien über den Schutt kroch. Trümmer und verkohlte Dachsparren lagen hier fast zwei Meter hoch aufgetürmt, außerdem war es glitschig. Es hatte den ganzen Tag über wiederholt genieselt, und der Regen hatte die Asche in schwärzlichen Matsch verwandelt und die Bleischiefern des Daches glatt wie Eis werden lassen.

Die Girdlersche Kapelle. Und dies hier mußte die Smithsche sein. Von der Chorschranke war allerdings nichts zu sehen. Ich versuchte abzuschätzen, wie weit entfernt vom Fenster sie gestanden haben mochte, und begann zu graben.

Des Bischofs Vogeltränke lag jedoch nicht unter dem Haufen zersplitterter Tragbalken, und die Chorschranke ebensowenig. Ich fand nur ein Stück zerbrochenen Geländers, hinter dem einst Gläubige gekniet hatten, und Teile einer Kirchenbank, was hieß, daß ich zu weit ins Kirchenschiff hineingeraten war.

Ich erhob mich und versuchte, mich zu orientieren. Es ist erstaunlich, wie große Verwüstung den Raumsinn irritieren kann. Ich kniete mich hin und schaute die Kirche hoch zum Chorgestühl, versuchte, den Sockel einer der Säulen im Nordgang zu finden, um zu sehen, wie weit ich mich im Kirchenschiff befand, aber in dem Schutt war keiner auszumachen.

Ich mußte herausfinden, wo sich das Gewölbe befunden hatte und von dort aus beginnen. Deshalb betrachtete ich zunächst die Ostwand der Girdlerschen Kapelle und fing wieder zu graben an, auf der Suche nach dem Stützpfeiler des Gewölbes.

Er war fünfzehn Zentimeter über dem Boden abgebrochen. Ich legte die Stelle ringsum frei, betrachtete sie genau, versuchte abzuschätzen, wo die Schranke gewesen sein mußte, und grub weiter.

Nichts. Ich zerrte ein gezacktes Stück der hölzernen Decke hoch und sah darunter eine riesige Marmorplatte liegen, die in der Mitte zerbrochen war. Der Altar. Jetzt war ich zu weit. Ich schaute wieder zu dem neuen Rekruten hinüber, der immer noch Mr. Spivens beim Graben beobachtete, ging zehn Schritte zurück und schaufelte weiter.

»Aber wir sind vom Hilfsfeuerwehrkorps«, hörte ich Carruthers zu dem Kirchendiener sagen.

»Sind Sie ganz sicher?« fragte der Kirchendiener. »Ihre Schutzanzüge sehen ganz anders aus als irgendeine Uniform der Hilfsfeuerwehr, die ich jemals gesehen habe.«

Das konnte er auch kaum. Unsere Uniformen eigneten sich vielleicht inmitten eines Luftangriffs, wo jeder, der nur etwas aus Blech auf dem Kopf trug, als Soldat durchging. Und mitten in der Nacht. Im Tageslicht sah die Sache anders aus. Carruthers’ Helm trug die Insignien der Königlichen Pioniere, auf meinen war mit Schablone Luftschutz gesprüht, und die Uniform des neuen Rekruten stammte aus einem gänzlich anderen Krieg.

»Unsere regulären Uniformen wurden bei der Explosion einer Sprengbombe vernichtet«, sagte Carruthers.

Der Kirchendiener sah nicht sehr überzeugt drein. »Wenn Sie vom Hilfsfeuerwehrkorps sind«, sagte er, »warum waren Sie dann letzte Nacht nicht hier, wo Sie gebraucht wurden?«

Eine ausgezeichnete Frage, und eine, die Lady Schrapnell mir bestimmt auch bei meiner Rückkehr stellen würde. »Was meinen Sie damit — Sie sind am fünfzehnten gesprungen, Ned?« hörte ich sie bereits fragen. »Das ist ein ganzer Tag zu spät.«

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