„Danke, keine weiteren Fragen“, gab der Strafverteidiger gönnerhaft von sich und schritt zurück zum Tisch der Verteidigung.
„Der Zeuge ist entlassen“, ordnete Richter Kamasch an und Oberst Stadler verließ den Zeugenstand.
„Eins zu null für uns, Staranwalt, oder?“, fragte Demessos seinen Vertreter, als dieser an seinem Platz ankam.
„Nicht so voreilig. Aber mit etwas Glück können wir diesen Punkt der Anklage abhaken.“
Mekinsky und Kienzl musterten die Geschworenen. An deren Körpersprache hatte sich praktisch nichts verändert. Beide spürten förmlich die Verachtung, die die Geschworenen ihrem Mandanten entgegen brachten.
„Die Anklage ruft Dr. Heinz Machaczek auf.“ Mühlbacher setzte zur zweiten Runde an.
Der Aufgerufene erschien wie vor ihm der Polizist aus dem Seitentrakt, wurde vereidigt und stellte sich als jener Notarzt vor, der das Opfer erstversorgte.
„Herr Doktor, Sie haben Frau Klein behandelt. Was können Sie uns über ihre Verletzungen sagen? Und bitte mit Worten, die auch Nichtmediziner verstehen können.“
„Frau Klein hatte zum Zeitpunkt der Untersuchung mehrere Schnittwunden im Beckenbereich, zugefügt von einem scharfen Gegenstand, ebenso ähnliche Verletzungen an und in der Vagina.“
„Verletzungen von einem Messer, wie zum Beispiel jenem hier?“ Erneut zeigte Mühlbacher das Messer theatralisch her.
„Ja, es war dieses Messer. Mein Kollege von der Gerichtsmedizin wird später noch bestätigen, dass die Klinge DNA-Spuren von Frau Klein aufweist.“
„Einspruch – wir wissen bereits, wie und wozu das Messer benutzt wurde. Wird jetzt für jeden weiteren Zeugen von der Frau Kollegin das Messer extra vorgezeigt?“
„Stattgegeben. Konzentrieren Sie sich auf neue Fakten, Frau Mühlbacher“, mahnte der Vorsitzende.
Mekinsky freute sich innerlich. Jede Sekunde, in der die Geschworenen an die Klinge im Körper der Frau erinnert wurden, war schädlich für seinen Mandanten.
„Wie haben Sie die Patientin versorgt?“
„Da sie möglicherweise unter Schock stand, bestellte ich einen Krankenwagen und stillte die teils blutenden Wunden.“
„Besteht eine wie auch immer geartete Möglichkeit, dass Frau Klein sich diese Verletzungen selbst zugefügt haben könnte?“
„Nein, in ihrem Zustand war sie kaum in der Lage, auch nur die Hand zu heben.“
„Warum das? Sie war nicht gefesselt.“
„Offensichtlich stand sie unter Einfluss einer Droge, die eine Art Muskellähmung hervorgerufen hatte.“
„Verstehe. Können die Verletzungen älteren Ursprungs sein? Also konkret gefragt, schon vor dem Betreten des Gewölbes zugefügt worden sein?“
„Nein, der Blutgerinnung nach zu schließen, waren die Schnitte als akut anzusehen.“
„Was haben Sie, nachdem die Rettung Frau Klein ins Krankenhaus abtransportiert hatte, gemacht?“
„Ich kümmerte mich um den zweiten Verletzten.“
Mekinsky und Kienzl sahen einander verblüfft an.
Wieder zog ein erstauntes Raunen der Gerichtskiebitze durch den historischen Gerichtssaal.
„Den zweiten Verletzten?“
„Ein Mitglied der WEGA-Truppe hatte einen blutenden Finger zu versorgen, weil er bei der Verhaftung eines Verdächtigen gebissen wurde. Eine leichte Verletzung, aber sicherheitshalber veranlasste ich einen Bluttest. Meines Wissens hat der diensthabende Amtsarzt den Test auch prompt durchgeführt.“
Mühlbacher holte von ihrem Tisch einen beigen Umschlag und hielt diesen für alle gut sichtbar in die Höhe.
„Beweisstück Nummer drei der Anklage. Der Bericht des Amtsarztes inklusive der genauen Beschreibung des Verletzungsgrades jenes Beamten, dessen Identität der Öffentlichkeit nicht preisgegeben werden darf, weil er auch teilweise Undercover ermittelt.“
Mekinsky glaubte, ihm würde der Fussboden unter den Füssen weggezogen. Die Staatsanwältin hatte ihn ins sprichwörtlich offene Messer laufen lassen. Zu früh gefreut über das Abschmettern des Punktes Widerstand gegen die Staatsgewalt. Zwar konnte man Demessos dafür nicht persönlich belangen, denn der Prozess gegen die anderen Teufelsanbeter wurde getrennt geführt, aber der Eindruck bei der Jury war nun nicht mehr zu ändern.
„Danke, keine weiteren Fragen.“
„Ihr Zeuge, Herr Anwalt“, erteilte der Richter das Wort an Mekinsky.
„Danke, Euer Ehren. Guten Tag, Herr Doktor. Sie sagten vorhin, Frau Klein konnte sich nicht selbst verletzt haben. Ist das richtig?“
„Ja, natürlich.“
„Weil sie ja, wie Sie sagten, unter Drogen stand.“
„Richtig.“
„Und auch, dass ihre Verletzungen akut waren und nicht etwa aus einem anderen Kontext entstanden.“
„Einspruch – das haben wir alles schon gehört.“
„Stattgegeben. Herr Anwalt, auch ich würde mich über eine sinnvolle Frage freuen. Wenn Sie sich an bereits Gesagtes nicht erinnern können, kann Ihnen die Gerichts-Stenographin gerne eine Abschrift der Aussagen des Zeugen zeigen.“
„Verzeihung, Euer Ehren, ich wollte nur sicher gehen.“
Mekinsky wandte sich wieder dem Arzt zu.
„Drogeneinfluss also. Frau Klein kam, unverletzt wie wir mittlerweile wissen, in diese Gewölbe. Hier bekam sie eine nicht mehr nachweisbare Droge verabreicht, die sie im wahrsten Sinne des Wortes erstarren ließ. Könnte vielleicht Kokain eine solche Droge sein, Herr Doktor?
„Nein, Kokain hat eine aufputschende Wirkung und wäre auch länger im Körper nachweisbar.“
„Es wurde aber außer Kokain keine Drogen in diesem Keller gefunden. Auch im Rest des Hauses nicht. Wie erklären Sie sich das?“
„Vielleicht hat Frau Klein die ganze verfügbare Menge des Mittels verabreicht bekommen?“
„Aja. Müssten dann nicht Restspuren vorhanden sein? Die Spurensicherung hat das komplette Gewölbe Millimeter für Millimeter abgesucht. Sehr unwahrscheinlich. Und dann würde wohl auch das Beweisstück zwei der Anklage ad absurdum geführt werden, nicht wahr? Ich halte damit fest, Herr Doktor: Wir wissen nicht, ob es an diesem Abend Drogenmissbrauch gab und wir wissen auch nicht, selbst wenn es der Fall gewesen wäre, welche Droge in Frage kommen könnte.“
Mekinsky wandte sich in Richtung der Geschworenen.
„Wir wissen bei dieser Beweislage nicht einmal, ob der Sex, so abartig er uns auch vorkommen mag, nicht von beiden Seiten gewollt war. Danke, keine weiteren Fragen.“
„Danke. Frau Staatsanwältin, sie dürfen fortsetzen.“
Mekinsky setzte sich zwischen seinen Assistenten und seinem Mandanten. Kienzl kritzelte etwas auf seinem Notizblock und Demessos blickte starr geradeaus, so als ginge ihn das Ganze im Grunde nichts an.
„Ich rufe Frau Jutta Klein in den Zeugenstand.“
Eine junge Frau, Anfang dreißig, betrat mit gesenktem Kopf den Gerichtssaal und begab sich in den Zeugenstand. Ihr kurz geschnittenes, rotblondes Haar bildete einen starken Kontrast zu ihrer sehr hellen Gesichtsfarbe. Fast schien es, als hätte die Frau seit sehr langer Zeit keine Sonne gesehen. Sie trug keinerlei Make Up. Der schwarze Pullover betonte ihre Blässe noch mehr. Als einziges Schmuckstück trug sie ein kleines goldenes Kreuz um den Hals.
Jutta Klein wurde so wie die Zeugen vor ihr von einem Gerichtsdiener auf die Bibel vereidigt.
„Frau Klein, mir ist bewusst, dass Ihre Aussage für Sie eine enorme psychische Belastung ist. Dennoch muss ich Ihnen einige Fragen stellen. Ist das okay?“, erkundigte sich Mühlbacher sanft.
„Fragen Sie nur“, antworte Klein mit kaum hörbarer Stimme und immer noch gesenktem Kopf.
„Ich möchte Sie bitten, die Geschehnisse jener Nacht aus Ihrer Sicht dem Gericht und den Geschworenen zu schildern.“
Klein stockte. Man merkte ihr an, dass sie sich am liebsten ans andere Ende der Welt gewünscht hätte. Sie blickte auf, vermied jeden Kontakt mit Demessos, fixierte einen imaginären Punkt in der letzten Reihe des Gerichtssaales und begann zu erzählen.
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