Katrin schloss das Video, löschte es aber nicht.
14. Tag; Montag, 17. September 2012
„Daher klagen wir Herrn Michael Schönbacher wie folgt an:
§ 283Stafgesetzbuch – Verhetzung, § 84 STGB - schwere Körperverletzung, § 259 STGB - Widerstand gegen die Staatsgewalt,
§ 239 STBG – Freiheitsberaubung und schließlich nach § 26 Tragen einer verbotenen Waffe. Ich danke Ihnen.“
Dr. Teresa Mühlbacher, mit einem eleganten grauen, nicht zu aufdringlichen Ralph Lauren-Anzug bekleidet, beendete die Verlesung der Anklageschrift würdevoll, sah in den bis auf den letzten Platz gefüllten Zuschauerbereich des prunkvollen Großen Schwurgerichtssaales und begab sich, nicht ohne den Geschworenen freundlich zuzulächeln, auf ihren Platz.
„Danke, Frau Staatsanwältin“, ergriff Richter Jürgen Kamasch das Wort. „Herr Schönbacher, Sie haben die Anklage gehört. Befinden Sie sich schuldig im Sinne der Anklage?“
„Nicht schuldig in allen Anklagepunkten, Euer Ehren“, antwortete Mekinsky wie aus der Pistole geschossen.
Schönbacher alias Demessos starrte teilnahmslos ins Leere.
Als er heute Morgen in der Kanzlei Griess, Mekinsky & Partner erschienen war, trauten Mekinsky und Kienzl ihren Augen nicht. Der weiße, schon etwas aus der Mode gekommene Anzug ihres Klienten war der Grund der Verblüffung, aber dass sich der Teufelsanbeter von seinem obligatorischen Stirnband getrennt hatte, glich einem Weltwunder. Zwar hatte Mekinsky seinen Mandanten nicht darauf angesprochen, aber insgeheim verstärkte sich sein Gefühl, dass der Alte doch respektvoller an den Prozess heranging als erwartet.
Alles in allem wirkte der Angeklagte wie ein alter, etwas schrulliger Mann, der aber im Grunde kein Wässerchen trüben konnte. Während der Fahrt ins Landesgericht schwieg Demessos, während Mekinsky und Kienzl im Schnellverfahren ihre Strategie wiederholten.
„Gut. Wir treten somit in die Beweisaufnahme ein. Frau Staatsanwältin, bitte.“ Richter Kamasch zeigte sich von Mekinskys Erklärung unbeeindruckt.
„Ich rufe als ersten Zeugen Oberst Werner Stadler in den Zeugenstand.“
Richter Kamasch sprach den Namen in sein Tischmikrofon und Sekunden später betrat der Oberst aus einem Seiteneingang den Gerichtssaal. Der hünenhafte Mittvierziger begab sich in den Zeugenstand und wurde vereidigt.
„Guten Morgen, Herr Oberst. Würden sie uns für das Protokoll Rang und Namen nennen“, bat die Staatsanwältin.
„Oberst Werner Stadler, Leitender Offizier der Wiener Sonder-Einsatzgruppe WEGA.“
„Danke, Herr Oberst. Wären Sie so freundlich, uns die Geschehnisse in der Nacht des 24. April 2012 zu schildern?“
„Selbstverständlich. Wir hatten den Einsatzbefehl, in der Ketzergasse 122 die vor Ort befindliche Bezirksstreife zu unterstützen, und …“
„Weswegen?“, unterbrach die Anklägerin.
„Verdacht gleich wegen mehrerer Delikte, insbesondere illegaler Waffengebrauch“, setzte der Beamte fort. „Vor Ort erörterten wir die Situation mit den Kollegen und entschieden uns, in einer Fünfergruppe in das Einfamilienhaus einzudringen. Der Zugriff startete exakt um 22.30 Uhr.“
„Wie ging es weiter?“
„Wir durchsuchten zuerst das Erdgeschoß, danach gingen zwei Kollegen in das Obergeschoß, ohne jedoch jemanden anzutreffen. Als die Lage gesichert war, hörte ich plötzlich seltsame Laute aus einem Kellerzugang. Wir drangen schulmäßig weiter vor und trafen auf einige nackte, teils blutverschmierte Personen, die sich um einen Mann gruppierten, der gerade eine Frau, ähhh … na, Sie wissen schon.“
„Der mit der Frau Geschlechtsverkehr hatte?“
„Ja, sowas in der Art, ja.“
„Einspruch – was ist ein sowas-in-der-Art-Geschlechtsverkehr?“, warf Mekinsky ein.
„Abgelehnt, aber der Zeuge möge so freundlich sein und uns an den Details teilhaben lassen“, erwiderte der Richter.
„Tja, also auf einem Altar lag eine junge Frau, nackt und an den Brüsten blutverschmiert. Der Mann hatte seinen Penis in ihrem Mund und penetrierte sie vaginal mit einem antiken Messer.“
Ein erstauntes Raunen ging durch den Gerichtssaal und Mühlbacher genoss sichtlich die Wirkung, die die Worte des Polizisten auf die Zuschauer und insbesondere auf die Geschworenen hatten.
„Hat das Opfer geschrien?“, fragte die Staatsanwältin.
„Nein, es wirkte wie in Trance.“
Luzifers Tränen, dachte Mekinsky unwillkürlich. Und plötzlich, nach dem eben gehörten, fand er den kleinen Schnitt im Oberschenkel gar nicht mehr so schlimm.
„Meine Kollegen drängten die Umstehenden ab, wobei es zu einigen Handgreiflichkeiten kam, ich schlug den Mann mit dem Messer zu Boden, um Schlimmeres zu verhindern.“
Mühlbacher ging zu einem kleinen Tisch neben dem Zeugenstand, nahm eine durchsichtige Plastiktüte in die Hand, hob sie in die Höhe, damit auch die letzte Reihe sehen konnte, worum es sich handelte.
„Hohes Gericht, Beweisstück Nummer eins der Anklage. Das besagte Messer, eigentlich ein Dolch.“
Wieder setzte Gemurmel im Saal ein. Die Vorstellung, dass einer Frau diese scharfe Klinge in ihre Vagina eingeführt worden war, erweckte bei vielen das von Mühlbacher erhoffte Entsetzen.
„Wie wurde die Amtshandlung fortgesetzt?“
„Wir nahmen alle Anwesenden fest. Ein Kollege rief den Notarzt und die zwischenzeitlich eingetroffenen Kriminalbeamten sowie die Tatortgruppe drei durchsuchten den Keller.“
„Mit welchem Ergebnis?“
„Wir fanden eine Menge alter Bücher, die sich später als satanische Literatur herausstellen sollten, einige Folder, die direkt und unmissverständlich gegen die katholische Kirche gerichtet waren und eine kleinere Menge Kokain.“
Wieder holte sich die Staatsanwältin vom Beistelltisch ein Utensil. Diesmal eine grüne Heftmappe.
„Hohes Gericht, Beweisstück zwei der Anklage. Die Berichte der Spurensicherung inklusive eidesstattlicher Erklärungen der involvierten Beamten.“
„Herr Oberst, was genau lief dort Ihrer Einschätzung nach in jener Nacht ab?“
„Ich würde sagen, die Gruppe feierte eine schwarze Messe unter Leitung des älteren Mannes.“
„Einspruch – ich glaube kaum, dass der Herr Oberst ein ausgewiesener Experte in Sachen Schwarzer Messen ist. Genauso gut kann es sich um bizarre SM-Sexspielchen gehandelt haben.“
„Stattgegeben.“
„Und nun die letzte Frage, Herr Oberst“, ergriff Mühlbacher das Wort. „Ist der Anführer dieser Gruppe heute hier?“
Der Zeuge zeigte ohne Umschweife auf Demessos.
„Ja, es ist der Mann im weißen Anzug auf der Anklagebank.“
„Danke, Herr Oberst. Ihr Zeuge.“
Während Mühlbacher, die ihre Zufriedenheit nur schwer verbergen konnte, zu ihrem Tisch zurückging, erhob sich Mekinsky und schritt betont langsam in Richtung Zeugenstand. Aus den Augenwinkeln musterte er die Geschworenen, und wie nicht anders zu erwarten war, schien die Jury vom eben Gehörten ziemlich schockiert zu sein.
„Guten Morgen, Herr Oberst. Wie geht es Ihnen?“
„Danke, gut. Und Ihnen?“, antwortete der Offizier spöttisch.
„Ehrlich gesagt – schlecht. Und wissen Sie, warum? Weil ich mir nicht und nicht erklären kann, warum der Anklagepunkt Widerstand gegen die Staatsgewalt in der Anklageschrift vorkommt, obwohl Sie – ich erinnere – unter Eid ausgesagt haben, dass Sie meinen Mandanten niederschlugen. Sie haben nicht ausgesagt, dass er Sie angegriffen hat. Sie haben auch nicht ausgesagt, dass irgendjemand anderer im Raum von meinem Mandanten angegriffen wurde. Wie und gegen wen also soll mein Mandant Widerstand geleistet haben?“
Verblüfft starrte der Polizist Mekinsky an. Kienzl machte sich hinter seinem Aktenkoffer klein, um zu vermeiden, dass irgendjemand sein Grinsen bemerkte. Demessos schaute zum ersten Mal auf. Mühlbachers Gesicht sprach ebenfalls Bände.
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