Also erst einmal weiß und gelb, dann sah man schon mal einen Fortschritt! Sie sortierte so viele entsprechende Zettel aus, bis die drei Pappschachteln überzuquellen begannen, dann klopfte es ohnehin und eine Riesenkiste wurde in dem Raum abgeladen.
Jetzt konnte man dort überhaupt nicht mehr treten.
Sie sah sich praktisch mit eingezogenem Bauch in dem Raum um. Gab es hier überhaupt Möbel, wenn man von dem von Papierstapeln zugemüllten Tisch absah? Erkennbar war nichts, aber das konnte auch an diesem unzureichenden Licht liegen.
Und staubig war es hier, dass man Atemnot kriegen konnte! Kein Wunder, nichts staubte ja bekanntlich mehr als altes Papier, und geputzt hatte hier garantiert noch nie jemand. Wahrscheinlich erwartete der Alte, dass das Personal das mit erledigte, weil er damals, beim Arbeitsdienst, auch immer... und so weiter.
Sie stapelte die Mappen, Schachteln und Stöße etwas enger aufeinander, bis sie am hintersten Ende des Tisches eine etwa einen halben Meter breite Fläche freigelegt hatte, dann suchte sie noch einmal Frau Lemmert auf.
Die saß in einem engen, vollgestopften Büro, das Ariane sich gleich als nächstes vormerkte, zusammen mit einer etwas rundlichen Frau um die Fünfzig an einem Doppelschreibtisch, und schaute, als würde sie gleich zu weinen anfangen.
„Frau Lemmert, ich störe Sie nur ungern, aber könnten Sie mir einen Lappen, eine Schüssel und ein einigermaßen aggressives Putzmittel besorgen?“
Die andere Frau erhob sich. „Holzmeister. Ich bin hier die Sekretärin.“ Sie reichte Ariane die Hand.
„Frau Löffelholz, nicht? Frau Lemmert hat mir schon von Ihnen erzählt – ganz im Vertrauen natürlich! Warten Sie einen Moment, ja?“
Ariane nickte lächelnd und sah sich den Raum weiterhin kritisch an, während Frau Holzmeister enteilte. Wie ein Polizeirevier aus „Stahlnetz“, mit einem Telefon auf einer Ablage mit Scherengitterarm, einer großen mechanischen Schreibmaschine, je zwei Rollschränken, die schamhaft geschlossen waren, einem Aktenschrank, der farblich nicht zum Rest passte, und Stößen von Papieren auf jeder verfügbaren Fläche. In einer Ecke ein Riesenhaufen Leisenberger Anzeiger. Ariane wies mit dem Kinn darauf. „Müssen Sie die sammeln oder was?“
Die Lemmert seufzte zittrig. „Nein... auswerten. Ob was über uns drinsteht... Ich wüsste nicht, wieso eigentlich. Aber wann ich das noch schaffen soll, weil ich auch nicht. Ich mache alles, was mit den Lieferungen zusammenhängt, und den Briefverkehr, und die Post überhaupt, und...“ Sie sah Ariane verzagt an.
„Ich bin sicher, das können wir so organisieren, dass Sie Ihre Zeit vernünftiger einsetzen können. Halten Sie noch ein paar Tage durch, dann sehen wir vielleicht schon ein bisschen Land, ja?“
Die Lemmert lächelte verzagt und nickte vorsichtig, und da kam auch schon die Holzmeister zurück – mit einem Senfeimerchen voller Wasser, einem ziemlich grauen Lumpen und einer Flasche Ökoreiniger.
„Danke“, sagte Ariane resigniert, „damit kriege ich vielleicht schon mal eine Ecke sauber. Und Sie halten dicht, so lange es geht, ja?“
„Klar doch! Wir wollen doch auch, dass hier mal irgendeine Art von Ordnung reinkommt. Wenn wir Ihnen irgendwie helfen können...“
Frau Lemmert schnüffelte zustimmend.
„Noch nicht“, antwortete Ariane, „aber das kann durchaus noch kommen. Ich muss erst einmal sichten, wie ich am besten vorgehe. Also, danke hierfür!“
Sie huschte in das Kabuff zurück. Obwohl – Kabuff? Der Raum hatte gut dreißig Quadratmeter, schätzte sie, wenn sie die dämmerigen Winkel auch nur ungenau ausmachen konnte.
Egal, wenn sie das Fenster erst einmal freigelegt hatte, konnte sie ja sehen, wie groß der Raum wirklich war. Aber besser als dieses Winzsekretariat wäre er bestimmt...
Egal. Sie schrubbte, so gut es ging, den freigelegten Teil der Tischplatte, und ging dann daran, die Kiste zu öffnen. Sehr gut, ungefähr hundert Ordner – ob die allerdings reichten? Sie zog einen heraus, klebte provisorisch einen gelben Punkt auf den Rücken und heftete die gelben Zettel unsortiert hinein. das gleiche machte sie mit den weißen Zetteln – und einem weißen Punkt.
In die Ordner passte noch etwas hinein, also nahm sie sich die nächste Mappe vor.
Danach hatte sie auch genug „Sonstiges“, um dafür einen (rot bepunkteten) Ordner anzulegen.
Gegen Mittag knurrte ihr der Magen, und sie hatte bereits vier gelbe, vier weiße und drei rote Ordner gefüllt und wieder einen halben Meter Tisch befreit und geputzt.
Ab jetzt musste man wohl mit Onkel Albert rechnen – aber sie fand, dass man durchaus schon einen Fortschritt sah. Naja, einen kleinen vielleicht. Jemand klopfte an die halb offene Tür.
„Ja?“
Albert. „Wie kommst du voran?“
„Och, ganz gut. Sag mal, der Raum ist doch eigentlich für ein Archiv viel zu schade, findest du nicht? Der hat mindestens dreißig...fünfunddreißig Quadratmeter, oder?“
„Fast vierzig“, gab Albert zu. „Du hast ja Recht, aber was soll ich machen? Der Alte fügt sich doch nur, wenn man ihn auf Schadensersatz verklagt. Mensch, mach doch mal Mittag, es ist ein Uhr durch!“
„Wo geht man denn da hin?“
Albert zuckte die Achseln. „ McDonalds , Sandwichbar, Salatbar... wir haben natürlich nichts. Aber der Alte hat der Belegschaft erlaubt, mitgebrachte Butterbrote am Tisch zu verzehren, sofern man dabei seine Unterlagen nicht vollkrümelt.“
„Oh, wie großzügig! Na gut, dann gehe ich mal... Wenn ich die Türe zusperre, merkt der böse Onkel vielleicht nichts, bis ich zurück bin.“
„Höchstens, wenn er den vorderen Parkplatz kontrolliert und Gott behüte ein fremdes Auto entdeckt. Aber er parkt ja immer hinten, damit sein kostbarer Wagen nicht nass wird oder zuschneit.“
Ariane lachte spöttisch und lief schnell schräg über die Straße, wo die Sandwichbar mit einladenden Angeboten lockte. Eine Johannisbeerschorle und ein Thunfischsandwich, und es ging ihr schon wieder besser.
Mit frischen Kräften kehrte sie zurück. Niemand zu sehen auf den Gängen – Mittagspause oder zu wenig Personal? Letzteres, wie sie den Laden einschätzte. Ungesehen gelangte sie ins Archiv zurück und arbeitete fröhlich weiter.
Sicher, manche Leute würden dieses Sortieren als Blödeljob ansehen, aber ihr machte es Spaß, man konnte dabei so schön die Gedanken schweifen lassen und die Planung des Gesamtsystems war immerhin anspruchsvoller als das bloße Abheften. Außerdem gefiel ihr der Gedanke, etwas in Ordnung zu bringen, Übersicht ins Leben zu bringen, wenn auch nur in einem kleinen Ausschnitt. Sicher, es gab Wesentlicheres als eine aufgeräumte Ablage, aber wenn der Laden danach besser lief? Vielleicht rettete man dadurch indirekt sogar Arbeitsplätze, und das war dann doch etwas Wesentliches.
Die Reihe der Ordner wurde immer länger, auch wenn der Inhalt nur grob sortiert worden war. Erst gegen fünf wurde die Tür energisch aufgerissen, und Onkel Albert, groß, dürr, grau stand in der Tür.
„Was ist hier los?“, bellte er. „Was treibst du in meiner Firma?“
Ariane tat, als sähe sie gerade erst auf. „Grüß dich, Onkel Albert. Du siehst doch, was ich machte – ich bringe eure Ablage in Ordnung. Nötig ist´s ja, nicht?“
„Was hier nötig ist oder nicht, entscheide ich! Pack deine Sachen und verschwinde, aber sofort! Du bringst nur Chaos in meine Firma!“
Umgekehrt wird ein Schuh draus , dachte Ariane und lächelte besonders süß. „Kann ich schon machen, Onkel Albert – aber dir ist klar, dass dein Sohn einen Vertrag mit dem BüroNotDienst abgeschlossen hat? Wenn wir die Nichterfüllung nicht zu verantworten haben, musst du zahlen. Mit oder ohne Leistung. Wenn du natürlich für nichts zahlen willst...“
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