Am Dienstag fragte ich bei JobTime nach. Mein „Berater“, wie das hier seit Neuestem hochtrabend genannt wurde, machte „Hm“ und blätterte einen Stapel Ausdrucke durch. „Ja, zwei Angebote hätten wir schon noch. Einen schlecht gelaunten Schriftsteller – ich sehe gerade, da haben schon mehrere aufgegeben – und eine Frau Rössel in der Altstadt. Hier steht pingelig .“
„Und wo wohnt der muffige Schriftsteller?“, fragte ich nach, fest entschlossen, lieber noch mehr zu sparen. „Hinter dem Helenenbad. Helenenweg elf. Das andere wäre Fuggergasse drei.“
Die Lage wäre nicht so ungünstig, überlegte ich, aber bei beiden würde ich sicher dauernd angemeckert, und das hatte ich ja auch schon zu Hause. Trotzdem, acht Stunden mehr waren das bestimmt, dann hätte ich neunhundertsechzig Euro im Monat...
„Okay, ich versuch´s“, seufzte ich und ließ mir die Daten geben.
Frau Rössel ging so schnell ans Telefon, dass ich mir richtig vorstellen konnte, wie sie schon seit Tagen direkt daneben gesessen und gelauert hatte. Ihre Stimme klang scharf, das war sicher eine richtige Sklaventreiberin. Nein, sie besitze alle wirklich guten Putzmittel, und natürlich müsse ich vormittags kommen, nur Schlampen hätten die Hausarbeit mittags noch nicht fertig. Mittwochs von neun bis zwölf – dann ging ich mittwochs eben nachmittags in die Bibliothek. Täglich musste ich da ja auch nicht hin!
Der Schriftsteller, Kampmann hieß er (nie gehört), brummte. Eine Vorstellung sei nicht nötig. Dienstag und Freitag, am späteren Nachmittag, jeweils drei Stunden. Ungewöhnlich tiefe Stimme – oder kam das von der brummigen Laune? Jedenfalls sagte ich zu, gleich für heute Nachmittag, um fünf. Nein, mitzubringen hätte ich nichts.
Zu Hause wühlte ich meine Habseligkeiten durch, schloss alles Wichtige wieder weg und schleppte einen Stapel unwichtiger Taschenbücher in die Lesefabrik. Wieder fünfzehn Euro mehr! Das komische goldene Armband, das ich mal geschenkt bekommen hatte, brachte leider auch nur zehn Euro, es war gar nicht echt. Hätte ich mir ja denken können, es hatte gar so intensiv golden geglänzt. Es hätte von Heiner sein können, überlegte ich, während ich die Wäsche (nur meine eigene) in den Keller schleppte. Mich mit Tinnef reinzulegen, damit ich ihn im Gegenzug durchfütterte! Aber ich wusste, dass er mir noch nie etwas geschenkt hatte. Geschenke fand er unwesentlich, Zeichen der übersättigten Konsumgesellschaft und überflüssigen Tand. Ich hatte meine Versuche, ihn umzuerziehen, schnell wieder eingestellt.
Was fand er eigentlich an mir? Hatte er sich schon, als wir uns in einer Ausstellung kennen gelernt hatten, gedacht Die ist doof genug, auf deren Kosten kann ich leben ? Oder hatte ich ihm gefallen? Abstoßend fand er mich wohl nicht, er hatte keine Probleme, immer dann mit mir zu schlafen, wenn er mich von seinen Fehlern ablenken wollte.
Seine Fehler... Er war ein Parasit, arrogant und nahm mich nicht ernst. Eigentlich nervte er furchtbar, aber er sah gut aus und sein ständiges Genörgel hielt mich geistig fit. Hatte diese Beziehung eine Zukunft? Der Gedanke erschreckte mich plötzlich – ein Leben lang an der Seite von Heiner? Das Wesen neben ihm sein, das für die niedrigen Aspekte des Lebens gerade mal gut genug war? War ich etwa Christiane Vulpius? Aber Goethe hatte seine Christiane ehrlich geliebt, und Heiner war nicht Goethe, egal, was er sich einbildete.
Nein, das durfte gar keine Zukunft haben. Außerdem könnte ich nicht in Ruhe in der Museenverwaltung arbeiten, wenn er dauernd stänkerte, wie sehr meine Arbeit bloß die herrschenden Strukturen verfestigte und der allgemeinen Volksaufklärung zuwiderlief.
Eigentlich war Heiners Weltanschauung eine ekelhafte Mischung: Einerseits spielte er den Postkommunisten – wenn man das so nennen durfte - , andererseits war er elitär bis zum Gehtnichtmehr, und seine frauenfeindlichen Sprüche waren ihm nicht mal peinlich, weil er fand, dass ein Mensch mit seinem hohen Bewusstseinsstand über political correctness erhaben sein durfte. Und dafür, auf anderer Leute Kosten zu leben, war er sich auch nicht zu schade! Glaubte er etwa, es müsse mir eine Ehre sein, das Genie durchzufüttern?
Heiner war, wenn man es recht bedachte, das perfekte Arschloch, schloss ich meine Überlegungen ab und warf mich in meine Putzkluft, weil es schon fast vier war. Meine Wäsche bügelte ich schnell noch durch und verräumte sie; alles, was Heiner auch passte, kam in das verschließbare Regalfach.
Wie konnte ich ihn loswerden? Er zahlte ja doch nichts, und in letzter Zeit machte er auch nichts mehr im Haushalt - außer Unordnung. Gute Gespräche hatten wir schon lange nicht mehr geführt, und seine Zärtlichkeiten waren mir eindeutig zu zweckbestimmt: Vögle sie, dann hört sie auf zu nörgeln. Früher hatten wir auch mal ernsthaft diskutiert, gemütliche Abende verbracht, uns zärtlich geliebt. Im Bett war er wirklich nicht schlecht, aber die Gefühle waren irgendwie eingeschlafen... Welch schlampig formulierte Diagnose!
Nein, Heiner musste hier raus. Gisi hatte sich nicht ohne Grund von ihm getrennt. Vielleicht sollte man eine Regel aufstellen: Immer die Vorgängerin befragen - ohne eine anständige Referenz von ihr sollte kein Mann mehr eine Chance haben!
Ich räumte noch ein bisschen auf, aß die letzte Brotscheibe auf und versteckte den Löwenanteil des Kaffeepulvers. Je ungastlicher ich auftrat, desto eher würde Heiner sich eine Neue suchen! Wo steckte er überhaupt? Schon wieder so eine lange Redaktionssitzung? Na, wenn ich mit diesem Kampmann zurechtkam und gleich bei ihm putzte, wäre ich erst gegen halb neun zurück, müde und gereizt, und Heiner hätte einen knurrenden Magen. Die ideale Situation für den großen Krach. Dann könnte er gegen zehn gepackt haben und verschwinden, und morgen früh würde ich das Schloss ändern lassen. Zack, das Leben wieder in Ordnung gebracht!
Das Haus im Helenenweg war eine Riesenscheune aus den Sechzigern. Mir wurde ganz flau, als ich das alles musterte – da putzte ich mich ja tot! Kurz überlegte ich, ob ich einfach wieder gehen sollte – aber das war mir dann doch zu feige. Also klingelte ich brav und wartete. Es dauerte etwas, dann summte die hässliche schmiedeeiserne Gartenpforte und ich drückte sie auf. Der Kiesweg war voller Unkraut, aber als Gärtnerin war ich hier nicht angestellt. Und welcher Schwachkopf hatte das Haus mit den schönen Proportionen denn senfgelb angestrichen? Und diese Haustür – Milchglas mit asymmetrischen Messingstreben! Einfach schauerlich, Kampmann musste einen Geschmack haben wie ein Pferd. Das Milchglasungetüm öffnete sich und ich erstarrte mitten im Erklimmen der Stufen. Was für ein Kerl!
Bestimmt einsfünfundneunzig groß, oder noch mehr. Und breit gebaut, wenigstens spannte das angeschmuddelte Sweatshirt über den Schultern. Die verbeulten Chinos ließen keine Rückschlüsse zu, aber die graubraunen Haare – viel zu lang und offenbar auch länger nicht mehr gekämmt. Kein schlechtes Gesicht, aber eindeutig übellaunig. Reichlich Falten, der Kerl war bestimmt Mitte vierzig oder noch älter. „Ja?“
„Ich bin Anne Holler und komme von JobTime . Wir haben telefoniert, wegen der Putzstelle.“
„Ach so, ja. Kommen Sie rein.“
Drinnen fiel es mir schwer, ein Pokerface beizubehalten. Ich sah eine große, im Stil der Sechziger geflieste Diele, von der aus eine leicht gehaltene Treppe nach oben führte. Glasbausteine in der Wand ließen neben der Treppe genügend Licht ein. Eine Tür neben der Haustür, noch eine an der Schmalseite, die zur Straße zeigte, dann eine an der Breitseite (Gartenfront, ich vermutete dahinter das Wohnzimmer), und eine an der nächsten Schmalseite. Oben sicher das Entsprechende.
Das wäre, abgesehen von der Weitläufigkeit, kein Problem gewesen, aber alle Wände waren mit bunten Tapeten im Stil optische Täuschung beklebt, Wellenlinien, Op-art und so weiter. Grausig. Und der Boden war mit Fußspuren bedeckt, in den Ecken lagen reichlich Staubmäuse. Möbel gab es kaum, nur ein pseudoantikes Tischchen mit unnatürlich verdrehten dünnen Beinen, das dunkle Holz stumpf und verkratzt. Darüber hing ein Spiegel in einem ganz anderen Stil.
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