Schnell zog Rebecca ihre Hand wieder zurück. “Hm. Tut mir leid”, murmelte sie verlegen. “Das muss es nicht”, beeilte Nick sich zu sagen. Und blickte noch einmal auf sein Handgelenk, wo kurz zuvor Rebeccas Hand gelegen hatte. Da er sich anschließend von Rebecca beobachtet fühlte, bemühte er sich, langsamer zu essen.
Die Stille zwischen ihnen beiden wurde fast unerträglich. Rebecca sagte einfach gar nichts. Einerseits, weil sie mit dem guten Essen, Wein und Skyline beschäftigt war, andererseits sah sich nicht in der Pflicht, die Unterhaltung zu führen. Nick hatte sie eingeladen, weil er etwas gutzumachen hatte, und sie würde ihm den Weg auf gar keinen Fall erleichtern. Schließlich hielt Nick es nicht mehr aus. Er legte das Besteck auf seinen Teller und die Serviette zur Seite. Er räusperte sich. “Okay, Miss Hold. Sie machen es mir nicht gerade leicht.” Rebecca blickte auf. Offenbar konnte er die Frage schon aus ihrem Gesichtsausdruck ablesen. “Warum sollten Sie auch. Ich verstehe, dass Sie sauer sind, Sie haben jedes Recht dazu.” Rebecca blickte ihn nur stumm an, ihr Gesicht verriet keine Regung. “Es tut mir leid, ich entschuldige mich dafür, was und wie es vergangene Woche passiert ist. Sie hätten gar nicht in meiner Wohnung sein sollen, weil alles ganz anders geplant war. Und ich hätte es direkt in der Nacht aufklären sollen”, sagte Nick. “Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie es Ihnen ergangen ist, weil ich hinterher ebenso sauer und wütend gewesen bin.”
Gespannt wartete er auf Rebeccas Reaktion. Sie hatte lange gezögert, zum Abendessen zu kommen. Selbst als sie an seiner Tür gestanden hatte, hatte er ihre Unsicherheit bemerkt. Würde sie seine Entschuldigung annehmen? Rebecca wusste, dass sie jetzt etwas sagen musste, war sich aber nicht sicher, was sie sagen sollte. Sie räusperte sich. Erst musste sie noch etwas klären. “War es die Schuld von Mrs Cox?”, fragte sie vorsichtig. Nick runzelte die Stirn. “Warum ist das wichtig?“, fragte er zurück. “Selbst, wenn es ihre Schuld gewesen ist, möchte ich nicht, dass Mrs Cox deswegen Ärger bekommt”, erklärte Rebecca.
Sie wusste, dass sie ihm damit einen Grund geliefert hatte, sich selbst aus der Affäre zu ziehen. Deswegen fuhr sie schnell fort: “Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung, egal, wessen es Schuld es war. Der ganze Abend war nicht toll, aber das dürften wohl alle Beteiligten so empfunden haben.” Nick bemühte sich, seine Erleichterung nicht zu offen zu zeigen. Er hob sein Weinglas. “Danke. Dann stoßen Sie mit mir darauf an.” Das war kein Vorschlag, sondern eine Forderung, die Rebecca schon wieder ärgerte. Hatte sie es ihm doch zu einfach gemacht? Zögernd griff Rebecca zu ihrem Glas, ein leichtes Klirren folgte. Nick suchte ihre Augen, aber sie schien mit ihren Gedanken woanders.
“Nur eine Frage noch dazu: Warum durfte ich nicht in meiner eigenen Wohnung sein? Ihr Bote hätte bei mir klingeln und Ihren Brief bei mir lassen können. Dann wäre das Zusammentreffen nicht passiert”, fragte Rebecca aus Neugier. Mrs Cox hatte ihr dazu keine richtige Begründung geliefert. “Ich hatte den Boten bestellt und Name und Adresse hinterlassen. Hätte der Bote woanders klingeln sollen, hätte das angemeldet werden müssen. Und darüber wäre ich informiert worden. Eine Änderung hätte ich natürlich nicht zugelassen”, erklärte Nick. Schienen ja hochwichtige Dokumente gewesen zu sein, die sie da in Händen gehalten hatte, dachte Rebecca. Schade, dass sie nicht doch einen Blick durch den Umschlag hatte erhaschen können.
Rebecca horchte in sich hinein, unsicher, wie sie sich jetzt fühlen sollte. Sie schob ihren Teller zur Seite. Und jetzt? Worüber sollte sie mit ihm reden, wenn dieser unselige Abend der Vergessenheit angehörte? Sie drehte ihr Weinglas mit den Fingern in ihrer Hand. Ein Zeichen für ihre Konzentration. Nick wartete ab. “Wie ist es damals weitergegangen, nachdem die Schummeleien öffentlich geworden waren?”, fragte sie und blickte ihn jetzt direkt an. Für Nick kam der Themenwechsel, die Frage, abrupt. “Finden Sie dieses Thema angebracht?”, fragte er mit leichter Schärfe in der Stimme zurück. Obwohl er es nicht mochte, Fragen mit Gegenfragen zu beantworten. Weder bei sich noch bei anderen. “Was heißt angebracht? Es hat für viel Aufregung gesorgt. Außerdem muss ich über irgendetwas mit Ihnen reden”, sagte Rebecca. Könnte eine Unterhaltung mit ihm für sie so unangenehm sein, dass sie sie als Zwang empfand? Nick wurde aus ihr nicht schlau. “Small Talk übers Wetter ist mir zu langweilig, Ihre Frauengeschichten gehen mich nichts an, bleibt also nur der Job”, fasste Rebecca schnell zusammen. Ein spöttisches Lächeln umspielte Nicks Mund, als sie von seinen Frauengeschichten sprach. Es schien sie ja doch zu beschäftigen.
“Wenn Sie jetzt in Ihren Jobmodus wechseln, sprich als Journalistin mit mir reden, muss ich Sie enttäuschen. In solchen Fällen finden Gespräche nicht ohne meinen Anwalt statt”, erklärte Nick bestimmt. Rebecca nickte bedächtig. “Okay, das ist schon mal eine Aussage. Sie vertrauen mir nicht, und Sie haben Angst, sich zu verquatschen.” Nick stieß die Luft aus, ein gequältes, kurzes Lachen folgte. “Wie Sie vielleicht mittlerweile wissen, gehört mir ein Unternehmen, das mit Fonds und Aktien handelt. Ich kann und darf mich nicht ohne weiteres äußern”, erklärte Nick kalt. “Außerdem trage ich noch die Verantwortung für einige hundert andere Menschen, die sich auf mich verlassen.”
Rebecca zog eine Augenbraue hoch. “Woher das plötzliche Verantwortungsgefühl?”, fragte sie spöttisch. “Sie kennen mich doch gar nicht. Deswegen können Sie doch gar nicht richtig beurteilen, ob ich jemals Verantwortungsgefühl besessen habe oder nicht. Und selbst wenn nicht, Menschen können sich doch auch ändern.” “Nein, glaube ich nicht, zumindest nicht in ihrem Kern. Außerdem implizieren Sie mit Ihrer Aussage, dass Sie damals keines besessen haben könnten”, konterte Rebecca. Nick war sauer. “Rufen Sie in meinem Büro an und lassen Sie sich einen Termin für ein Interview geben.” Jetzt war es an Rebecca, gequält zu lachen. “Einen Termin für ein Interview? Soll das ein Scherz sein? Dann können Sie mir gleich Ihre glattgebügelten Pressemitteilungen schicken.” Rebecca schüttelte ungläubig den Kopf.
“Wir sollten das Thema wechseln”, schlug Nick vor, “denn in ihrer Aufzählung vorhin haben Sie ein Thema vergessen - sich selbst.” Diese Aussage kam jetzt für Rebecca etwas plötzlich. “Erstens bin ich überhaupt kein Thema, viel zu uninteressant”, sagte sie langsam, um Zeit zu gewinnen. “Und zweitens?”, half Nick nach. “Zweitens werden Sie sicherlich über eine gute PR-Abteilung verfügen, die über alle möglichen Journalisten und Redakteure Dossiers angelegt haben wird. Womit Sie alles über mich wissen”, vollendete Rebecca. “Sollte ich ein Dossier über Sie haben, würde das bedeuten, dass Sie doch ein Thema sind”, erklärte Nick wissend. “Trotzdem bevorzuge ich, wenn Sie selbst von sich erzählen. Also?”, forderte er sie auf.
“Also nichts… Themenwechsel”, antwortete Rebecca. Es war eine Art Kraftprobe. “Wie Sie wollen. Sie hatten Ihre Chance”, sagte Nick schließlich. “Jetzt mache ich mir mein eigenes Bild von Ihnen. Und mit den Konsequenzen müssen Sie dann zurechtkommen.” Rebecca spielte wieder mit ihrem Glas, ihre Augen wurden schmal. “Konsequenzen?” Rebecca machte eine Pause. “Sie sollten mir nicht drohen”, antwortete sie langsam. Nick lehnte sich zurück und musterte Rebecca eindringlich. Sie runzelte die Stirn. “Und ich muss überhaupt gar nichts. Außerdem habe ich auf solche Spielchen keine Lust.”
Nick nahm sie überhaupt nicht ernst, sondern lachte einfach nur. Ein dunkles, leicht heiseres Lachen. Genauso wie seine Stimme. “Wie wäre es mit Dessert?” Das Terrain schien ihm sichererer. Rebecca nickte nur. Nick räumte ihren Teller auf seinen und nahm beide mit in den Küchenbereich. Rebecca war erstaunt über diesen Anblick. Ein Mann, der freiwillig Geschirr zusammenräumte. Noch dazu ein Mann mit einem Status wie Nick Hutton. Es erschien Rebecca irgendwie unpassend, gleichzeitig ließ es ihn aber auch nahbarer, menschlicher erscheinen. Aus dem Kühlschrank holte er Panna Cotta mit roter Grütze.
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