“Es ist viel komplizierter. Ich habe diesen Menschen schon kennengelernt - leider, muss ich sagen. Sein Hund wohnt sogar mehr oder weniger bei mir. Der Typ ist ein Weiberheld par excellence. Und er hat mich schon mal aus seiner Wohnung geworfen”, setzte Rebecca an. Sie merkte dann aber schnell, dass Lou nicht ganz folgen konnte. “Moment, Moment, Ihr kennt Euch schon? Er hat Dich aus seiner Wohnung geworfen? Ich glaube, Du solltest weniger trinken, Rebecca.” Lou blickte Rebecca völlig überrascht an. Sie wollte gerade etwas Wein trinken, hielt aber in ihrer Bewegung inne, um alles zu verarbeiten. Normalerweise ging es bei Rebecca und den Männern nicht so schnell. Lou kam nicht mehr mit und runzelte die Stirn.
“Gut. Der Reihe nach. Wie viel Zeit hast Du?”, fragte Rebecca. “Dafür immer genug, weißt Du doch”, grinste Lou, die sich schon auf eine weitere Liebeskummer-Geschichte ihrer Freundin freute. Rebecca erzählte die ganze Geschichte ihres Kennenlernens und des Rauswurfs und endete mit dem Brief, den sie ihrer Freundin verächtlich auf den Tisch warf. “Oh mein Gott, warum ist bei Dir immer alles so kompliziert? Kannst Du Dich nicht einfach in einen normalen Mann verlieben wie andere Frauen auch?”, fragte Lou nicht ohne einen Anflug von Verzweiflung. “Ich bin nicht verliebt”, gab Rebecca leicht bissig zurück.
“Ist klar. Deswegen weißt Du ja auch nicht, wie Du auf seine Einladung reagieren sollst. Wenn Dir der Typ egal wäre, hättest Du die Einladung längst weggeworfen und auch mich nicht angerufen.” Lou überflog den Brief noch einmal. “Jetzt überlegst Du, ob Du annehmen sollst, obwohl Du ihn wegen der Geschichte damals verurteilst.” “Nicht nur wegen damals, dieser eine Abend war ebenfalls völlig daneben… Und dann so eine alberne Einladung zum Essen, noch dazu in seiner Wohnung.” “Okay Rebecca. Wenn jemand Mist gebaut hat, sollte er sich dafür entschuldigen. Das scheint er ja zu wollen, was aus meiner Sicht ein gutes Zeichen ist. Die Geschichte von damals war echt übel, allerdings hat sie nicht direkt mit Dir und ihm zu tun. Ich kann verstehen, dass ausgerechnet Dich solche Vorgänge nerven. Wir konnten ihm damals nichts nachweisen, was auch bedeuten kann, dass er in die Vorfälle gar nicht verwickelt war.”
“Es kann aber ebenso bedeuten, dass er Beweise hat verschwinden lassen, DAMIT Ihr ihm nichts nachweisen konntet. Und er konnte sich herauswinden oder herausquatschen. Der Typ ist zu allem fähig. Außerdem weiß er, dass er gut aussieht und setzt das auch völlig skrupellos ein”, entgegnete Rebecca.
“Du weißt doch: In dubio pro reo. Vielleicht hat er sich geändert. Zumindest ist er nicht noch einmal auffällig geworden”, sagte Lou. Rebecca verzog das Gesicht. “Ich weiß, das muss noch nichts heißen. Aber sollte nicht jeder eine zweite Chance erhalten?” “Na, die hat er ja ordentlich versiebt”, Rebecca konnte es sich einfach nicht verkneifen. “Rebecca, ohne die Vorgeschichte: Wenn er Dich einfach nur – ja, ich weiß, nur gefällt Dir nicht – in dieser Nacht abserviert hätte - würdest Du ihm dann eine Chance für seine Entschuldigung geben?”, fragte Lou noch einmal. “Wenn Du vielleicht einmal Deinen Stolz überwinden könntest?”, fügte sie leise hinzu.
“Du willst mich doch nicht etwa verkuppeln? Komm, lass uns lieber noch einen Wein trinken.” Rebecca hob ihr Glas an. “Lenk’ nicht ab. Morgen will ich eine Entscheidung von Dir hören”, gab Lou zurück. “Du weißt, dass Du mir damit schon jetzt die Nacht versaut hast, oder?”, grinste Rebecca. “Im Grund weißt Du es doch schon. Du traust Dich nur nicht, weil Du dann Deinen Gefühlen folgen würdest. Und das passt Dir ja in der Regel nicht.” Lou kannte ihre Freundin nur zu gut. “Ich werde ihn zappeln lassen…Am besten werde ich es nach Lust und Laune, ganz spontan, entscheiden”, beendete Rebecca das Thema. Ihre Laune hatte sich merklich gebessert.
Nick war nervös. Zum ersten Mal war er richtig, richtig nervös vor einem Date. Er war schon früh aus seinem Büro zurückgekommen, war ausgiebig mit Murphy im Park unterwegs gewesen, hatte geduscht und sich schon zweimal umgezogen. Er wollte nicht in seinem Business Outfit auftreten, allerdings auch nicht zu lässig wirken. Er hatte sich letztlich doch für einen Anzug entschieden, der aber nicht ganz so förmlich wirkte. Mittleres Grau, dazu ein weißes Hemd, keine Krawatte. Trotzdem verging die Zeit einfach nicht. Vor einem Date mit einer Frau nervös zu werden – so ein Gefühl kannte er nicht. Normalerweise war alles ein großer Spaß, eines ergab das andere. Sie gingen in Restaurants oder Bars – oft auch beides – und die Nacht endete fast immer bei ihr oder spontan in einem Hotel. Alles schön unverbindlich.
Eine Frau zu sich in die Wohnung einzuladen, noch dazu zu einem Abendessen - das kam recht selten vor. Eigentlich kam es so gut wie nie vor, wenn Nick ehrlich zu sich war. Was seine Situation noch verschlimmerte: Er hatte ihr die Entscheidung überlassen, seine Einladung anzunehmen. Die Ungewissheit, ob sie überhaupt zu ihm kommen würde, traf ihn doppelt so schwer. So entzog sich der weitere Verlauf des Abends seiner Kontrolle. Nick lief durch seine Wohnung, kontrollierte, ob Mrs Cox auch wirklich aufgeräumt hatte. Was für ein Quatsch. Natürlich hatte sie, und zwar gründlich. Stellenweise war soweit aufgeräumt, dass es fast so wirkte, als wenn die Räume gar nicht bewohnt wären, sondern Ausstellungszwecken dienten.
18.30 Uhr. Um 18.50 Uhr sollte der Caterer das Abendessen bringen. Nick saß in einem Sessel, wippte mit einem Fuß nervös auf und ab, scrollte auf seinem Handy noch durch ein paar Börsennachrichten und -charts. Die Klingel. Endlich! Er spurtete fast schon zur Tür, um den Caterer hereinzulassen. Nick dirigierte die Mitarbeiter zum Esstisch, wo sie den Tisch deckten, Schalen und Schüsseln platzierten. Alles war ganz in Weiß gehalten, Tischdecke und Servietten aus gestärktem Leinen. Selbst an die Blumendeko – weiße Rosen – hatten die Mitarbeiter gedacht.
Auf Kerzen dagegen hatte Nick verzichtet, es erschien ihm zu romantisch. Was Rebecca vielleicht falsch interpretieren könnte. Kaum waren die Mitarbeiter gegangen, überfiel Nick wieder seine Unruhe. Er konnte nichts mehr machen, ihm waren die Hände gebunden. Eine Situation, die er hasste wie kaum eine andere. Er starrte auf die große, altmodische Wanduhr im Küchenbereich, die so gar nicht zum modernen Stil zu passen schien. Als wenn er nur durch seine Blicke die Uhr beeinflussen könnte, dass Rebecca doch kommen möge.
Rebecca hatte noch ziemlichen Stress in der Redaktion gehabt, das Redaktionssystem war instabil und hatte für zeitliche Verzögerungen gesorgt. Oliver war bei einem Termin gewesen, deswegen musste sie ihn noch vertreten. Über der ganzen Hektik hatte Rebecca die Einladung fast vergessen. Erst kurz vor sieben Uhr war sie in ihrer Wohnung angekommen. Sie spielte mit Nicks Brief zwischen den Fingern. Wie sie es vorausgesagt hatte, würde es eine spontane Entscheidung werden, ob sie der Einladung folgen würde. Nach dem langen Tag in der Redaktion hatte sie Hunger, zum Essen war wieder nur wenig Zeit geblieben. Sie schaute an sich hinunter: dunkelblaue Hose, hellblauer Rollkragenpullover. Sie verspürte keine große Lust, sich umzuziehen. Mit einer blauen Blazerjacke wäre sie gut gekleidet. Sie schminkte sich dezent nach und suchte die Jacke aus ihrem Kleiderschrank. Als Rebecca sich vor dem Spiegel betrachtete, begann ihr Herz schneller zu klopfen – gegen ihren Willen. “Okay, Rebecca, dann mal auf in den Kampf”, sprach sie sich selbst laut Mut zu. Obwohl es ihr egal sein könnte. Er hatte Mist gebaut und etwas gutzumachen. Nicht sie. Inzwischen war es 19.20 Uhr.
Als Rebecca ihre Wohnung abschloss und die Stufen nach oben nahm, hatte Nick eigentlich schon aufgegeben. Okay, das war es dann wohl. Er fühlte etwas wie Enge in der Brust, eine Art stechenden Schmerz. Er konnte seine Enttäuschung nicht verhehlen. Sollte er sich selbst bemitleiden? Nick blickte auf seine Terrasse und weiter auf die Umrisse der Stadt, die er jedoch nur schemenhaft wahrnahm.
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