1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Nick dagegen war mit sich im Reinen. Familie und Kinder kamen für ihn nicht in Frage, ja selbst eine Heirat hatte für ihn nie zur Debatte gestanden. Was eine Frau auf ihn projizierte, war für ihn immer die Sache der Frau gewesen, nicht seine. Und er sprach auch nie darüber. Was in ihm vorging, kehrte er nie nach außen. Selbst Ben erzählte er nicht alles. Ben wusste nur deswegen so viel über Nick, weil sie sich schon ewig kannten.
Umso erstaunlicher waren auch für Ben die Neuigkeiten. Denn ausgerechnet Nick war jetzt auf eine Frau getroffen, die sich durch sein Aussehen, sein Auftreten nicht beeindrucken ließ. Selbst wenn sie beeindruckt war, konnte sie ihre Gefühle ebenso gut kontrollieren wie er. “Und dann benimmst Du Dich wie ein Idiot. Das ist ja mal wieder typisch. Dabei wäre die Zeit doch auf Deiner Seite gewesen.” Ben konnte es kaum fassen, nachdem Nick ihm ziemlich kleinlaut die Geschichte vom gestrigen Abend erzählt hatte.
Wie er mit dieser Ella erst zum Abendessen im “Trafalgars” gewesen war, das schickste, neueste und derzeit angesagteste Restaurant der Stadt. Wo Nick völlig problemlos, einfach nur durch seinen Namen, sofort einen Tisch erhielt. Wie sie noch in einer Bar gewesen waren, gefeiert hatten (was eigentlich?) und er sie anschließend – erwartungsgemäß – mit zu sich nach Hause genommen hatte. Ohne zu wissen oder nur zu ahnen, dass Rebecca dort, in seiner Wohnung, nicht nur auf seinen Hund aufpasste, sondern sogar noch auf einen Boten gewartet hatte, der bestimmte Dokumente nur an eine Person übergeben, diese Dokumente aber nicht in einen Briefkasten werfen durfte.
Dieser peinliche Moment der Überraschtheit, der Stille, als Nick Rebecca in einem Sessel fand, halb zugedeckt, mit Murphy auf dem Schoß. Sein Hund, der ihn schon längst gehört und erkannt hatte, sich freute, ihn begrüßte. Am liebsten hätte er Rebecca schlafen lassen, ihr fürsorglich die Decke über die Schultern gezogen. Wäre diese Ella nicht gewesen mit ihrem aufgeregten Kreischen. Als Rebecca von dem Lärm aufgewacht war, hatte er sie als seine Haushaltshilfe vorgestellt. Dabei hatte er ihr kaum in die Augen blicken können. “Und nehmen Sie bitte auch Ihren Hund mit”, hatte er ihr noch nachgerufen, als Murphy unschlüssig in der Wohnung blieb. Auch dieser Blick von seinem geliebten Hund hatte sich tief in ihn eingegraben, er würde ihn nie vergessen.
“Du bist wirklich ein Idiot”, wiederholte Ben noch einmal. “Danke, ich bin weder taub noch blöd, ich hab’s verstanden. Aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter”, sagte ein sichtlich geknickter Nick. Erst nach und nach war ihm das ganze Ausmaß dieser Nacht bewusst geworden. Da hatte er endlich eine interessante Frau getroffen – und was tat er? Er schickte sie weg wie eine Praktikantin. “Du bist doch sonst immer so überlegt, beherrscht und vorausschauend. Warum hast Du die beiden Frauen nicht einfach vorgestellt und die Situation erklärt?”, fragte Ben. “Es war alles viel zu peinlich. Rebecca hat doch sofort verstanden, was los war. Was hätte ich da noch groß erklären sollen?”, gab Nick hilflos zurück. “Außerdem wusste ich nicht, dass und warum sie in meiner Wohnung war.”
Ben nickte zustimmend. “Das habe ich mich auch gefragt. Warum wusstest Ihr alle voneinander nichts? Was ist denn schiefgelaufen?”, fragte er betont sachlich. “Weißt Du doch. Wenn jeder mit jedem quatscht, aber keiner die Übersicht behält. Also letztlich eigentlich meine Schuld, weil ich nicht ausreichend nachgefragt habe”, sagte Nick matt. “Dabei ist es an anderer Stelle noch glimpflich ausgegangen. Nicht auszudenken, wenn Rebecca herausbekommen hätte, was in dem Umschlag war. Ausgerechnet eine Journalistin allein in meiner Wohnung zu lassen, war schon ein starkes Stück”, gab Nick zu. “Letztlich war es wohl die Schuld von Mrs Cox. Sie hatte an dem Abend plötzlich keine Zeit, so lange zu warten, und hat einfach Rebecca um Hilfe gebeten. Hätte ich das gewusst, hätte ich es verhindert”, schloss Nick.
“Ich dachte, genau aus diesen Gründen hast Du Michael und der ist so gut, dass Du eben nicht ständig alles und jeden kontrollieren musst”, bohrte Ben weiter. “Jaa, Ben, das stimmt auch alles. Aber es ist jetzt passiert. Glaubst Du, Rebecca interessiert jetzt noch, wer mit wem gesprochen oder nicht gesprochen hat?” “Nein, sicher nicht”, gab Ben zu. Er wartete ab, bevor er weitersprach. “Hast Du versucht, sie zu erreichen?”, fragte Ben. “Ja sicher. Zigmal. Telefon, Messenger, Mail – sie reagiert nicht.” “Klar. Warum sollte sie auch. Du hast es nicht nur verbockt, sondern sie auch verletzt. Und zwar richtig.”
Nick schwieg bockig. “Passt sie noch auf Murphy auf?” Ein kurzes Nicken. “Scheint ja sehr tierlieb zu sein, wenn sie es nicht an Murphy auslässt. Hast Du mal darüber nachgedacht, selbst zu ihr zu gehen. Also, so ganz persönlich? Wenn Du Murphy zu ihr bringst oder abholst? Dann könnte sie Dir immerhin schlecht ausweichen.” “Sie kann durch den Türspion sehen, wer vor ihrer Tür steht. Wenn sie mich dort sieht, öffnet sie erst gar nicht oder sie knallt die Tür direkt zu.” Nick wand sich. “Und was sollte ich ihr denn sagen? Hallo, hier ist das Arschloch von oben, das sie gern zum Essen einladen möchte?” Sie mussten beide lachen.
“So ungefähr”, meinte Ben, “nur netter. Was hast Du ihr denn bisher geschrieben oder gemailt?” “Dass es mir leidtut, dass ich sie um Entschuldigung bitte und es wiedergutmachen möchte”, stammelte Nick. “Klingt nicht so überzeugend. Weißt Du, ob sie auch normale Post bekommt und liest?”, fragte Ben. Nick war verwirrt. “Wie normale Post? Was meinst Du?” “Na, normale Briefpost eben. Journalisten sind zwar heute stark digital vernetzt und erledigen vieles online. Manche Sachen muss man aber eben immer noch per guter, alter Briefpost entscheiden”, sagte Ben und grinste.
Langsam dämmerte es Nick. “Du meinst, ich soll ihr eine Einladung per Brief schicken. So richtig altmodisch.” “Ja. Dann kannst Du Dir überlegen, was Du sagen möchtest. Und Du könntest ihr schreiben, dass Du es ihr überlässt, ob sie die Einladung annimmt oder nicht, Du aber auf jeden Fall auf sie warten würdest. Zeit und Ort könntest Du ebenso festlegen und ihr schreiben.” “Ich wusste doch, dass es immer gut ist, mit Dir zu reden”, Nicks Stimmung besserte sich merklich, und er schenkte noch von dem Rotwein nach.
“Liebe Miss Hold,
nach wie vor tut es mir sehr leid, was letztens abends in meiner Wohnung passiert ist und wie ich reagiert habe. Ich möchte nicht, dass es so zwischen uns stehenbleibt. Bitte geben Sie mir die Chance, mich bei Ihnen persönlich zu entschuldigen: Ich lade Sie für Mittwoch, 19 Uhr, zu einem Abendessen zu mir ein. Wie Sie sich auch entscheiden, ich werde auf Sie warten. Auch wenn es den ganzen Abend dauert…
Herzlich Grüße
Nick Hutton
Nick hatte sich von seinem Assistenten Michael Büttenpapier besorgen lassen und den Brief per Hand mit Füller geschrieben. Altmodischer geht es ja kaum, dachte er. Aber wenn es hilft… Den Gedanken, diese Frau für immer vergrault zu haben, konnte er schon jetzt nicht ertragen. So hoffte er inständig, dass dieser Fall nicht eintrat. Nick klebte den Umschlag zu und schrieb die Adresse ebenfalls per Hand. Er rief seinen Assistenten Michael. “Hören Sie Michael. Das hier ist ein sehr, sehr wichtiger Brief. Kaufen Sie eine Briefmarke, kleben Sie sie drauf, geben Sie den Brief aber keineswegs in die normale Post. Fahren Sie zu der Adresse und werfen Sie den Brief selbst ein. Ich will, dass Sie das persönlich erledigen”, schärfte Nick ihm ein.
Michael schaute auf den Brief. “Aber, das äh, ist doch ihre eigene Adresse, Mr. Hutton. Und der Absender fehlt”, sagte er, etwas unsicher. “Egal. Tun Sie einfach, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Und melden Sie sich sofort, wenn es erledigt ist.” Mit dem Brief in der Hand entfernte sich Michael aus dem großen Büro. In den vergangenen zwei Tagen war sein Boss richtig komisch geworden. Nicht nur, dass er starken Stimmungsschwankungen unterlag, er lebte seine Launen spürbar aus. So etwas hatte es bis vor kurzem bei ihm nicht gegeben. Er kannte Nick Hutton als äußerst beherrschten, vorausschauenden Menschen, der fast nie Gefühle zeigte, dafür aber stets alles unter Kontrolle hatte. Stress, Ärger oder Vorwürfe schienen an Nick Hutton einfach abzuperlen.
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