Christiane Schlötzer
Istanbul – ein Tag und eine Nacht
Ein Porträt der Stadt in 24 Begegnungen
Für Egon Scotland, der mich nach Istanbul entführte
Ich danke dem Istanbuler Buchautor und Kolumnisten Selçuk Caydı für seine zahllosen Anregungen, Ideen und Gespräche in mehr als zehn Jahren Zusammenarbeit als Korrespondentin für die Süddeutsche Zeitung und den Zürcher Tages-Anzeiger in der Türkei. Das gilt auch für dieses Buch.
Der Kulturakademie Tarabya in Istanbul und ihrem kreativen Team danke ich für finanzielle und ideelle Unterstützung bei den Recherchen für dieses Buch im Winter 2020/21.
Meinen Freundinnen und Freunden in Istanbul danke ich dafür, dass sie meinen Wunsch, immer wieder in ihre Stadt zurückzukehren, lebendig halten.
Der Morgen – Sabah Der Morgen – Sabah Im Kopf den Rausch vergangener Feste . Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern , Das Sausen der Südwinde legt sich . Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen … Orhan Veli (1914–1950)
Im Kopf den Rausch vergangener Feste .
Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern ,
Das Sausen der Südwinde legt sich .
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen …
Orhan Veli (1914–1950)
Vorwort
6 Uhr
Erwachen
Satu Önder – Die Frau des Imams
7 Uhr
Treffpunkt Taksim
Unterwegs zu Osman Kavala, dem Mäzen hinter Gittern
8 Uhr
Saubermachen
Wer macht den Dreck weg? –İlker Aslan, der Bosporus-Reiniger
9 Uhr
Treppensteigen
Siebter Stock ohne Aufzug – Der Architekt Erdoğan Altındiş spricht über Aufgänge und Abstürze
10 Uhr
Der Macht so nah
Cuneyd Zapsu – Der Türöffner, nicht nur für Recep Tayyip Erdoğan
11 Uhr
Dazugehören
Ethel Rizo: Jüdin, Griechin, Türkin – eine frühe Mahnung, die Geschichte der Stadt nicht zu vergessen
Lasst uns die Erde den Kindern übergeben ,
wie einen riesigen Apfel, wie ein Brot, frisch aus dem Ofen ,
damit sie wenigstens einen Tag lang satt werden .
Nazım Hikmet (1902–1963)
12 Uhr
In der Küche
Der Koch Cem Ekşi und die Suche nach den Ursprüngen des Geschmacks
13 Uhr
Pause im Gerichtssaal
Der Anwalt Murat Deha Boduroğlu im Labyrinth der Justiz
14 Uhr
Fluchtgedanken beim Kaffee
Der Arzt Sinan will das Land verlassen
15 Uhr
Die Türkei auf der Couch
Besuch bei dem Psychotherapeuten Zaza Yurtsever
16 Uhr
High Tea im Pera Palace
Wann hätten sie gern gelebt, Herr Aktin? – In der Belle Époque!
17 Uhr
Da war doch was?
Tatlı, eine Gezi-Aktivistin erinnert sich
Irgendwann aufwachen in der Nacht
Und der Dunkelheit lauschen!
Das geschieht aus Liebe
Eintauchen ins Flimmern der Sterne
Wenn die Lieder das Herz brechen?
Das geschieht aus Liebe …
Sennur Sezer (1943–2015)
18 Uhr
Ganz frei
Die Kurdin Helin erzählt, wie die Literatur sie rettete
19 Uhr
Abendschule im Hinterhof
Wo der Unternehmer Alper Kanca sich jede Woche reinwäscht
20 Uhr
Vernissage
Der Galerist Moiz Zilberman spricht über die Liebe zur Kunst der Gegenwart
21 Uhr
Einmal in Istanbul leben
Ein deutsch-türkisches Lehrerpaar weiß, wie sich dieser Traum anfühlt
22 Uhr
Bollywood war auch schon da
Wo türkische TV-Serien entstehen und Buse Yıldırım nicht nur Filmgeschichte bewahrt
23 Uhr
Kein richtiges Leben im falschen
Erst Mädchen, jetzt Mann – Vom Mut, sich selbst zu finden
Mitternacht – Gece yarısı
Der Teufel sagt: »Mach das Fenster auf ,
Schrei, schrei, schrei bis zum Morgen.«
Orhan Veli (1914–1950)
24 Uhr
Einen Putsch verschlafen
Die Politikprofessorin Nermin Abadan-Unat war oft die Erste, die etwas wagte, nun ist sie mit hundert Jahren oft die Letzte, die sich noch erinnert
1 Uhr
Nachtgedanken
Banu Cennetoğlu – eine Künstlerin und ihre Geister
2 Uhr
Hausarrest
Der Journalist Şahin Alpay kann nicht schlafen
3 Uhr
Die im Dunklen sieht man doch
Hüseyin Fevzi Marangoz und das Leben der Paradiesvögel
4 Uhr
Mond hinter Gittern
Der Schriftsteller Ahmet Altan berichtet aus einer Gefängniszelle
5 Uhr
Die dunkelste Stunde ist die vor Sonnenaufgang
Wie ich den Dichter und Emigranten Konstantinos Kavafis in Istanbul suchte – und eine junge geflüchtete Ägypterin fand
Literaturhinweise
Dies ist ein Stundenbuch. Es erzählt von einem fiktiven Tag in Istanbul, in Begegnungen mit Menschen, die mir ihre Lebensgeschichten anvertraut haben. Sie sind Teil einer großen zeitgenössischen Geschichtserzählung – ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Vielfalt erinnert an die Farben eines türkischen Kelims, in den viele Muster eingewebt sind. Einige Geschichten verlangen nach dem Schutz der Nacht, andere nach der Helligkeit eines sonnendurchfluteten Morgens am Bosporus.
Istanbul ist die Mitte der Türkei und liegt doch an ihrem Rand. Die Stadt ist so alt, dass sie ihr eigenes Alter vergessen hat, und sie wird jeden Tag neu erfunden. Sie betört den Neuankommenden mit ihrer Grandezza, von »betäubenden Eindrücken« schwärmte der italienische Reisende Edmondo De Amicis im 19. Jahrhundert. Die Hymnen auf die Stadt mit den vielen Namen – Byzanz, Neues Rom, Konstantiniyye, Stambul, Konstantinopel, Istanbul – sind bis heute nicht verstummt. Wer aber länger bleibt, der ahnt bald, welchen Preis ihre Bürgerinnen und Bürger im 21. Jahrhundert dafür zu zahlen haben, in einer modernen Megalopolis zu leben. In Trabantenstädten, von denen es bis zur Hagia Sophia und zur Galatabrücke eine Halbtagsreise ist. Die türkische Gesellschaft ist von scharfkantigen Gegensätzen geprägt, und dies nicht erst, seit Recep Tayyip Erdoğan Anfang der 2000er Jahre eine »neue Türkei« erfand. Eine meiner Erzählerinnen kann dies bezeugen, sie ist älter als die Türkische Republik, die am 29. Oktober 1923 gegründet wurde.
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