Vasil Bykaú - Eine Nacht
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Vasil Bykaú
Eine Nacht
1
Urplötzlich waren die deutschen Stukas da.
Hinter den von Werfergranaten zerfetzten, spitzgiebligen Dächern hervor tauchten ihre schnellen, dünn-schwänzigen Schatten auf und fielen mit lautem, hysterischem Heulen über die Stadt her. Iwan Waloka verlangsamte seinen Lauf, blickte erregt zum raucherfüllten Himmel auf, und als er bei dem vordersten Flugzeug sich die ersten Bomben lösen sah, warf er sich deckungsuchend neben ein eisernes Gitter längs der Straße. Der nicht mehr junge, breitschultrige Soldat mit der Mütze und der engen, alten Feldbluse lag angespannt da und wartete.
Die Bomben detonierten in der Grünanlage hinter der Umzäunung.
Die Erde erbebte, eine heiße Welle schlug Waloka in den Rücken, in den Ohren dröhnte es schmerzhaft. Ganz in der Nähe klirrte etwas kurz und hell, und gleich darauf waren die Straße, die Häuser und die Grünanlage in graue Staubwolken gehüllt.
Fünfhundert Kilo mindestens, dachte Waloka, während er den Sand ausspuckte. Ringsum, auf dem Gehsteig, in der Anlage und auf dem Fahrdamm, prasselten Steinbrokken hernieder, hochgeschleuderte Asphaltfetzen klatschten auf die Erde zurück, die Staubwolke, in der dicht an dicht Akazienblätter herumwirbelten, sank allmählich zusammen. Irgendwo oben hämmerte ein Maschinengewehr, sofort spritzte von einem splitterzersiebten grauen Gebäude der Putz, und ein gelbes Leuchtspurgeschoß, groß wie eine Bohnenhülse, raste, gegen die Steine knallend und torkelnd, wild über den Gehsteig. Schon setzten die Stukas heulend zum nächsten Angriff an.
Er mußte weiter.
In der Anlage tauchten zwischen den schlanken Bäumen die geduckten, schweißnassen Rücken der Kameraden auf, jemand sprang über das Zaungitter und stürmte zur anderen Straßenseite hinüber. An einem dunklen Flicken auf der Schulter erkannte Waloka einen Gruppenführer aus seinem Zug, einen Unterfeldwebel. Erfreut, einen von den eigenen Leuten vor sich zu haben, sprang Waloka auf und folgte ihm gebückt.
Mit wenigen Sätzen hatte der Unterfeldwebel die Straße überquert und verschwand beim erneuten Heulen der Stukas in einem Torweg. Waloka war ein wenig zurückgeblieben. Hinter ihm donnerte eine Detonation, und als er, außer Atem, unter das rettende Gewölbe flüchtete, hätte er vor Überraschung beinahe aufgeschrien — vom Hof her kamen zwei Deutsche geradewegs auf ihn zugelaufen. Waloka stolperte, prallte zurück, aber auch die Deutschen hatten ihn hier offenbar nicht erwartet. Der vordere rief dem anderen etwas zu, für einen Moment blitzten in seinen weit aufgerissenen Augen Schreck und Erstaunen. Im selben Augenblick zog Waloka, ohne zu zielen, durch. Die MPi tanzte von dem langen Feuerstoß, der Deutsche ließ den Karabiner fallen und schlug mit dem Gesicht aufs Pflaster. Sein nagelneuer Stahlhelm kurvte laut scheppernd über den Gehsteig.
Wohin der andere verschwand, sah Waloka nicht.
Ringsum krachten Detonationen, irgendwo stürzte polternd ein Gebäude zusammen, in den Torweg wälzten sich Wolken roten Ziegelstaubs. Waloka duckte sich, sprang über den ausgestreckten Arm des Deutschen hinweg, an dem noch die beringten, knochigen Finger zuckten, und stürmte durch eine offene Tür. Drinnen führten Stufen nach unten. Waloka trat in der Eile fehl und stürzte der Länge nach ins Dunkel. Die Maschinenpistole, die ihn überholt hatte, schlug klirrend auf.
Waloka fand sich in einem Keller wieder.
Hier war es still und dunkel. Der kalte Zementfußboden kühlte angenehm seinen erhitzten Körper. Waloka rieb sich die geprellten Knie, horchte, stand langsam auf, tat einen Schritt und noch einen, bückte sich, um die verlorene Waffe zu suchen, und zuckte plötzlich zusammen — seine Finger waren auf ein Paar staubige, warme Stiefel gestoßen. Er erschauerte, die Stiefel entglitten seinen Händen, und im selben Moment stieß ihm etwas Stumpfes und Schweres in den Rücken. Er stöhnte auf, schnappte nach Luft und bekam im Dunkeln ein Paar Beine zu fassen. Ein Deutscher! durchzuckte es ihn.
Der Gegner verlor das Gleichgewicht, aber seine Hände erhaschten noch Walokas Kopf und schlössen sich um seinen Hals. Waloka spannte alle Kräfte an, um sich loszureißen, doch vergebens. Der Gegner beugte ihm den Kopf immer tiefer und versuchte, mit den nägelbeschlagenen Stiefeln auf dem Fußboden scharrend, ihn zu überwältigen. Nachdem sich Iwan vom ersten Schreck erholt hatte, krallte er sich in der Uniform des Deutschen fest und versetzte ihm, nachdem er mit den Füßen einen Halt gefunden hatte, mit der Wucht seines ganzen Körpers einen Stoß.
«Uch!»
Beide stürzten schwer zu Boden. Der Schmerz im zusammengepreßten Hals ließ Iwan keuchen, doch er spürte, wie die Knochen des Gegners unter ihm krachten. Er lag jetzt oben, suchte in der Dunkelheit mit den Beinen nach einem zuverlässigen Halt und krallte sich in die Hände des Gegners, die seinen Hals zuschnürten.
Nach einer Minute oder auch weniger hatte er seinen Kopf unter äußerster Anstrengung befreit und den Deutschen mit einem heftigen Ruck der Länge nach auf dem Boden ausgestreckt. Noch ein wenig ungläubig spürte Waloka, daß er stärker war als sein Gegner; nur daß der anscheinend gewandter war, denn kaum gelang es Waloka, sich aus der Umklammerung der Hände zu lösen, als sie ihm auch schon wieder an der Kehle saßen.
Vor Schmerz brachte Waloka nur einen heiseren Laut heraus. Für einen Moment erschlaffte er, und der Deutsche wand sich unter ihm hervor, stieß ihn mit den Beinen zur Seite und war oben.
«Aaa! Du Aas! Uuch!» krächzte Iwan.
Instinktiv verkrallte er sich in die Hände, die seinen Hals zusammenpreßten, und zerrte sie von sich weg, um die tödliche Umklammerung zu lösen. Schließlich gelang es ihm mit letzter Kraft, sich unter dem Gegner hervorzuwinden, er riß die eine Hand von seinem Hals los, die andere rutschte daraufhin tiefer und packte ihn am Kragen seiner zugeknöpften Feldbluse.
Waloka rang nach Luft. Die Atemnot drohte ihm die Brust zu sprengen, ihm war, als würde im nächsten Augenblick sein Kehlkopf bersten. Da packte ihn die Angst, auf so törichte Weise ums Leben zu kommen. Mit der Kraft der Verzweiflung stemmte er die Knie gegen den Boden, spannte alle Kräfte an und drehte den einen Arm des Gegners, der ihm am meisten zu schaffen machte, mit beiden Händen jäh zur Seite. Der Kragen der Feldbluse krachte in den Nähten, etwas schlug dumpf auf den Boden, der Gegner keuchte; seine Stiefel scharrten wie wild auf dem Beton.
Das verschaffte Waloka Erleichterung. Er bekam die Kehle frei und gewann, wie es schien, allmählich die Oberhand über den Deutschen. Wut überkam ihn, der leidenschaftliche Drang zu töten — das verdoppelte seine Kräfte. Strampelnd und schnaufend tastete er mit den Füßen nach der Wand, stemmte sich dagegen und warf sich mit dem ganzen Körper auf den Deutschen, so daß dieser wieder unten lag. Waloka knurrte etwas vor Schadenfreude und bekam, immer mehr in Raserei geratend, endlich den sehnigen Hals des anderen zu fassen.
«Äääh!» brüllte der Deutsche, und Waloka spürte, daß er die Oberhand behalten würde.
Sein Gegner ließ in seinen Anstrengungen merklich nach und verteidigte sich nur noch, indem er Walokas unerbittliche Hände umklammerte. Waloka wurde sehr von dem Beutel mit den Magazintrommeln behindert, der unter den Deutschen geraten war und ihn mit dem Riemen festhielt, als sei er angekettet. Bei dem Geraufe verlor Waloka erneut den Halt, die Wand war plötzlich weg, und seine Füße schurrten über den glatten Boden. Doch mit äußerster Kraftanstrengung hielt er sich oben und gab den Gegner nicht frei.
Verzweifelt winselte und röchelte der Deutsche, riß an Walokas Händen, versuchte hochzukommen, stieß mit dem Kopf auf den Beton und warf sich heftig hin und her. Waloka ließ jedoch nicht locker, drückte ihn mit der Schulter nieder, schloß ihm die Hand fester um die Kehle und preßte sie zusammen.
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