1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Einen Moment überlegte sie, ob es eine gute Idee war, durch den Park zu laufen. Sie entschied sich für die Straßen. Welchen Weg sie genau genommen hatte, konnte Rebecca gar nicht sagen, als sie fast eine Stunde später wieder vor ihrer Wohnung stand. Auch Murphy hatte gegen Ende nicht mehr die richtige Lust am Joggen gehabt. In ihrer Wohnung ging er ins Wohnzimmer und streckte sich auf seiner Decke aus. Sollte sie noch duschen? Um diese Uhrzeit? Egal. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Sie ließ sich direkt in ihr Bett fallen.
Nach einer kurzen, unruhigen Nacht mit vielen unschönen Träumen riss der Wecker Rebecca um Punkt 7 Uhr aus dem Schlaf. Sie quälte sich aus dem Bett. Der Himmel war blau, es schien ein schöner Tag zu werden. Ein schöner Tag! Danach war ihr so gar nicht. Warum konnte es nicht regnen? Das würde wesentlich besser zu ihrer Laune passen. Im Wohnzimmer erwartete Murphy sie. Immerhin ein Lichtblick. Rebecca öffnete die Terrassentür, damit der Hund im Garten sein Geschäft verrichten konnte.
Missmutig machte sie sich einen Kaffee. Schon der Lärm der Kaffeemaschine nervte Rebecca. Ebenso genervt mischte sie sich ihr Müsli dazu. Murphy trabte aus dem Garten in die Küche. Diese leichten, federnden Schritte bewunderte Rebecca jedes Mal aufs Neue. Der Terrier blickte sie erwartungsvoll an. Endlich verstand sie. “Klar, Du willst auch frühstücken.” Er hatte mittlerweile einen eigenen Napf in der Küche, den Rebecca jetzt mit Trockenfutter füllte. Geräuschvoll kaute Murphy, machte sich anschließend über den Wassernapf her. “Du bist so ein toller Hund. Wie kannst Du nur ein solches Herrchen haben, das Dich bei erstbester Gelegenheit im Stich lässt?” Nachdem Rebecca ihr Müsli gegessen, ihre Nachrichten durchgesehen und beantwortet hatte, duschte sie. Danach brachen sie zum Morgenspaziergang auf.
Beide waren gerade zurückgekehrt, als es an Rebeccas Tür klingelte. Rebecca zuckte zusammen. Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht. Irgendwie musste Murphy wieder zu seinem Herrchen zurückkommen. Sie konnte ihn ja nicht vor dessen Wohnungstür anbinden. Rebecca war jedenfalls fest entschlossen, mit diesem Menschen kein Wort mehr zu sprechen, ihm am besten gar nicht mehr zu begegnen. Aber der Hund… Es klingelte ein zweites Mal. Vorsichtig setzte Rebecca Fuß um Fuß auf das Parkett, um sich nicht durch Holzlaute zu verraten. Sie kam sich völlig albern vor, wie sie sich durch den Flur bewegte - in ihrer eigenen Wohnung! So schlich sie zu ihrer Wohnungstür, um einen Blick durch den Spion zu werfen.
Rebecca seufzte erleichterte, als sie Mrs Cox vor ihrer Tür erkannte. “Guten Morgen, Mrs Cox.” Rebecca hatte die Tür mit einem Schwung geöffnet. Sie blickte die ältere, freundliche Dame prüfend an. “Ich wollte Murphy abholen. Mr Hutton wird ihn mit ins Büro nehmen”, sagte sie lächelnd. Wenn sie über den Vorfall in der Nacht Kenntnis hatte, konnte sie es gut überspielen. “Möchten Sie hereinkommen?” “Vielen Dank, nein. Ich bin etwas in Eile. Aber in den nächsten Tagen komme ich gern einmal wieder zu Ihnen”, erwiderte sie freundlich. Rebecca konnte ihr nicht böse sein, ebenso wenig wie dem Hund. Obwohl sie eigentlich der Haushaltshilfe den Gefallen getan hatte, auf den Boten und anschließend auf diesen Scheißkerl zu warten. Mrs Cox wich nicht nur Rebeccas Einladung aus, sondern auch ihrem Blick. Also doch, frohlockte Rebecca in Gedanken. Dir ist nicht wohl bei der ganzen Sache. Mrs Cox nahm Murphy an die mitgebrachte Leine und verabschiedete sich schnell. Zu schnell, wie Rebecca befand. Erst später fiel ihr ein, dass sich Mrs Cox gar nicht danach erkundigt hatte, ob mit dem Boten und dem Umschlag alles geklappt hätte. Dabei war ihr doch gestern noch so sehr daran gelegen. Na ja. Vielleicht hatte sie den Umschlag auch gefunden und die Sache für sich abgehakt.
Rebecca setzte sich wieder in ihr Arbeitszimmer und arbeitete an ihrem Laptop den schier unüberschaubaren Wust an Dokumenten durch, den ein Informant ihnen zugespielt hatte. Super wichtig und super exklusiv sollten die Daten sein. Im Moment sah Rebecca allerdings nur super viel Arbeit. Gut, dass noch mehrere Kollegen in anderen Ländern mithalfen, die Daten zu ordnen und zu strukturieren. Rebeccas Handy rappelte wieder vor sich hin. Ein Blick verriet ihr, wer der Absender der Nachricht war. Der Mann, mit dem sie nie wieder ein Wort wechseln würde. Die wievielte Mitteilung es war – Rebecca zählte nicht mit. Selbst per Mail hatte er es versucht. Woher hatte er ihre Mailadresse und Handynummer überhaupt? Je länger Rebecca darüber nachdachte, desto sichererer war sie sich, dass sie ihm die Daten nicht gegeben hatte. Aber Mails ließen sich ebenso leicht löschen wie andere Nachrichten.
Dennoch ließ die Frage Rebecca keine Ruhe. Ihre diversen Accounts waren so gesichert, dass private Kontaktdaten nicht angezeigt wurden. Hätte jemand bei diversen Netzwerken auf ihr Profil geklickt, hätte sie einen Hinweis erhalten. Die kontrollierte sie regelmäßig. War die Mailadresse vielleicht doch ein Hinweis darauf, dass sie ihn kannte? Eigentlich hatte sie keine Zeit, aber Rebecca begann, ihre privaten Archive und die des Verlages zu durchsuchen. Und tatsächlich: Bei einer Datenbankabfrage erhielt sie mehrere Treffer zu “Nick Hutton”.
Angespannt las Rebecca die fünf bis sechs Jahre alten Geschichten. Zusammen mit David und Lou hatte sie damals an einer Story über Problemen bei der Altersvorsorge gearbeitet. Ein Nick Hutton kam in dieser Geschichte immer mal wieder vor, aber da sie damals keine Belege für seine direkte Beteiligung gefunden hatten, war er immer eine Randfigur geblieben. Außerdem war Rebecca damals selbst nur eine Art Nebenautorin gewesen, weil es mehr um einen Wirtschaftsskandal gegangen war. Bestimmte Finanzmanager waren durch fragwürdige Beratungspraktiken bei Altersvorsorgeprodukten aufgefallen. Politiker taten sich – wie meistens in Wirtschaftsfragen – nur durch Untätigkeit und Unwissen hervor.
Der politische Anteil war auch damals schon ihr Part gewesen. Rebecca starrte gebannt auf den Monitor, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und stieß hörbar die Luft aus. Sie schaute sich die Fotos von damals genauer an. Irgendwie sah dieser Kerl vor fünf Jahren noch ganz anders aus, eher Typ windiger Vertreter. Die Haare waren auch damals schon schwarz, aber viel länger. Und offenbar hatte er sein Haar mit viel Gel getragen. Das erklärt auch, weshalb sie ihn nicht direkt erkannt hatte.
Denn ihm hatte die Zeit deutlich geholfen, was sein Aussehen anging, das musste Rebecca bei allem Ärger anerkennen. Sein Gesicht erschien wesentlich schmaler, die Wangenknochen traten dadurch markanter hervor. Ein paar Strähnen fielen ständig aus seinem Seitenscheitel, die die eigentlich hohe Stirn überspielten. Die grünen Augen fielen damals nicht so stark auf, was allerdings auch den Fotos geschuldet sein könnte. “Okay, Nick Hutton, das war’s dann endgültig.” Rebecca fand sich selbst komisch, sie klang, als wenn sie sich Mut zuspreche müsste. Ein Typ, der andere abzockte, die hart für ihr Alter arbeiten mussten, um überhaupt etwas sparen zu können, was so ziemlich das Letzte, was Rebecca wollte.
“Diese Frau scheint Dich ja nicht mehr loszulassen.” Ben konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ausgerechnet Nick. Der sonst immer so selbstsichere, souveräne Nick, der eigentlich jede Frau bekam - ob er sie wollte oder nicht. Die meisten ließen sich schnell durch seinen Charme einnehmen, durch seine Gewandtheit und Höflichkeit. Was sie aber nicht wahrnahmen, waren seine Spielernatur und seine Konsequenz. Es bereitete Nick Vergnügen, mit Frauen zusammen zu sein, aber von seiner Seite blieb es immer unverbindlich. Bis sie merkten, dass ihre Hoffnung auf die große Liebe nicht auf Erwiderung stieß, war es meistens schon zu spät. Zurück blieben enttäuschte, manchmal auch verletzte Frauen.
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