Am Automaten in der Kantine standen Dirk Spannhof und Carlos Laurenzo zusammen. Beide unterhielten sich über das Smarty, welches der letztere in der hohlen Hand hielt. Laurenzo schien wohl ein ziemlich aktuelles Gerät zu besitzen, denn Dirk ließ sich irgendwelche Funktionen erklären, die ihm neu erschienen. Normalerweise brühte Mikael seinen Kaffee immer frisch auf. Ulf Metzler, mit der er seinen Arbeitsraum teilte, war außer Haus. Bei einer Person lohnte sich der Einsatz ihres Kaffeekochers nicht. Abgestandener Kaffee, der stundenlang in einer Kaffeemaschine brodelte, war Knoop ein Graus. Er wollte seine Kaffeedurst schnell befriedigen, aber der Kaffeeautomat arbeitete ihm heute zu langsam. So schielte er zu den beiden Technikfreaks hinüber. Er verstand nur wenig davon, was die beiden an Informationen austauschten. Ein, zwei Mal versuchte er durch Fragen mit den beiden in ein Gespräch zu kommen, aber Spannhof und Laurenzo waren so beschäftigt, dass sie ihn überhaupt nicht wahrnahmen. Knoop fühlte sich fehl an Platze und schaute nach seinem Kaffee. Spannhof direkt anzusprechen und nach seinem aktuellen Arbeitseinsatz zu fragen, verbot ihm sein Stolz. Er gab diesen Einfall sofort auf, wie er entstand. Zudem beachteten die beiden Technikfreaks ihn nicht. Dampfend und zischend spuckte der Automat den letzten Rest des durch die gemahlenen Bohnen gepressten heißen Wasser in den Becher und beendete gurgelnd seine Aufgabe. So machte Knoop noch ein paar belanglose Bemerkungen, die so wie so keiner hörte, und ging in sein Zimmer zurück.
Erneut studierte Knoop seine Stichworte. Einige Punkte strich er heraus, die ihm als zu rechtsbeugend erschienen. Er war sich im klaren, er musste Unruhe in die Szene bringen. Am besten erschien ihm hier der andere MC, von dem Metaller gesprochen hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm der Name einfiel, den Metaller ihm genannt hatte. Richtig, Satan Sons war die Bezeichnung gewesen. Nur, wenn sich die Sculls und die Satan gegenseitig beharkten, sah er Möglichkeiten, an Informationen zu kommen. Denunziation schien ihn hier der erfolgversprechende Weg zu sein. Am liebsten hätte er Motorräder in die Luft gesprengt, Reifen zerstochen, oder eine Scheune in Winkelhausen angesteckt, um diese Schandtaten dann der anderen Seite in die Schuhe zu schieben. Mittel, die fraglos einen Krieg zwischen den beiden Gruppen ausgelöst hätten. Aber dies war illegal und würde kurz oder lang herauskommen. Nein, es war sein Ehrgeiz, mit gesetzlichen Mitteln sein Ziel zu erreichen. Er war überzeugt, er konnte diesen Weg erfolgreich beschreiten. Allerdings, Lücken des Gesetzes garantierten nicht nur Vorteile für den Verbrecher, sie galten auch für ihn.
Das Klingeln auf Seiten des angerufenen Apparates wurde von der Hörmuschel wiedergegeben. Der Ruf ging durch, aber auf anderen Seite ging keiner ans Telefon. Der Melderuf erschallte periodisch. Knoop klopfte ungeduldig mit dem Schreiber auf die Tischplatte. Er war sich sicher, jemand musste an der anderen Leitung sein. Er trank einen Schluck Kaffee. Er hatte gerade seinen Mund mit dem herben Getränk gefüllt, als sich am anderen Ende der Leitung jemand unwirsch meldete.
„Ja?“ Die Stimme war außer Atem.
Knoop verschluckte sich und hustete einen Teil der Flüssigkeit in seine Hand.
„Wer ist dort? ... Hey, melden Sie sich doch!“ Die Stimme klang nun wirklich ungehalten.
„Entschuldigung! Knoop hier. Ist dort Metaller?“ Seine Stimmbänder bemühten sich, normal zu klingen. Mehrmals räusperte er sich, bis er sich im Hals wieder wohler fühlte.
„Ach, Knoop. Sie sind´s. Ich dachte, so ein Spaßvogel wollte mich auf den Arm nehmen, weil sich keiner meldete. Ich muss erst einmal durchatmen. Komme gerade von einer Besprechung und höre mein Telefon die ganze Zeit bimmeln. Da bin ich gelaufen. Na ja. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Was kann ich für Sie tun, Kollege Knoop?“
Knoops Stimme hatte sich gefestigt. „Entschuldigung. Ich habe mich am Kaffee verschluckt. Aber jetzt geht’s wieder. Herr Metaller, ich habe da eine Frage. Planen Sie in absehbarer Zeit eine Razzia gegen die White Sculls in Rheinhausen?“
„Ach, sind das die Brüder, welche die Nutte getötet haben sollen?“
„Ja. Ich war bei denen in Rheinhausen. Sie waren wenig kommunikationsfreudig. Ich dachte, wenn wir denen die Geschäfte erschweren, dann redet vielleicht der ein oder andere.“
Metaller schwieg. Nur ein Räuspern war zu hören. „Ich glaube, Sie versprechen sich zu viel davon. Aber das ist ja Ihre Sache. Nun gut, die Razzia. Wissen Sie, so mirnichts dirnichts ist eine Razzia nicht durchzuführen. Das wissen Sie doch. Das müssen wir vorbereiten.“
Die Leitung schien tot zu sein, als warte Metaller auf eine Antwort. Auch Knoop überlegte. Er war enttäuscht. Er hatte auf einen baldigen Termin gehofft. Nun löste sich alles in Luft auf.
„Wie lange dauert denn eine solche Vorbereitung?“ Mikael wollte den Gedanken nicht kampflos beerdigen.
Metaller lachte. „Vierzehn Tage bestimmt, wenn nicht länger. Planung. Genehmigung. Sie wissen ja.“
Knoops Enttäuschung spiegelte sich in seiner Stimme. „Na, dann kann man nichts machen. Ich melde mich dann wieder.“ Er wollte gerade auflegen, als er Bruno Metallers Stimme hörte. Blitzschnell wanderte der Hörer an sein Ohr. „Ich habe einen Moment nicht aufgepasst. Was haben Sie gesagt?“
„Ich sagte gerade, wenn es Ihnen um das Kennenlernen der Szene geht, dann habe ich da etwas für Sie. Wir führen morgen eine Razzia bei den Satan Sons durch. Ist noch geheim. Bitte reden Sie darüber nicht.“
Knoop atmete durch. „Bei den Jungs aus Lirich? Natürlich sage ich nichts. Darauf können Sie sich verlassen. Ich würde gerne dabei sein. Wann geht es morgen los?“
Mikael ließ sich von Metaller in groben Zügen erklären, wie der morgige Ablauf geplant war, welche Objekte durchsucht werden mussten und wo er sich einzufinden hatte. Dann trennte er die Verbindung.
Lange Zeit starrte Knoop auf das beschriebene Blatt, welches vor ihm lag. Eine andere Situation erforderte ein anderes Vorgehen. Als sein Plan in seinem Kopf entstand, brauchte er keine Notizen mehr zu machen.
Duisburg Röttgersbach, 23. April
Es musste geregnet haben. Als Knoop am Präsidium in seinen Audi A1 gestiegen war, liefen die Tropfen wie Schnüre an den Scheiben herunter. Sie hafteten immer noch an Scheibe und dem blauen Metalliclack als er sich seinem Haus näherte. Es war schon dunkel, als Knoop in die Auffahrt zu einer Garage einbog. Die Scheibenwischer bewegten sich im Unterberechungsmodus. Bei jeder Bewegung über das Glas erschien ein undurchsichtiger Schleier, der sich aber bald auflöste. Dies erinnerte Knoop daran, die Dieselablagerungen auf der Windschutzscheibe langsam doch einmal zu entfernen. Der Wagen seiner Frau Christel parkte in der Garage. Das bedeutete, er musste sein Fahrzeug unter dem Carport abstellen.
Kaum hatte er die Haustüre geöffnet, als seine Tochter auf ihn losstürmte. „Papa, Papa, ich habe das Handy von Oma. Als er sich bückte, um den Begrüßungskuss entgegenzunehmen, hielt sie ihm den Apparat entgegen. Und das so dicht vor seine Augen, dass er überhaupt nichts erkennen konnte. Er nahm AnnaLena auf den Arm und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
„Na, dann zeige mir mal, was man damit so alles machen kann?“
AnnaLena strampelte so in seinen Armen. Er konnte sie nicht festhalten, er musste sie absetzen. „Papa, die kann...“ Wie ein Tropensturm kamen die beschreibenden Worte aus dem Munde der Kleinen. Die Worte kamen zu schnell und waren überhastet, man konnte sie überhaupt nicht verstehen. Knoop jedenfalls begriff nicht alles. Was er begriff, war, wie schnell seine Tochter gelernt hatte, sich Funktionen eines technischen Apparates zu erarbeiten. Ein Teil der Anwendungen war ihm bekannt, denn er benutzte selbst einen solchen Taschencomputer. Aber er musste neidvoll feststellen, AnnaLena konnte auf Apps zurückgreifen, die ihm selbst unbekannt waren.
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