„ Ah, da bist du endlich, Joerdis.“ Mit unverhohlener Gier leckt sich der Dämonfürst über seine schmalen Lippen. „Möchtest du eine kleine Führung, bevor…“
„… ich dich töte?“
„ Hahaha! Du bist zu Scherzen aufgelegt, Elbenweib.“ Donnernd brüllt er Unverständliches in einen der Gänge.
Daraufhin naht ein undefinierbares Geräusch aus Trampeln, Schleifen und Knirschen. Ich blicke mich um. Wohl fünfzig Anführer erscheinen entlang der Saalmauern. Fertig aufgereiht stehen sie reglos da wie eingerußte Ritterrüstungen, umhüllt von Trauerumhängen. Doch in sämtlichen Durchgängen funkeln die hochgereckten schwarzen Schwerter unzähliger Dämonen auf.
„Eine Falle!“, schrie ich gellend.
Alexis schreckte aus dem Schlaf hoch.
„Nein! Helft mir!“
„Lil, Lil! Wach auf!“ Unsanft schüttelte er mich.
„Eine Falle!“
„Ruhig, Lil, ich bin bei dir. Alles ist gut. Komm her.“ Seine starken Arme zogen meinen zitternden Leib an sich. „Schschh, du bist im Castle, hab keine Angst.“
„Der Dämonfürst wollte mich töten“, wimmerte ich.
„Die Chance bekommt er niemals, solange ich lebe.“
„ Du erscheinst gerade recht zum Lunch“, kommentierte Alexis meinen entrichteten Morgengruß beim Betreten der Küche.
Lyall, zwar etwas wacklig auf den Beinen mit seinem geflickten Arm in der Schlinge, versuchte eine unbeholfene Umarmung. „Inghean, ich schulde dir tausendfachen Dank.“
„Hauptsache, du bist wohlauf.“
Der einsetzende Smalltalk täuschte kaum über die allgemeine Nervosität hinweg. Merkwürdigerweise hegte jeder der fünf anwesenden Vertrauten den dringenden Wunsch, mich unter vier Augen zu sprechen. Unverzüglich untermauerten die Lichtwesen ihre Vorrangstellung.
„ Darf ich eventuell erst einmal in Ruhe frühstücken?“
Betretene Gesichter am Tisch, gefolgt von überraschender Stille in der Sphäre.
„ Und was möchte ich heute?“ „Mal wieder Gruft?“ , schlug mein Alter Ego in lupenreiner Fiesheit vor. „Ruhe!“ „Abhauen?“ „Ruhe, verdammt!“ „Zu Befehl, her Mistress of Disaster.“
Mit wachsender Fassungslosigkeit, doch zur allergrößten Freude von Alexis, verfolgte die Tischgesellschaft mein gigantisches Frühstücksprogramm: Croissant mit Kirschkonfitüre, Orangensaft, Vollkornbrötchen mit Butterkäse, gefülltes Crêpe, Obstsalat mit Mango-Joghurt und Unmengen schwarzer Tee. Garantiert noch kalorienbombiger, als es sich liest.
Irgendwer kippelte derweil unter dem Tisch nervös mit seinem Fuß.
In scheinbarer Gemütsruhe goss ich mir den restlichen halben Becher aus der Teekanne ein, bevor ich in die eckige Runde blickte. „Die Sternelben erwarten mich. Danach reden wir, bis alle Fragen gestellt sind.“ Absichtlich vermied ich die Formulierung ‚bis sämtliche Antworten gefallen sind‘. War ich etwa die Göttin Athene oder das Orakel von Delphi? Eben!
Ohne Begeisterung setzte ich mich auf meinen Stammplatz in der Kapelle.
„ Lilia, willkommen!“
„ Sie schmeicheln? Schlecht.“
Entschiedener Protest gegen meine Bauchnote blieb aus.
„ Seid ihr ratlos?“
Dasselbe Ergebnis.
„ Könnten wir die Sache abkürzen?“
„ Der Dämonfürst lauert in seiner Unterwelt“, sangen sie klagend.
„ Ja, und? Wo bleibt die News?“
„ Er wird eine Armee um sich scharen.“
„ Und weiter?“
Sie gerieten aus dem Gesangskonzept. „Wenn dies geschieht, wird dein Weg hinein versperrt.“
„ Was erzählen denn eure Prophezeiungen so dazu?“
Echt dramatischer Sound untermalte ihre hohle Offenbarung: „In deiner Chance liegt seine Chance.“
Falls das irgendwem bekannt vorkommt, keine Sorge, denn mir ging es damals ähnlich.
Meine angesäuerte Antwort stuckdeckenwärts lautete: „Seid ihr im falschen Film? Hier spricht nicht Harry Potter. Entweder ihr liefert Konstruktives oder wir brechen ab.“
Ihr Chor verflüchtigte sich.
„ Äh, könnten wir noch mal von vorne beginnen?“, rief ich ihnen mit meinem allerletzten Hoffnungsfunken hintendrein. Aber der erlosch wie ein sterbendes Glühwürmchen.
Verärgert, jedoch vor allem durch wieder erstarkende irrwitzige Gehirnergüsse abgelenkt, unterließ ich es, gründlich über ihre komische Prophezeiung zu grübeln. Damit vergab ich eine erste, wenn auch winzige Chance schnell der schwarzfürstlichen Magieschlacht gegen mich auf ihre Stinkspur zu kommen.
In der Folgezeit fabrizierte ihre Lichtschar täglich Dissonanzen von einer Schrägheit, die ungefähr an das Entleerungsgeräusch von Glascontainern im Walzertakt erinnerten. Einfach, weil die Sternelben noch immer Prophezeiungen mehr Beachtung schenkten als realen Ereignissen erdwärts. In der Konsequenz lieferten sie mich dem Teufelsbraten lieber ans Hirnchirurgenmesser, anstatt mir solch ein Ding in der Ausführung extrascharf für seine Kehle zu geben. Ach ja. Meine prophezeite Chance sollte nach allsichtiger Vorstellung mittels Selbstauflösung auf die Erdbühne gerettet werden. Sprich: Ich schalte mein Herz auf „Klappe halten“ und unterwerfe mein Hirn komplett Joerdis, damit sie das Psychoduell gegen den Herrn der Furien austrägt. Tja.
Mit meinem Gedankenchaos im Gepäck steuerte ich nach der Kapelle wieder die Küche an.
Machte es irgendeinen Sinn, gemeinsam Pläne zu schmieden? Oder war das von vornherein vergeudete Zeit? „Letztlich ziehe ich sowieso immer alleine los.“
Meine Füße stoppten vor dem unverändert besetzten Küchentisch. Wenigstens von dem sternelbischen Orakelquatsch musste ich den anderen erzählen.
„ So lautet ihre Prophezeiung?“, schnaufte Fingal bärbeißig, als machte der schlechteste Witz aller Zeiten die Runde.
Entgeistertes Kopfschütteln bemächtigte sich Elben und Mischpartien gleichermaßen.
Beschwichtigend erklärte ich: „Deswegen muss keine Panik ausbrechen. In der Konsequenz bedeutet es lediglich, dass alle wichtigen Entscheidungen ohne die Sternelben stattfinden.“
Allgemeines Geistmurmelgewirr setzte ein.
„ Geh allein zu ihm“, mäanderte in unserer eben begonnen Lagebesprechung der lauernde Wahnsinn durch meine Gedanken. „Was nützen dir die anderen in der Unterwelt? Nichts!“
„ Lilia. Lilia!“ Elin versuchte mit elbischer Macht, meine Hirngespinste zu durchbrechen.
„ Elin? Was ist?“, fragte ich zerstreut.
„ Konzentriere dich. Richte deine Gedanken auf uns.“
Einen kurzen Moment war mein Kopf leergefegt. Das mit meinem Alleingang hatte ich hoffentlich gerade nur für mich gedacht!? „Sieht schlecht dafür aus“ , kommentierte mein Alter Ego. Um die peinliche Sache zu übertünchen – als ob das ginge! – schlug ich vor: „Da wir nur hier in Sicherheit sind, sollten wir fortan das Castle als eine Art Basislager für alles Weitere nutzen.“ Flüchtig streiften meine Augen währenddessen das versteinerte Gesicht von Alexis.
Fingal ging meinem plumpen Ablenkungsmanöver glatt auf den Leim. „Aber unser Laden in Clerkenwell“, insistierte er.
Prompt bekam er von Alexis eingeschenkt: „Ihr wärt dort nach wie vor willkommene Opfer.“
Lyall zuckte mit Schmerz verzerrtem Gesicht zusammen und ergab sich auf der Stelle. Sein Kumpel schwankte grummelnd zwischen „Old Mystery“-Sehnsucht und Abenteuerkinderei. Schließlich hob Fingal als Zeichen seiner Kapitulation beide Hände.
In der Zwischenzeit siegte mal kurz meine klare Einsicht. Wegen der Unmöglichkeit eigener Dreiteilung sollte ich besser meine Verbündeten als Helfer einspannen. Besonders das unbewachte Berlin lastete schwer auf meinem Herzen. Da jedoch Fingal und Lyall nur mit größtem Zeitaufwand aus Schottland wegkamen, schieden sie für Aktionen in Berlin grundsätzlich aus. Dieses Kapitel unseres langen Dämonenkampfes stellte wiederum für Aneel die große Unbekannte dar.
Читать дальше