„Nein, Robert, du musst nicht extra ins Präsidium kommen. Ich bin sowieso bei euch auf dem Lerchenberg. Wir stellen ja heute Vormittag die Beute aus Gulays Keller sicher. Ich hol dich wieder von der Schule ab.“
„Okay, bis gegen eins“, sagt Robert. „Das Beweismaterial hab ich dann dabei.“
Auf dem Weg zur Schule wird Robert schon von Tim und Chris erwartet. Die beiden registrieren sofort den Kanister, den er in einer großen Tüte bei sich trägt. Tim platzt beinahe vor Neugier. „Triffst du heute den Hauptkommissar?“
Robert nickt. „Gleich nach der Schule. Ich hab ihm am Telefon schon von dem Brandanschlag erzählt, den ihr verhindert habt. Ihm blieb erst mal die Spucke weg.“
Kurz vor dem Schultor bleibt Robert stehen. Die tiefe Falte auf seiner Stirn zeigt an, dass er ein Problem auf sie zukommen sieht.
„Ihr könnt wirklich super mit „stone“ umgehen“, sagt er zögernd. „Aber wenn ihr in der nächsten Zeit noch ein paar dieser Krawallheinis erwischt und flachlegt, werden sich ganz rasant Legenden um euch bilden. Es wird dann immer schwerer für uns, das Geheimnis zu bewahren. Mein Tipp: drängt euch nicht in den Vordergrund! Wer so ein Zauberwort beherrscht, muss lernen, im Hintergrund zu bleiben.“ Bevor Tim und Chris antworten können, kommt ihnen Direktor Gerlach mit einem breiten Lächeln entgegen. Er geht mit ausgestreckten Händen auf die beiden zu. „Ihr seid die zwei, die gestern diesen Überfall vereitelt haben!“, ruft er aus und schüttelt beiden die Hand. „Frau Niemann hat mir von euerm Einsatz erzählt.“ Robert hat sich zurückgezogen und beobachtet zufrieden die Lobeshymne auf seine beiden Freunde aus einiger Entfernung.
„Nach dem Unterricht müsst ihr mir genau erzählen, was da abgelaufen ist!“ Der Direktor klopft beiden auf die Schulter. „Jetzt schon mal vielen Dank an euch. Wir sehen uns dann kurz nach eins in meinem Büro!“ Verlegen kommen Tim und Chris auf Robert zu. Doch der grinst nur. „Tja, da muss man durch auf dem Weg zum Helden“, zieht er sie auf. Dann setzt er ernst hinzu: „Denkt dran: kein Wort von „stone“ gegenüber dem Direktor!“
Der Vormittag zieht sich zäh wie Kaugummi. Der Zeiger scheint an der Uhr festzukleben! Roberts Gedanken schweifen immer wieder ab. Ob die Polizeiaktion im Hochhaus erfolgreich über die Bühne gehen wird? Und wie kann er helfen, das Problem mit dem Direktor zu lösen? Was haben die Einbrecher nur in Gerlachs Büro gesucht? Auch Chris und Tim sind abgelenkt. Im Unterricht sind ihre Gedanken bei dem bevorstehenden Gespräch im Allerheiligsten des Direktors, in den Pausen werden sie permanent belagert und müssen immer wieder erzählen, was gestern passiert ist. So gelingt es Robert leicht, sich in der großen Pause unbemerkt von seinen Freunden abzusetzen. Er geht zur Toilette, macht sich dort mit „invisible“ unsichtbar und läuft auf den Flur hinaus zum Direktionsbüro – das heißt, er will loslaufen, aber es scheint, als hätten sich alle Schüler gleichzeitig im Flur versammelt. Durch dieses Gewühl kann man unmöglich durchkommen, ohne einen anderen zu berühren. Vorsichtig schleicht Robert wieder zur Toilette zurück, überzeugt sich davon, dass er allein ist, und macht sich wieder sichtbar. Schon ertönt das Zeichen, dass die Pause vorbei ist. Aber das ist wohl der richtige Weg, denkt Robert: Er muss im Büro rumschnüffeln. Am besten wird er gleich nach dem Gespräch mit dem Hauptkommissar wieder in die Schule zurückkommen, vielleicht findet sich eine Spur. Endlich ist dieser Vormittag zu Ende. Alles drängt erlöst aus der Klasse und ins Freie. Chris und Tim geben Robert Bescheid, dass sie nach dem Gespräch mit Gerlach noch länger auf dem Schulgelände bleiben werden. Sie hoffen natürlich auf neue Zwischenfälle. Der Hauptkommissar wartet schon neben seinem BMW. Robert will sich sofort nach dem Stand der Dinge im Hochhaus erkundigen, aber Werner hebt abwehrend die Hände: „Steig erst mal ein, in diesem Affenzirkus kann sich ja kein Mensch unterhalten!“
Er startet den Motor und fährt ein paar Straßen weiter. Nachdem Werner den Wagen geparkt hat, mustert er sofort die große Plastiktüte mit dem Kanister. Robert folgt seinem Blick.
„Damit sollte wohl die Schule abgefackelt werden. Meine Freunde konnten es gerade noch verhindern“, erklärt er. „Die Täter haben sich verdrückt, aber den Kanister haben sie in der Eile im Büro liegen gelassen. Hoffentlich finden Sie noch Fingerabdrücke von den Burschen darauf!“ „Scheinst ja tüchtige Freunde zu haben. Die haben jedenfalls einiges riskiert“, erwidert der Hauptkommissar anerkennend. „Und offensichtlich habt ihr auch darauf geachtet, dass keine Spuren verwischt wurden. Super, morgen wissen wir mehr.“
Behutsam nimmt er die Tüte mit dem brenzligen Inhalt und legt sie nach hinten. Dann lehnt er sich gemütlich zurück und dreht sich zu Robert hin. „Am Morgen haben meine Leute die Geldkästen im Keller sichergestellt und Cemal Gulay und seinen Bruder Hassan in ihrer Wohnung verhaftet.“ Erleichtert atmet Robert auf. Irgendwie hatte er gefürchtet, dass doch noch etwas dazwischenkommen könnte. Trotzdem wirkt der Hauptkommissar nicht zufrieden.
„Merkwürdig ist, dass sich die beiden angeblich nicht erklären konnten, wie diese vier Metallkästen in ihren Keller gekommen sind. Sie beteuerten immer wieder, nichts davon zu wissen. Müssen grandiose Schauspieler sein!“ Mit einer müden Geste streicht sich Werner über die Stirn und fährt fort: „Aber wir haben ja noch den Mann, der im Geldtransporter gefesselt zurückgelassen wurde. Bei der Gegenüberstellung wird er hoffentlich bestätigen, dass Cemal Gulay der Fahrer war und dass Cemal und ein zweiter Mann, wohl dieser Hassan, ihn matt gesetzt haben und dann mit dem Geld abgehauen sind. Also wird ihnen all ihr Lügen nicht helfen. Aber mich macht es doch etwas nachdenklich, dass die beiden so einen absolut verwirrten Eindruck machen. Das kann doch nicht so einfach gespielt werden!“
In Gedanken vertieft, schaut der Hauptkommissar Robert an. Für eine Weile schweigen beide. Robert sieht wieder die merkwürdig abwesenden Augen der Brüder vor sich. Irgendetwas stinkt da gewaltig!.
„Der kleine weiße Renault gehört übrigens Hassan, aber auch er will nichts von einem Überfall auf einen Geldtransporter wissen.“ Werner seufzt resigniert. „Wirklich verrückt: Auf der einen Seite ist für uns alles klar, der Schuldige steht fest... auf der anderen Seite ist dieser Fall noch immer ziemlich undurchsichtig!“ Werner strafft sich und schaut Robert direkt an. „Hast du Lust, mit aufs Präsidium zu kommen und dir die beiden mal anzuschauen? Vielleicht fällt dir noch etwas Ungewöhnliches auf?“
„Logo“. Robert nickt zustimmend „Fahr’n wir los!“
Im Präsidium bringen die Beamten zunächst Hassan Gulay in das Büro des Hauptkommissars hoch. Robert sitzt hinter einem schnell hingestellten Wandschirm, so dass Hassan ihn nicht sehen kann. Werner und zwei Beamte nehmen mit dem unbeteiligt dreinblickenden Türken am runden Tisch Platz. Eben bieten sie ihm eine Zigarette an, als das Telefon, das vor ihnen auf dem Tisch steht, klingelt. Werner nimmt ab, lauscht kurz, dann hält er Hassan den Hörer hin. Gleichzeitig schaltet er den Lautsprecher an: „Herr Gulay, ein Gespräch für Sie.“
Teilnahmslos, ohne eine Miene zu verziehen, nimmt Hassan den Hörer entgegen. Robert wundert sich, dass der Hauptkommissar ihm, ohne nachzufragen, so einfach den Höhrer gibt. Er muss sich doch fragen, wer Gulay so einfach im Präsidium anrufen will. Kaum gedacht, hört er schon die eintönige Stimme des Mannes: „Ja, wer ist da?“ Alle im Raum hören gespannt zu.
„Adebar!“, sagt eine dunkle, raue Stimme.
Nur dieses eine Wort, danach ertönt sofort wieder das Freizeichen. Der Anrufer hat aufgelegt.
Alle schauen sich verblüfft an.
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