Martie, der sich am besten mit Tieren verstand, trieb die beiden Packpferde vor uns her, noch bevor wir sehen konnten, ob jemand auf uns wartete.
Unsere Gegner waren wirklich dumm und unerfahren. Sie lauerten direkt hinter der scharfen Kehre, alle vier nebeneinander stehend wie eine lebende Straßensperre. Die Packpferde waren irritiert von dem unerwarteten Hindernis in ihrem Weg. Sie scheuten und brachen nach der Seite hin aus.
Wir hätten in dem Moment die vier Männer einfach über den Haufen reiten können, so überrascht waren sie. Aber dabei hätten sie vielleicht unsere Pferde durch Hiebe mit den Säbeln verletzt, also galoppierten wir auf sie zu und sprangen kurz vor ihnen ab.
Der Kampf dauerte nur Sekunden. Martie, Gendra und ich hieben mit unseren Waffen auf die Räuber ein. Serron blieb hinter uns und nutzte seine Wurfmesser, sobald er freie Bahn hatte. Zwei der Angreifer starben, darunter der Dorfwachmann. Die beiden anderen flohen humpelnd in den Wald.
Ich ließ sie entkommen. Was hätten wir mit ihnen anfangen sollen, falls wir sie gefangen nahmen? Im nächsten Dorf wäre es uns vielleicht ebenso ergangen wie in dem, aus dem sie stammten. Andererseits wäre es eine unnötige Grausamkeit gewesen, sie zu töten. Sollten sie also nach Hause zurückkehren und erzählen, wie es einem erging, der versuchte, Reisende zu überfallen.
Haram, Kar und Inda waren bei den Wagen geblieben. Sie kamen nun zu uns und betrachteten die Toten, während Martie die beiden Packpferde einfing und beruhigte. Der Händler und seine beiden Begleiter wirkten weder schockiert noch ängstlich. Mir war ihr Verhalten nicht recht erklärlich. Schließlich hatten sie gerade einen Überfall beobachtet, den sie vielleicht nicht überlebt hätten, wenn sie alleine gereist wären. Waren sie überzeugt, sie wären auch ohne uns mit den Angreifern fertig geworden? Oder gehörte diese Art von Gefahr inzwischen ganz selbstverständlich zu ihrem Leben als Händler?
„Die Zustände hier in der Provinz Malbraan müssen schlimmer sein, als ich dachte“, sagte ich. „Wenn die Ordnung so zusammengebrochen ist, dass sogar Wachmänner zu Verbrechern werden, kann man sich auf nichts mehr verlassen.“
Haram ging darauf nicht ein. Er bückte sich und sammelte Säbel und Schwert auf, die am Boden lagen. Außerdem durchsuchte er die beiden Toten und nahm beiden je einen Dolch ab. Das Kleingeld, das er fand, steckte er den Leichen wieder in die Taschen.
„Ich bin Händler“, erklärte er auf meinen fragenden Blick hin. „Die Waffen sind von schlechter Qualität, aber ein wenig bringen sie auf dem nächsten Markt bestimmt ein. Warum sollte ich sie liegenlassen? Ich behalte sie als Ausgleich für den Ärger, den ihre ehemaligen Besitzer uns gemacht haben.“
„Werden wir nicht Probleme bekommen?“, fragte Gendra. „Schließlich war der eine da ein Dorfwachmann. Egal wie niedrig sein Rang ist, er steht im Dienst des hiesigen Fürsten.“
„Ach, was!“ Haram machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wahrscheinlich war der Kerl vom herrischen Typ, unter dem die Bevölkerung des ganzen Dorfes zu leiden hat. Die werden uns dankbar dafür sein, dass wir sie von ihm befreit haben. Glaubt mir, ich kenne die Zustände hier auf dem Land besser als ihr Städter. Außerdem ...“
Er beugte sich über den toten Mann, starrte in die verzerrten Gesichtszüge und schien sich auch die Lippen genau anzusehen. Anschließend zog er dessen Augenlider hoch. Das wiederholte er bei unserem zweiten Opfer.
„Hätte ich mir denken können. Die Seuche hat sich bis hierher ausgebreitet.“
„Hatten die beiden eine ansteckende Krankheit?“, fragte ich überrascht, denn er hatte die Toten ohne zu zögern angefasst.
„Nein, das meine ich nicht mit Seuche. Im Norden der Ringlande hat sich eine Unsitte breitgemacht, die immer weiter um sich greift. Die Menschen rauchen, aber nicht den teuren Tobacco, sondern Kräuter, die sonst nur ein Heiler einsetzen darf. Man fühlt sich eine gewisse Zeitlang gut dadurch, aber im Laufe der Monate verliert man den Verstand.“
„Ich habe Gerüchte darüber gehört“, sagte Serron. Er war, wie so oft, besser informiert als ich. „Man nennt es Oochaja-Kraut.“
„Wenn die Ringlande untergehen, wird dieses Zeug einen großen Anteil daran haben.“ Haram spukte aus vor Abscheu. „Es macht die Menschen erst abhängig, dann krank, dann bringt es sie um.“
„Woran erkennt man, ob jemand dieses Kraut raucht?“, wollte ich wissen.
„An einer leicht grünlichen Verfärbung der Augen. Das kommt vom Gift. Und an bräunlichen Lippen. Das kommt vom häufigen Rauchen.“
„Du hast gesagt, dass es den Menschen den Verstand raubt“, sagte Serron. „Könnte das der Grund für den unüberlegten Angriff auf uns sein?“
„Nein, die hatten es auf Geld abgesehen. Oochaja-Kraut kostet viel, und je länger man es benutzt, desto mehr davon benötigt man, um dieselbe Wirkung zu erzielen. Ganze Regionen, vor allem entlang des Gebirges, verfallen in Armut, weil die Leute alles, was sie haben, für Oochaja ausgeben. Und da jemand im Rausch nicht arbeiten kann, verdienen sie umso weniger.“
Ich war ziemlich fassungslos über das, was ich da hörte. „Warum erfährt man davon nichts in der Hauptstadt?“, fragte ich. „Wenn es so um sich greift, müssen die Fürsten dagegen vorgehen. Wenn nicht sogar das Königshaus.“
Haram schüttelte den Kopf. „Die Einen sagen, Fürst Malbraan habe sich jede Einmischung verbeten. Er will selbst mit dem Problem fertig werden, bevor es auf die übrigen Provinzen übergreift.“
„Und was sagen die Anderen?“, fragte ich, als der Händler nicht weitersprach.
Er zögerte, bevor er antwortete: „Dass die Kurrether dahinter stecken. Da sie in allen Provinzen, in allen Städten und vielen Dörfern ganz oben in der Verwaltung beschäftigt sind, wissen sie natürlich davon. Aber sie greifen nicht ein oder besser gesagt: Sie beraten die Fürsten, Magistrate und großen Handelsherren dahingehend, dass diese nicht eingreifen.“
„Warum sollten sie das tun?“
„Warum tun Kurrether irgendetwas?“, fragte Haram heftig zurück. „Weil sie daran verdienen!“
Gendra mischte sich nun in unser Gespräch ein: „Wenn man ihnen eines nicht vorwerfen kann, dann ist es Geldgier. Viele von ihnen arbeiten ohne festen Lohn.“
„Glaubst du? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, warum sie in großen Häusern leben und alles, was sie besitzen, vor Gold glänzt? Wo kommt ihr Reichtum her, wenn sie ihn nicht durch ihre Arbeit verdienen?“
„Vermutlich bringen sie ihn aus ihrer Heimat mit“, sagte ich. Das war die allgemein akzeptierte Erklärung für diese Ungereimtheit. Ob sie stimmte, war eine andere Frage. Auf jeden Fall diente sie dazu, den Unmut der Bevölkerung zu besänftigen, wenn das Thema aufkam.
„Niemand weiß, wo ihre Heimat ist“, stellte Haram fest. „Angeblich verraten sie das nicht einmal den Fürsten und der Königin-Witwe. Nein, die Wahrheit sieht ganz anders aus. Die Kurrether ...“
Kar Andar, der bisher mit Inda schweigend neben uns gestanden hatte, legte dem Händler die Hand auf die Schulter. „Genug geredet“, sagte er. „Wir müssen weiter. Sollen wir hier herumstehen, bis die Aasfresser kommen, um die beiden Kadaver zu beseitigen?“
Haram blinzelte einen Moment irritiert und wurde rot im Gesicht. Aber dann nickte er und sagte: „Du hast recht. Wir haben einiges an Zeit aufzuholen. Auf die Wagen!“
Ich deutete auf die beiden Leichen. „Wollt ihr sie etwa hier liegenlassen?“
„Zwei von ihnen sind entkommen. Falls die ihr Ehrgefühl noch nicht durch das verdammte Kraut verloren haben, werden sie zurückkehren, sobald wir weg sind. Tun sie es nicht, so waren es die beiden Toten nicht wert. Los jetzt, ich sehe dunkle Wolken am Horizont. Wir müssen eine geschützte Stelle für die nächste Nacht suchen. Es wird regnen.“
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