1 ...7 8 9 11 12 13 ...22 „Elfen sind groß, schlank und haben spitze Ohren“, rief ich zurück.
„Du kannst meine Ohren von da unten gar nicht sehen“, kam prompt die Antwort. „Größe wird gemeinhin überschätzt und schlank bin ich sowieso. Sonst noch etwas?“
„Komm her, damit wir uns besser unterhalten können“, forderte ich.
Zu meiner Überraschung sprang der Fremde einfach in die Luft. Er schien die drei Manneslängen zu uns herunter nicht zu fallen, sondern zu schweben, bis er einen Schritt von entfernt mir auf dem Waldboden stand.
„Fiedig ist mein Name“, stellte er sich vor. „Wer seid ihr?“
Er war tatsächlich zwei Kopf kleiner als ich. Aber er war kein Kind, denn sein Gesicht war faltig wie das eines älteren Mannes. Die Falten entsprachen denen eines Menschen, der über ein sonniges Gemüt verfügte und viel lachte. Fiedig sah alt aus, sehr alt, und doch strahlte er eine Jugendlichkeit aus, die beneidenswert war.
„Wir sind auf der Reise nach Andalach und machen hier in der Nähe Rast“, antwortete ich.
Fiedig legte den Kopf zurück und sah mich mit einem freundlichen Lächeln an. „Ich habe gefragt, wer ihr seid, nicht warum ihr hier seid.“
Ich schluckte diesen Vorwurf hinunter und stellte mich vor. „Mein Name ist Aron von Reichenstein, dies sind Serron Barth, Gendra Grall und Martie Ondt. Wir kommen aus Dongarth.“
„Von Reichenstein? Ein Name, den man in früheren Zeiten im Nordosten der Ringlande häufig vernommen hat“, stellte der Elf fest.
„Meiner Familie gehörten einst große Ländereien in der Nähe von Kerrk.“ Mehr sagte ich dazu nicht.
„Ländereien, verstehe. Wer sind die Menschen, die in den Wagen schlafen?“
„Ein Händler, sein Namen ist Haram Gonn. Kar und Inda Andar begleiten ihn.“
„Genauso habe ich es gehört“, sagte Fiedig. „Folgt mir tiefer in den Wald hinein.“
Das weckte mein Misstrauen. „Warum?“, wollte ich wissen.
„Dort warten weitere Elfen darauf, euch zu sehen“, antwortete er. Mit ein paar fast schwerelosen Sätzen rannte er zu einem Baum in der Nähe, sprang auf den niedrigsten Ast und winkte uns, ihm zu folgen.
„Wir können nicht so gut klettern“, rief ich ihm zu. „Und für diese Äste sind wir zu schwer.“
„Dann müsst ihr leider auf dem Boden entlang krauchen. Aber egal wie, folgt mir!“
Er sprang auf einen höheren Ast und verschwand in der Dunkelheit.
„Diese Chance sollten wir uns nicht entgehen lassen“, meinte Serron. „Elfen zu begegnen ist ein seltenes Abenteuer.“
„Und es soll Glück bringen“, ergänzte Gendra.
„Ich bin auch dafür“, unterstützte Martie prosaischer ihre Meinung.
Also gingen wir in die Richtung, in der Fiedig verschwunden war.
Bald sah ich ihn wieder. Trotz der Dunkelheit im Wald konnte ich erkennen, wie er auf einem Ast saß und mit den Beinen baumelte. Ein kaum wahrnehmbarer Lichtschein umgab seine Gestalt.
„Trödelt ihr immer so?“, fragte er. „Kein Wunder, dass ihr Menschen Pferde braucht, um voranzukommen. Schneller jetzt, zur Morgendämmerung müsst ihr wieder zurück sein bei den Wagen. Sonst wundern sich die Händler, wo ihr abgeblieben seid.“
„Sie werden sicherlich bereits im Laufe der Nacht merken, dass wir weg sind“, entgegnete ich. Gleich darauf fluchte ich laut, weil ich in der Dunkelheit über eine Bodenunebenheit stolperte und beinahe hinfiel.
„Ungeschickt seid ihr also auch!“, kommentierte Fiedig. „Nein, die Händler werden in dieser Nacht nicht aufwachen. Ihr Schlaf ist tief und erholsam.“
„Haben Sie sie verzaubert?“, fragte Gendra.
Fiedig antwortete nicht, sondern bewegte sich wieder so schnell über die Äste von Baum zu Baum, dass ich ihn aus den Augen verlor. Aber die Richtung war klar, also folgte ich ihm, allerdings vorsichtiger als bisher.
Immer bereit, meinen Degen zu ziehen, ging ich tiefer in den Wald hinein. Ich wusste ohne mich zuzusehen, dass meine drei Freunde nach den Seiten und nach hinten sicherten, während ich nach vorne und nach oben sah.
Als wir eine Lichtung erreichten, an deren Rand ein Bach entlang lief, ahnte ich, dass wir unser Ziel erreicht hatten. Äsende Rehe, die sich von Fiedig nicht hatten aus der Ruhe bringen lassen, liefen vor uns davon. Es war hier heller, als es hätte sein dürfen, denn noch immer bedeckten Wolken den Himmel, die den Mond verbargen.
Der Elf stand abwartend in der Mitte der Lichtung und sah uns entgegen. „Ach, ihr seid ja auch schon da“, sagte er. „Dann können wir ja anfangen.“
Wie aus dem Nichts kommend standen einen Augenblick später sechs weitere Elfen um uns herum. Drei waren weiblich, eine davon schwanger. Trotzdem hielt sie wie die anderen eine Waffe in der Hand, einen kurzen Degen, der wie eine Kinderwaffe wirkte, aber gefährlich silbern glitzerte. Ich zog meine Waffe nicht, weil von den kleinen Gestalten keine Bedrohung ausging. Eher kam es mir vor, als sei es eine Ehrbezeugung uns gegenüber, dass sie uns ihre Waffen präsentierten.
Auch meine Freunde verhielten sich abwartend. Vielleicht war das ein Test der Elfen, um herauszufinden, wie angriffslustig wir waren. Aber warum sollten sie das tun? So etwas kann ja auch schief gehen - jemand zieht seine Waffe und es kommt zum Kampf.
Im nächsten Moment traten alle Elfen außer Fiedig einen Schritt zurück. Die Waffen behielten sie jedoch in Händen.
„Nun ist Ihnen doch noch eine Überraschung gelungen“, sagte Fiedig zu uns. „Nicht nur der Degen des Herrn von Reichenstein weist Besonderheiten auf, sondern alle Waffen, die Sie bei sich tragen. Wie kam es dazu?“
„Was meinen Sie mit Besonderheiten?“, fragte ich zurück.
„Ihre Waffen können nicht magisch beeinflusst werden. Das ist ungewöhnlich. Abgesehen von dem Degen, der aus dem alten Kaiserreich stammt.“
„Wollten Sie etwa unsere Waffen magisch verändern?“, fragte ich. „Verfluchen, womöglich?“
„Im Gegenteil! Wir hatten vor, genau das zu tun, was bereits geschehen ist: sie mit einem zusätzlichen Schutz versehen. Eigentlich können es nur Magier aus der Akademie des Zeuth in Dongarth gewesen sein, die uns dabei zuvorgekommen sind. Dort schätzt man also die Situation ähnlich ein wie bei uns. Gut zu wissen!“
Ich wollte unsere die Begegnung mit den Magiern nicht zugeben, deshalb fragte ich weiter: „Wie ist denn die Situation?“
„Gefährlich“, antwortete der Elf kurz. „Je weiter man nach Norden kommt, desto kriegerischer wird die Stimmung der Menschen. Jenseits des Ringgebirges, in den Gebieten, die von euch die Kaltlande genannt werden, ist das nicht ungewöhnlich. Dort lebt ein harter, immer kampfbereiter Menschenschlag. Aber hier verhindert der besänftigende Einfluss des Berges Zeuth eigentlich eine solche Einstellung.“
„Das wüsste ich gerne genauer“, sagte ich. „Wir hören immer nur Gerüchte, keine Fakten.“
„Es kann nicht unsere Aufgabe sein, Sie mit Wissen zu versorgen, das Sie auch anderswo her beziehen können“, sagte er mit gespielter Würde. „Es muss genügen, wenn wir bereit sind, Sie und Ihre Begleiter zu unterstützen.“
„Unsere Waffen sind bereits vor magischer Beeinflussung geschützt. Also helfen Sie uns bitte auf andere Weise.“
„Wer könnte dem Träger eines Kaiserdegens etwas abschlagen? Noch dazu, wenn er im Besitz eines Ombudsteins aus dem fernen Land Ostraia ist. Zeigen Sie uns den Diamanten!“
Das kam unerwartet. Woher wussten die Elfen von diesem Edelstein? Die Frage schien mir ins Gesicht geschrieben zu sein, denn bevor ich sie aussprechen konnte, ergänzte Fiedig: „Villur Schanck kam vor wenigen Tagen hier durch. Er hat von Ihnen erzählt. Sehr interessant, was Sie in Kethal erlebt haben. Wir Elfen sind salzigem Wasser eher abgeneigt. Aber wir hören gerne Geschichten über die Seefahrt und das große Meer, das sich bis nach Askajdar erstreckt. Vielleicht entschließen wir uns eines Tages dazu, diese Reise zu unternehmen.“
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