Am Hang eines nahegelegenen Hügels standen weitere Gebäude, größer und noch hochwertiger gebaut. Sie waren von Gärten umgeben, ihre großen Glasfenster spiegelten die untergehende Sonne.
Ich überschlug die Zahl der Häuser und kam auf mindestens zweitausend Bewohner in diesem Ort.
Die Straße, der wir folgten, führte am Ortsrand entlang zu einer Taverne, neben der sich ein Abstellplatz für Wagen und eine Pferdekoppel befanden. Dort hielten wir an.
„Alles ist teuer in Gandacker“, warnte uns Haram, bevor wir eintraten.
Unter normalen Umständen hätte ich die Taverne wieder verlassen, sobald ich die Preise für Mahlzeiten, Getränke und vor allem Zimmer hörte. Aber die Beutel voller Geld des Fürsten Borran wogen schwerer und ich entschied, zu bleiben. Wobei Haram natürlich nichts von dem Vermögen wusste, das ich bei mir trug.
Dabei waren die übrigen Gäste auf den ersten Blick nichts Besonderes. Sie sahen aus wie in jeder anderen Taverne an einer der Verbindungsstraßen zwischen großen Städten. Reisende, Händler, Fuhrwerkslenker, Helfer und ...
Ich stutzte, denn die unvermeidlichen Söldner, die als Begleitschutz gerne von Händlern angeheuert wurden, fehlten hier. Mir fiel wieder ein, dass Haram etwas darüber erwähnt hatte. Die Söldner kämpften weiter im Norden gegen die Banden der Kaltländer und verdienten damit mehr Geld, als mit der langweiligen Sicherung von Transporten. Das bedeutete aber auch, dass ich und meine Begleiter auffielen, weil wir offenkundig keine Händler waren und Waffen trugen.
Die Gäste im Schankraum warfen uns fragende Blicke zu und tuschelten untereinander. Der Wirt, ein kleiner, ziemlich dicker Mann, kam auf uns zu. Er wandte sich an Haram und fragte nach unserem Begehr. Als er hörte, dass wir hier übernachten wollten, nannte er die Preise, die mich so überraschten. Der Wirt schien zu erwarten, dass wir einen Rückzieher machten. Vielleicht wollte er keine bewaffneten Gäste unter seinem Dach beherbergen. Als Haram nach einem kurzen Blickwechsel mit mir zustimmte, wusste der Wirt für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Dann versprach er, die Zimmer herrichten zu lassen, und führte uns an einen freien Tisch.
Wir waren beim Essen, als neue Gäste die Taverne betraten. Es waren ein Kurrether, zwei andere Männer in guter Kleidung und vier Wachsoldaten. Sie sahen sich kurz um und kamen zu uns. Doch sie sagten nichts, sondern starrten uns nur an, als hätten sie welche wie uns noch nie gesehen.
Schließlich zog ich fragend die Augenbrauen hoch.
„Mein Name ist Berthon“, sagte der Kurrether ohne weitere Begrüßung. Wie alle seines Volkes schien er keinen Vornamen zu haben. Oder keinen Nachnamen, niemand wusste das genau.
„Rat Berthon?“, fragte ich.
„Ich fungiere als Berater des Direktors der Gandacker Goldschmelze“, antwortete er, ohne das Gesicht zu verziehen. „Eine besondere Funktionsbezeichnung ist damit nicht verbunden. Würden Sie mir Ihren Namen nennen, und die der anderen Personen?“
Wir stellten uns der Reihe nach vor, ohne zu sagen, warum wir hier waren oder woher wir kamen. Berthon nickte, als habe er jeden unserer Namen bereits früher gehört und wollte sich nur versichern, dass wir es wirklich waren.
„Sie haben uns Ihre Begleiter noch nicht vorgestellt“, sagte ich abschließend.
„Ron Kunjak und Seltran Pollk“, antwortete er und deutete auf die beiden Männer. Die Wachsoldaten, die einen Schritt hinter ihm Posten bezogen hatte, erwähnte er nicht.
„Gibt es einen Grund, warum Sie uns beim Essen stören, oder tun Sie das bei allen Gästen dieser Taverne?“ Ich hatte ein Stück Braten im Mund und sprach betont undeutlich, um ihm zu zeigen, dass ich mich von seiner Anwesenheit und seiner Funktion nicht beeindrucken ließ.
„Die Goldschmelze und die Transporte auf den Straßen in ihrer Umgebung sind immer wieder das Ziel von bewaffneten Banden, die sich schnellen Reichtum versprechen“, entgegnete er. „Sie alle sind fremd hier und tragen Waffen. Als ich von Ihrer Ankunft hörte, beschloss ich, mir selbst ein Bild von Ihrer Reisegruppe zu machen.“
Haram mischte sich nun ein. „Ich bin Händler und bringe Waren nach Vinheim. Dass wir hier Rast machen, ist Zufall. In dem Unwetter neulich sind wir vom Weg abgekommen und waren nun froh, es hinunter ins Tal des Sall geschafft zu haben. Wir fahren morgen früh weiter.“
Wieder nickte Berthon, als habe er sich das schon gedacht. „Dem mag so sein“, sagte er. „Gandacker liegt zwar abseits der wichtigen Straßen, aber wir haben aufgrund unserer Arbeit Verbindungen in alle Teile der Ringlande. Der Namen Aron von Reichenstein ist auch uns zu Ohren gekommen. Herr von Reichenstein, Sie arbeiten für den Fürsten Borran. Es liegt nahe, anzunehmen, dass ein Auftrag des Fürsten Sie zu uns geführt hat. Falls ja, so wünsche ich zu wissen, um was es geht. Gandacker gehört zum Fürstentum Malbraan. Kein anderer Fürst hat hier Befugnisse, von der Festung an der Küste einmal abgesehen.“
„Gandacker ist nicht das Ziel meiner Reise“, sagte ich und nahm einen großen Schluck aus dem Bierhumpen. „Es spielt also für Sie keine Rolle, warum ich in dieser Provinz bin. Sollte ich einen Auftrag haben, der den Fürsten Malbraan betrifft, so werde ich zur gegebenen Zeit bei ihm vorsprechen.“
„Das glaube ich Ihnen nicht!“, polterte nun der Mann los, den Berthon als Ron Kunjak vorgestellt hatte.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Haram wollte etwas sagen, aber ich gab ihm durch einen kurzen Wink zu verstehen, dass er sich heraushalten solle. Hier stimmte etwas nicht. Der einfachste Weg, um herauszufinden, was dahinter steckte, war die Missachtung dieser Männer. Sie hielten sich für wichtig und würden reden, um sich das selbst zu beweisen.
„Wir werden Sie hier festsetzen und einen Kurier nach Dongarth schicken!“, drohte Kunjak nun. „Fürst Borran wird sich erklären müssen. Besser, Sie sagen uns jetzt, was er vorhat. Das erspart Ihnen einige Wochen im Kerker, bis der Kurier zurück ist.“
Ich nahm einen letzten Schluck Bier und schob meinen Stuhl so weit zurück, dass ich falls nötig sofort aufstehen konnte. Wie unabsichtlich wurde dabei der Griff meines Degens sichtbar. Meine Freunde verstanden dieses Signal und setzten sich auch so hin, als seien sie bereit, aufzuspringen und ihre Waffen zu ziehen.
Prompt kam Bewegung in die Wachsoldaten. Sie traten etwas weiter auseinander, um genügend Raum für einen Kampf zu haben.
Der Mann mit Namen Seltran Pollk mischte sich ein. „Lassen wir diese Drohgebärden. Ich bin der Vertreter des Fürsten Malbraan bei der Schmelze. Wir arbeiten hier mit wertvollem Erz, aus dem wir reines Gold gewinnen. Es dürfte klar sein, dass wir Fremden gegenüber misstrauisch sind. Erst recht, wenn sie behaupten, im Auftrag eines anderen Fürsten oder der Königin-Witwe unterwegs zu sein. Aber ich bin sicher, Fürst Malbraan möchte keinen Streit mit Fürst Borran. Sie, Herr von Reichenstein, werden auf schnellstem Weg nach Andalach reisen und sich im Palast des Fürsten melden. Ich schicke einen berittenen Kurier voraus, um ihre Ankunft anzukündigen. Sie können dort alles besprechen, was wichtig ist. Es mögen ja Themen sein, die uns hier gar nichts angehen oder unsere Arbeit hier nicht betreffen. Sind Sie damit einverstanden?“
„Wir sind auf dem Weg nach Vinheim“, entgegnete ich. „Aber danach wird uns unsere Reise voraussichtlich in die Hauptstadt dieser Provinz führen. Sobald wir dort sind, werde ich gerne Fürst Malbraan einen Besuch abstatten. Ich werde ihn von Ihnen grüßen.“
Damit wandte ich mich wieder meinem Essen zu.
„Auch wenn die Gandacker Goldschmelze dem Fürsten Malbraan untersteht, ist es doch der Direktor, der hier das Sagen hat“, fing nun der Kurrether Berthon an. „Als Vertreter des Direktors kann ich nicht ...“
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